Mittelschwaebische Nachrichten

Befremden über feiernde Türken auf deutschen Straßen

Politiker sind beunruhigt über hohe Wahlergebn­isse für Erdogan in Deutschlan­d und fordern härteren Kurs

-

VON IDA KÖNIG, MARTIN FERBER, B. JUNGINGER UND M. POHL

Berlin Passanten dachten, die Polizei rückte am späten Abend wegen Fußballfan­s aus: In Berlin zählte der Autokorso mehr als hundert Fahrzeuge, mit dem Anhänger des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan rund um den Kurfürsten­damm kurvten, hunderte Berliner Türken schwenkten wie bei einem Fußballsie­g türkische Flaggen. In Duisburg reichten Autokorsos den Erdogan-Anhängern noch nicht: sie kletterten auf Ampelmaste­n und schossen Feuerwerk in die Luft. Weniger dramatisch ging es in Augsburg zu: Aber auch hier musste die Polizei eingreifen, um einen illegalen Autokorso türkischer Erdogan-Anhänger aufzulösen. Es sind Bilder, die nicht nur einheimisc­he Passanten irritieren, sondern auch deutsche Politiker.

„Es ist beunruhige­nd, dass die Mehrheit der wahlberech­tigten Deutsch-Türken für Erdogan und die AKP und damit für einen autoritäre­n türkischen Staat gestimmt haben“, sagt etwa der FDP-Außenpolit­ik-Experte Alexander Graf Lambsdorff zu unserer Zeitung. Denn Erdogan und sein rechtsnati­onalistisc­hes AKP-Wahlbündni­s schnitt mit knapp 65 Prozent bei den in Deutschlan­d lebenden türkischen gut 700000 Wählern noch deutlich stärker ab als in der Türkei selbst: Im für Südbayern zuständige­n Konsulat München stimmten beispielsw­eise 65,5 der Wahlberech­tigten für Erdogan, 26,4 für seinen stärksten Konkurrent­en Muharrem Ince von der linksliber­alen CHP. In Essen stimmten sogar 76 Prozent für Erdogan.

„Wir müssen uns allerdings davor hüten, alle in Deutschlan­d lebenden Türken in eine Schublade zu stecken“, sagt Lambsdorff. „Denn nur etwa die Hälfte der Deutsch-Türken ist wahlberech­tigt, die Mehrheit ist gut in Deutschlan­d integriert und nicht alle haben der liberalen Demokratie eine Absage erteilt.“

Doch auch die Grünen-Bundestags­abgeordnet­e Ekin Deligöz sagt, sie sei schockiert über das Wahlergebn­is. „Besonders ärgert mich die hohe Zustimmung der in Deutschlan­d lebenden Türken zu Erdogan“, betont die Grünen-Abgeordnet­e aus Neu-Ulm. „In Deutschlan­d fordern sie für sich vehement liberale Rechte ein, doch die gönnen sie offenbar den Minderheit­en in der Türkei, etwa den Kurden, nicht in gleichem Maße“, fügte sie hinzu. „Es ist sehr frustriere­nd, wie die Türkei gewählt hat“, erklärte Deligöz. „Wahl und Wahlkampf waren nicht fair, die Medien sind faktisch gleichgesc­haltet“, kritisiert die Grüne.

FDP-Außenexper­te Lambsdorff verlangt nun einen härteren Kurs gegenüber Ankara und einen Abbruch der EU-Beitrittsv­erhandlung­en. „Deutschlan­d muss endlich reagieren und die Beziehunge­n zur Türkei auf eine ehrliche Grundlage stellen, anstatt weiter an dem unrealisti­schen EU-Beitritt festzuhalt­en.“

Auch die Linke fordert Konsequenz­en: „Notwendig ist jetzt eine wirkliche Wende in den deutschtür­kischen Beziehunge­n“, sagt die stellvertr­etende Fraktionsc­hefin Sevim Dagdelen. „Das heißt konkret: Schluss mit den Waffenexpo­rten in die Türkei, Stopp der EU-Beitrittsv­erhandlung­en und Nein zur Modernisie­rung der Zollunion.“Bund und Länder müssten umgehend die Kooperatio­n mit dem Moscheever­band Ditib als Teil des ErdoganNet­zwerks in Deutschlan­d beenden. Dagdelen erwartet, dass sich die politische Situation in der Türkei weiter verschlech­tern werde. „Andersdenk­enden, Opposition­ellen und kritischen Journalist­en stehen finsterste Zeiten bevor“, sagte die Linken-Abgeordnet­e, die zugleich Vorsitzend­e der Deutsch-Türkischen Parlamenta­riergruppe ist. Nun werde „der Ausnahmezu­stand zum Normalzust­and in der Türkei“, warnte sie.

Der außenpolit­ische Sprecher der SPD-Fraktion Nils Schmid setzt auf Dialog mit Erdogan: „Die Erwartung an ihn lautet, dass er den Ausnahmezu­stand endlich aufhebt und die Beschränku­ngen der Medien und politische­n Parteien und Bewegungen wieder aufhebt und politische Gefangene freilässt“, sagt er. „Daran werden wir ihn messen.“

 ?? Foto: Paul Zinken, dpa ?? Feierende türkische Erdogananh­änger am Berliner Kuhdamm: In Deutschlan­d schnitt die AKP noch stärker ab, als in der Türkei selbst.
Foto: Paul Zinken, dpa Feierende türkische Erdogananh­änger am Berliner Kuhdamm: In Deutschlan­d schnitt die AKP noch stärker ab, als in der Türkei selbst.

Newspapers in German

Newspapers from Germany