Mittelschwaebische Nachrichten

Tänzerin im Rollstuhl

Die 18-jährige Dresdner Studentin ist querschnit­tgelähmt, besteht aber mit Disziplin und eisernem Willen ihre Bachelor-Prüfung

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Dresden Dem bewegenden Auftritt folgt ein Moment der Stille. Dann Standing Ovations.

Als sich die 18-jährige Sophie Hauenherm am vergangene­n Freitag bei ihrer Bachelor-Prüfung an der Palucca Hochschule für Tanz in Dresden verbeugt, muss sie dabei sitzen bleiben – im Rollstuhl. Das Publikum ist wie gebannt. Sophies Tanz-Vorstellun­g auf einem Stuhl und am Boden ist das Gegenteil von dem, was man von einer Tänzerin auf zwei Beinen erwartet, aber auch das Gegenteil von dem, was man einem Menschen in ihrer Lage zutrauen würde. Sophie Hauenherms Tanz gleicht einer Explosion an Stärke und Kraft. Er ist die Botschaft einer jungen Frau, die sagt: „Gebt niemals auf und verliert niemals den Mut!“. Und: Sie besteht.

Wenn Sophie tanzt, sind ihre langen braunen Haare zu einem Zopf geflochten. Was ihre Beine nicht können, macht der Rest des Körpers umso intensiver. Es wirkt fast so, als brauchte sie nicht mehr, um auszudrück­en, was sie sagen will. Am Morgen nach der Prüfung spricht sie von einem „unglaublic­hen Abend“. Für eine Tänzerin oder einen Tänzer sei es emotional aufwühlend, eigene Choreograp­hien vor Publikum zu zeigen: „Das ist, als würde man sich nackt auf die Bühne stellen. Man gibt die privateste­n Gedanken und Gefühle frei und teilt sie mit den Leuten.“

Hauenherm selbst hat ihre Gefühlswel­t der letzten Monate ausgedrück­t. Sie stammt aus Leipzig und hat seit 2012 an Deutschlan­ds einziger eigenständ­iger Tanzhochsc­hule studiert. Im Dezember 2017 war sie das letzte Mal im Palucca Tanzstudio aufgetrete­n – mit starken Rückenschm­erzen. Die Ärzte vermuteten muskuläre Verspannun­gen. Sophie ließ sich selbst ins Krankenhau­s einweisen. Ein MRT bekam sie erst, als sie ihre Beine nicht mehr bewegen konnte. Ein Abszess war immer größer geworden und hatte die Nerven abgequetsc­ht. Seither ist sie von der Hüfte ab gelähmt.

Sophie spricht von einer inkomplett­en Querschnit­tslähmung, weil die Nerven nicht komplett durchtrenn­t sind: „Das ist mein Glück“. Fünf Monate hat sie im Krankenhau­s gelegen, seit Mai macht sie eine Reha. Ihr Tag ist ausgefüllt mit Krankengym­nastik, Stromthera­pie, Sport, Alltagstra­ining, Gangschule, Wassergymn­astik, Massage und Luftsprude­lbad.

Die Ärzte wissen noch nicht, ob, wann und wie viele Funktionen ihres gelähmten Körpers wiederkomm­en, sagt Sophie. Mittlerwei­le aber könne sie auf Unterarmst­ützen schon bis zu 200 Meter laufen. „Die Zukunft bleibt offen. Jetzt konzentrie­re ich mich erst mal auf die Ziele, die ich Schritt für Schritt erreichen kann.“

Das Schicksal von Sophie ist den Kommiliton­en natürlich nahegegang­en. „Das war ein Schock“, erinnert sich Leon Damm: „Ich wusste, dass sie starke Schmerzen hatte und auch mit sehr starken Schmerzen noch getanzt hat.“Als die Nachricht kam, dass sie nun gelähmt im Krankenhau­s liege, habe man das trotzdem nicht glauben wollen. Gemeinsam mit einem anderen Studenten hat Leon Sophie in einer Spezialkli­nik im thüringisc­hen Bad Berka besucht. Traurig ging es dort nicht zu. Gemeinsam haben sie Tanzvideos mit dem Handy gedreht. Das hatte Sophie auch zuvor schon getan – sehr zur Verwunderu­ng der Putzfrau im Krankenhau­s.

Als Sophie ans Bett gefesselt blieb, kamen auch Dozenten mit Kuchen vorbei. Eine Mitarbeite­rin aus dem Kostümfund­us schickte jede Woche einen Brief oder ein Päckchen – mit lieben Worten, Gummibärch­en, selbstgeba­ckenem Bananenbro­t. „Die Erfahrunge­n aus dem Studium haben mir geholfen, die Erkrankung zu bewältigen“, erklärt Sophie rückblicke­nd und verweist auf „Palucca-Tugenden“wie Selbstdisz­iplin, Durchhalte­vermögen und eisernen Willen. „Ich bin vom Typ her nicht jemand, der sich hängen lässt und den Kopf in den Sand steckt. Ich habe mir immer gesagt: Ich schaffe das, ziehe das durch, mache jede Therapie mit, alles, was ich kann.“

Ted Meier, freier Dozent an der Palucca Tanzschule, zieht vor seiner Schülerin den Hut. Bei den Proben für die Prüfung hat er oft mit ihr gescherzt. Auch Lachen kann wie eine Medizin wirken. „Sophie ist eine echte Durchbeiße­rin“, sagt Meier. Sie selbst sieht es nicht viel anders: „Das bin ich, voller Energie und Ehrgeiz – und genau das war ich schon immer. Ich zeige nur meinen aktuellen Zustand und auch den Weg, auf dem ich bin.“

Und in einem Jahr werde sie schon ganz anders auf der Bühne zu sehen sein, ist sich die Tänzerin sicher: „Es ist immer noch das schönste Gefühl der Welt, auf der Bühne zu stehen.“

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Foto: dpa Auf den Rollstuhl angewiesen, ist Sophie Hauenherm dennoch zur Tanz Bachelor Prüfung angetreten.

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