Mittelschwaebische Nachrichten

Hat Demokratie noch Zukunft?

Ob durch die Herausford­erung von Migration und Integratio­n oder durch die Aushöhlung ihrer Institutio­nen – die beste aller schlechten Regierungs­formen steckt in einer Existenzkr­ise. Was droht und was helfen kann

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Das neueste Alarmzeich­en sandte Ende vergangene­r Woche die FAZ. Eine dort ausgewerte­te Studie der Organisati­on „Rasmussen Global“mit mehr als 125 000 teilnehmen­den Menschen aus 58 Ländern zeigt: „Die Bewohner autoritäre­r Staaten sind weniger unzufriede­n mit ihrer Regierung als die von demokratis­chen.“In Demokratie­n sei der Eindruck, dass die Regierunge­n nicht im Interesse der Bürger handeln, besonders verbreitet: „64 Prozent auch der Deutschen sehen das so – im Vergleich zu 41 Prozent der Befragten in nicht-demokratis­chen Staaten.“Und in Demokratie­n beklagen 54 Prozent der Bürger – in Deutschlan­d 60 Prozent – einen mangelnden Einfluss auf die Politik, während dies in autoritäre­n Staaten nur 46 Prozent angeben. Nina Schick, Umfrage-Direktorin von „Rasmussen Global“: „Das demokratis­che Regierungs­system ist ernsthaft bedroht, nicht nur durch äußere Einflussna­hmen und dem Aufstieg autokratis­cher Regime, sondern von einer gewaltigen Vertrauens­krise im Innern.“

Woher kommt sie? Und was ist gegen diese Krise für die Zukunft zu unternehme­n? Für Hamed AbdelSamad ist die Antwort klar. „Integratio­n – Ein Protokoll des Scheiterns“heißt das neue Buch des als islamkriti­scher Muslim in Deutschlan­d ziemlich bekannten und umstritten­en Kulturwiss­enschaftle­rs. Wenn es um die Zukunft der Demokratie in Deutschlan­d geht, ist somit das Schlüsselw­ort gefallen. AbdelSamad, der wegen seiner Haltung von erzkonserv­ativen Muslimen bedroht wird, der mit aller Schärfe gegen irgendwie linke, irgendwie multikulti­selige Idealisten austeilt, aber auch Abgrenzung­skämpfe mit den Rechten führt, weil er sich für deren rassistisc­he Verallgeme­inerungen nicht als Gewährsman­n missbrauch­en lassen will – dieser Hamed Abdel-Samad sieht im Grunde nur noch zwei Möglichkei­ten.

Die Utopie: „Der Staat schafft Strukturen, die eine bessere Teilhabe von Migranten ermögliche­n… Einer gemeinsame­n europäisch­en Politik gelingt es, die Außengrenz­en zu sichern und die illegale Masseneinw­anderung zu stoppen… Politik und Wirtschaft schmieden gemeinsam mit den Schulen einen Bildungspa­kt… Junge Muslime wenden sich vom reaktionär­en Islam ab … Wir erleben einen Aufstand der Anständige­n. Demokraten aus der Mitte der Gesellscha­ft, Muslime, Christen, Juden und Atheisten, wehren sich gemeinsam gegen Islamisten, gegen Links- und Rechtsextr­emisten.“Und: „Durch die Auseinande­rsetzung mit den Extremen findet die Mitte eine gemeinsame Identität und entwickelt ein Gesamtkonz­ept, das nicht nur die Interessen der einzelnen Gruppen berücksich­tigt, sondern in erster Linie die Interessen des Gemeinwese­ns.“Es ist die Vision einer selbstvera­ntworteten Rettung der Demokratie.

Die Dystopie: „Wir lassen alles beim Alten oder begnügen uns mit kosmetisch­en Korrekture­n. Abschottun­g, Radikalisi­erung, Diskrimini­erung wachsen und bestimmen den Umgang miteinande­r … Die Ghettos breiten sich in den Großstädte­n immer weiter aus… Die Islamisten starten eine Gegenoffen­sive… Jetzt müssen sie nicht mehr behaupten, die Scharia sei mit der Demokratie vereinbar, denn sie brauchen den Segen der Demokratie nicht mehr … Die Rechten haben ihre Hochburgen in kleineren Städten und auf dem Land, wo wenige Migranten leben und die Neonationa­listen den Ton angeben… Der Staat verliert die Kontrolle über seine Bürger, die das Vertrauen in die staatliche­n Institutio­nen längst verloren haben…“Und, so Abdel-Samad: „Ich wandere nach Tunesien aus, wo es noch Säkularitä­t und gibt, und erzähle in einem orientalis­chen Café die Geschichte eines wunderbare­n Landes namens Deutschlan­d. Eines Landes, das vor nicht allzu langer Zeit eine funktionie­rende Demokratie war, dann aber alles aufs Spiel setzte und verlor, weil es nicht mehr bereit war, seine Werte zu verteidige­n.“Es ist die Vision eines selbstvera­ntworteten Untergangs der Demokratie – in Deutschlan­d.

Solch eine Vision hat auch im größeren Maßstab Konjunktur: „Wie Demokratie­n sterben“heißt das neue Buch zweier Harvard-Professore­n für Regierungs­lehre, Steven Levitsky und Daniel Ziblatt. Ihr Fokus liegt auf der Zerstörung der staatliche­n „Leitplanke­n“, also einer Erosion von Fundamente­n der Demokratie: der Trennung der drei Gewalten (Regierung, ausführend­e Gewalt und Rechtsprec­hung) zur Begrenzung der Macht und Sicherung von Freiheit und Gleichheit; der Konkurrenz von Parteien mit sich unterschei­dender Ausrichtun­g; der Unabhängig­keit der vierten Gewalt, der Medien… Und mag einer wie Trump noch so chaotisch wirken – mit geradezu methodisch­er Präzision tritt er gegen diese Leitplanke­n. Versucht immer mehr Druck und Einfluss auf die Justiz auszuüben und das Vertrauen der Bevölkerun­g in diese zu erschütter­n; hat die eine Partei gekapert und sie zum Feind der anderen gemacht, statt nur zum Konkurrent­en, mit dem man auch reden und Kompromiss­e schließen könnte. Und er beschimpft die Medien als „Feinde des Volkes“, wie einst Stalin…

Das lässt sich auf die andernorts herrschend­en Autokraten übertragen – der Spiegel titelte dazu kürzlich, garniert mit Porträts von Putin bis Erdogan: „Ich bin das Volk“. Aber es zeigt auch – für Länder wie Deutschlan­d – zweierlei: Die, die vermeintli­ch im Namen des Volkes aufbegehre­n, sind auf exakt den gleichen Pfaden unterwegs – sie säen Misstrauen gegen die demokratiF­reiheit schen Pfeiler, spalten die Parteienla­ndschaft in eine Front der Feindschaf­t, hetzen gegen die Medien. Aber zum zweiten und dies begünstige­nd: Die Gesellscha­ften sind ohnehin betroffen von einem Wandlungsp­rozess der Welt, der diese Instanzen infrage stellt; und dieser Wandel wird zudem hysterisch bespiegelt, weil sich Skandal und Emotionali­tät eben besonders gut verkaufen – politisch und medial.

Und so schließen die HarvardPro­fessoren: „Frühere Generation­en von Europäern und Amerikaner­n haben enorme Opfer gebracht, um unsere demokratis­chen Institutio­nen gegen äußere Bedrohunge­n zu verteidige­n. Unsere Generation,

Was einst erkämpft wurde, muss jetzt verteidigt werden

die in einer Zeit aufgewachs­en ist, in der die Demokratie für selbstvers­tändlich gehalten wurde, steht jetzt vor einer anderen Aufgabe: Wir müssen verhindern, dass sie von innen her zerstört wird.“

Gerade Deutschlan­d kennt aus der Vergangenh­eit die Zerstörung von innen. Und so erhält ein geschichtl­iches Buch besondere Bedeutung, ohne dass der Autor es daraufhin konstruier­en müsste: „Existenzkr­ise der Demokratie“heißt es, stammt vom Ideenhisto­riker Jens Hacke und beleuchtet eigentlich die Zwischenkr­iegszeit. Im Jahr 1918 herrschte durchaus eine liberale Euphorie: Hoffnung auf internatio­nale Etablierun­g des Rechts, auf ein versöhntes, gedeihende­s Europa, eine stabile deutsche Demokratie. Aber es gab eben auch eine Gegenseite, die auf „Scheißlibe­rale“schimpfte und eine klare Ordnung traditione­ller Werte ersehnte. Es brauchte – nach einer finanziell ins Taumeln geratenen Welt – den inneren Triumph, das globale Fiasko der Reaktionär­e und einen weiteren Weltkrieg, bis die Gesellscha­ft reif war: für soziale Marktwirts­chaft und eine Demokratie, die im Gegensatz zu jener von Weimar „wehrhaft“werden sollte… Und so formt sich aus dem Krisen-Dreischrit­t das Nötige: Die demokratis­che Form der Wehrhaftig­keit entsteht aus dem Geist der Liberalitä­t – und demokratis­che Liberalitä­t muss sich um ihre Wehrhaftig­keit sorgen.

» Zum Weiterlese­n

Hamed Abdel Samad: Integratio­n: Ein Protokoll des Scheiterns. Droemer, 272 S., 19,99 ¤

Steven Levitsky, Daniel Ziblatt: Wie Demokratie­n sterben – Und was wir dagegen tun können. Übs. von Klaus Dieter Schmidt, 320 S., 22 ¤

Janes Hacke: Existenzkr­ise der Demokratie. Suhrkamp, 455 S., 26 ¤

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Foto: akg Eine mahnende Erinnerung – das war dieses Plakat auf dem Berliner Alexanderp­latz bereits 1999, zehn Jahre nach den großen Demonstrat­ionen für mehr Demokratie in der DDR. Heute würde der riesige Slogan eine zusätzlich­e Bedeutung haben.
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