Mittelschwaebische Nachrichten
Nach 116 Jahren ist der Ofen aus
In Glaser’s Bake Shop in New York wurden vermutlich die „Amerikaner“erfunden. Jetzt schließt das Familienunternehmen. Doch der Bäcker hat noch ein großes Ziel
New York In ein paar Tagen wird Herbert Glaser die Tür zu seiner Bäckerei für immer verschließen. Den Verkaufsraum, in dem die Mitarbeiter von Glaser’s Bake Shop seit dem 2. April 1902 New Yorker Naschkatzen bedienten. Nach 116 Jahren ist die Bäckerei Geschichte – genauso wie unzählige weitere deutsche Geschäfte im Stadtteil Yorkville, die in den vergangenen Jahrzehnten nach und nach verschwunden sind.
„Es war eine schwierige Entscheidung“, gesteht Co-Besitzer Herbert Glaser auf Englisch. „Ich habe hier 43 Jahre lang gearbeitet. Ich bin müde. Man muss stundenlang auf den Beinen stehen und die Arbeit wird schwieriger, wenn man älter wird. Es ist Zeit, in Rente zu gehen.“Deshalb verkaufen die Glasers ihren Laden.
Eine lange Schlange zieht sich durch das Geschäft, dessen Einrich- seit 1918 nahezu unverändert blieb. „Seit wir unsere Schließung angekündigt haben, haben wir so viel zu tun wie noch nie“, erzählt der 65-Jährige, der das Unternehmen mit seinem zwei Jahre älteren Bruder John führt. Aus dem Ofen dringen Plätzchendüfte, während im Hintergrund Opernmusik spielt. Auf Anfrage backen die Glasers deutsche Leckereien wie Schwarzwälder Torte, Bienenstich, Stollen, Lebkuchen und Makronen, für die Kunden bar bezahlen müssen. Man munkelt sogar, dass hier vor rund 100 Jahren die berühmten „black and white cookies“kreiert wurden, die in Deutschland „Amerikaner“genannt werden.
Herberts Großeltern John Herbert und Justine Glaser stammten aus dem bayerischen Waldsassen. Um 1890 machten sie sich per Schiff auf den Weg nach Amerika. Als gläubige Christen besuchten sie eine deutsch-katholische Kirche in Yorkville an der Upper East Side, wo sie schließlich ein Gebäude kauften. Darin eröffneten sie 1902 ihre Bäckerei. „Dass wir das Gebäude besitzen, ist der einzige Grund, warum wir so lange im Geschäft bleiben konnten“, meint Glaser, Sohn eines deutschen Vaters und einer irischen Mutter, der noch immer in der Wohnung über der Bäckerei lebt. „Eine kleine Familienbäckerei wie unsere kann sich in Manhattan nicht halten.“
Nachbar Richard Lynch ist enttäuscht, dass Glaser’s schließt. Er besucht die Bäckerei seit 58 Jahren. Bepackt mit einem Beutel Gebäck erzählt der 80-Jährige: „Vieles hat sich verändert, die Mietpreise hier sind in die Höhe geschossen. Vor ein paar Jahrzehnten war die Gegend noch deutsch, mit Brauereien, Metzger und Restaurants. Damals konnte man in Lederhosen herumtung spazieren.“Immigranten plauderten auf Deutsch, deutsche Filme wurden im Theater aufgeführt und abends tanzte man zu Volksmusik. Auf der 86. Straße, scherzhaft „Sauerkraut Boulevard“genannt, reihten sich deutsche Restaurants aneinander. Pamela Davenport, 79, meint: „Kleine Familienunternehmen sind heutzutage eine Seltenheit.“Die gebürtige Britin arbeitet seit 20 Jahren bei Glaser’s. „Ich habe hier Kinder großwerden sehen. Das Viertel verliert einen echten Schatz.“
Obwohl ihm der Abschied schwerfällt, freut sich Glaser auf den Ruhestand. Er hat Deutschland zweimal besucht, vor allem München und eine Donaufahrt haben ihm gefallen. „Ich habe leider nie Deutsch gelernt“, erzählt er. „Wenn ich in Rente gehe, habe ich endlich Zeit für einen Sprachkurs.“