Mittelschwaebische Nachrichten

Nach 116 Jahren ist der Ofen aus

In Glaser’s Bake Shop in New York wurden vermutlich die „Amerikaner“erfunden. Jetzt schließt das Familienun­ternehmen. Doch der Bäcker hat noch ein großes Ziel

- Stephanie Ott, dpa

New York In ein paar Tagen wird Herbert Glaser die Tür zu seiner Bäckerei für immer verschließ­en. Den Verkaufsra­um, in dem die Mitarbeite­r von Glaser’s Bake Shop seit dem 2. April 1902 New Yorker Naschkatze­n bedienten. Nach 116 Jahren ist die Bäckerei Geschichte – genauso wie unzählige weitere deutsche Geschäfte im Stadtteil Yorkville, die in den vergangene­n Jahrzehnte­n nach und nach verschwund­en sind.

„Es war eine schwierige Entscheidu­ng“, gesteht Co-Besitzer Herbert Glaser auf Englisch. „Ich habe hier 43 Jahre lang gearbeitet. Ich bin müde. Man muss stundenlan­g auf den Beinen stehen und die Arbeit wird schwierige­r, wenn man älter wird. Es ist Zeit, in Rente zu gehen.“Deshalb verkaufen die Glasers ihren Laden.

Eine lange Schlange zieht sich durch das Geschäft, dessen Einrich- seit 1918 nahezu unveränder­t blieb. „Seit wir unsere Schließung angekündig­t haben, haben wir so viel zu tun wie noch nie“, erzählt der 65-Jährige, der das Unternehme­n mit seinem zwei Jahre älteren Bruder John führt. Aus dem Ofen dringen Plätzchend­üfte, während im Hintergrun­d Opernmusik spielt. Auf Anfrage backen die Glasers deutsche Leckereien wie Schwarzwäl­der Torte, Bienenstic­h, Stollen, Lebkuchen und Makronen, für die Kunden bar bezahlen müssen. Man munkelt sogar, dass hier vor rund 100 Jahren die berühmten „black and white cookies“kreiert wurden, die in Deutschlan­d „Amerikaner“genannt werden.

Herberts Großeltern John Herbert und Justine Glaser stammten aus dem bayerische­n Waldsassen. Um 1890 machten sie sich per Schiff auf den Weg nach Amerika. Als gläubige Christen besuchten sie eine deutsch-katholisch­e Kirche in Yorkville an der Upper East Side, wo sie schließlic­h ein Gebäude kauften. Darin eröffneten sie 1902 ihre Bäckerei. „Dass wir das Gebäude besitzen, ist der einzige Grund, warum wir so lange im Geschäft bleiben konnten“, meint Glaser, Sohn eines deutschen Vaters und einer irischen Mutter, der noch immer in der Wohnung über der Bäckerei lebt. „Eine kleine Familienbä­ckerei wie unsere kann sich in Manhattan nicht halten.“

Nachbar Richard Lynch ist enttäuscht, dass Glaser’s schließt. Er besucht die Bäckerei seit 58 Jahren. Bepackt mit einem Beutel Gebäck erzählt der 80-Jährige: „Vieles hat sich verändert, die Mietpreise hier sind in die Höhe geschossen. Vor ein paar Jahrzehnte­n war die Gegend noch deutsch, mit Brauereien, Metzger und Restaurant­s. Damals konnte man in Lederhosen herumtung spazieren.“Immigrante­n plauderten auf Deutsch, deutsche Filme wurden im Theater aufgeführt und abends tanzte man zu Volksmusik. Auf der 86. Straße, scherzhaft „Sauerkraut Boulevard“genannt, reihten sich deutsche Restaurant­s aneinander. Pamela Davenport, 79, meint: „Kleine Familienun­ternehmen sind heutzutage eine Seltenheit.“Die gebürtige Britin arbeitet seit 20 Jahren bei Glaser’s. „Ich habe hier Kinder großwerden sehen. Das Viertel verliert einen echten Schatz.“

Obwohl ihm der Abschied schwerfäll­t, freut sich Glaser auf den Ruhestand. Er hat Deutschlan­d zweimal besucht, vor allem München und eine Donaufahrt haben ihm gefallen. „Ich habe leider nie Deutsch gelernt“, erzählt er. „Wenn ich in Rente gehe, habe ich endlich Zeit für einen Sprachkurs.“

 ?? Foto: Stephanie Ott, dpa ?? Herbert Glaser arbeitet seit 43 Jahren in der Backstube seiner Familie. Jetzt geht er in Rente, schließt sein Geschäft auf dem „Sauerkraut Boulevard“, wie die New Yorker scherzhaft sagen. Deutsch kann Glaser nicht. „Wenn ich in Rente gehe, habe ich...
Foto: Stephanie Ott, dpa Herbert Glaser arbeitet seit 43 Jahren in der Backstube seiner Familie. Jetzt geht er in Rente, schließt sein Geschäft auf dem „Sauerkraut Boulevard“, wie die New Yorker scherzhaft sagen. Deutsch kann Glaser nicht. „Wenn ich in Rente gehe, habe ich...

Newspapers in German

Newspapers from Germany