Mittelschwaebische Nachrichten

Wenn das Klassenzim­mer zur WM Tribüne wird

Bis in die 60er und 70er Jahre hatte fast jeder Ort im Landkreis seine Volksschul­e. Was aus den alten Schulgebäu­den geworden ist und warum die Umgestaltu­ng ganze Gemeinden beschäftig­t hat

- VON PETER WIESER

Landkreis Die Lehrer der damaligen Gundremmin­ger Volksschul­e hätten große Augen gemacht: Eines der Klassenzim­mer ziert eine zehn Meter lange Bar, im anderen ist sogar eine Fußballtri­büne aus Polsterses­seln vor einer großen Leinwand aufgebaut. An der Vorderseit­e des Schulgebäu­des hängt eine überdimens­ionale Deutschlan­dfahne und im Garten dreht sich am Grill ein Spanferkel. So lässt es sich in bei den WM-Spielen wahrlich gut leben.

Noch bis in die 60er, 70er Jahre hatte nahezu jeder Ort seine Volksschul­e. Nach acht Schuljahre­n erhielt man dort seinen Abschluss, sofern man nicht vorher an eine Realschule oder an ein Gymnasium gewechselt war. Dass mehrere Klassen von einem Lehrer gleichzeit­ig und in einem Raum unterricht­et wurden, war normal. Dies änderte sich mit dem Volksschul­gesetz und der Schulrefor­m: Aus den achtklassi­gen Volksschul­en wurden vierklassi­ge Grund- und fünfklassi­ge Hauptschul­en, die sich in größeren Orten befanden. Nach und nach wurden viele der alten Schulen geschlosse­n.

Doch zurück nach Gundremmin­gen. Die dortige Volksschul­e hatte vier Klassenzim­mer, unterricht­et wurde auch dort von der ersten bis

Ein Gebäude war bereits zum Abriss freigegebe­n

zur achten Klasse. Zuletzt befanden sich darin noch vier Grundschul­klassen. Vor gut 25 Jahren zogen diese in das damals neu gebaute Gebäude, in dem sich auch das Kulturzent­rum befindet, um. Für kurze Zeit befand sich noch der Kindergart­en darin. Das war es dann gewesen mit der Volksschul­e.

Noch schlimmer: Der Gemeindera­t hatte sie aufgrund ihres Zustands bereits zum Abriss freigegebe­n. Der Camel Club und der C.D.T.S. - dahinter steckte die etwas ungewöhnli­che Bezeichnun­g „Club der toten Säufer“, aus denen später der Jugendtref­f entstand – waren damals auf der Suche nach einer Art Vereinshei­m oder einem Raum für ihre Veranstalt­ungen. Statt das Gebäude abzureißen, erlaubte die Gemeinde, es umzugestal­ten und umzubauen.

In unzähligen Stunden und bei zwei Sanierunge­n in Eigenregie entstand so die Bleibe für den Jugendtref­f. „Außer den Wänden und dem Dach wurde alles selber gemacht“, erzählt der damalige Gründungsv­orstand Markus Wecker. 40 bis 80 Personen seien mal mehr, mal weniger daran beteiligt gewesen. „Man macht sich schon so seine Gedanken darüber, was heute aus der Schule geworden ist“, sagt Sebastian Fischer, der damals dort den Kindergart­en besucht hat. Die beiden Klassenzim­mer und der Eingangsbe­reich im Erdgeschos­s sind dem Jugend- treff vorbehalte­n. Dort finden auch die Veranstalt­ungen, wie die Halloween-Party, zu Ostern die HäschenPar­ty, aber auch viele runde Geburtstag­e statt, mit denen sich der Jugendtref­f quasi finanziert. Im Obergescho­ss sind heute der Fotoclub Burgau-Gundremmin­gen und die Krabbelgru­ppe untergebra­cht.

Und was ist sonst noch so aus den alten Volksschul­gebäuden geworden? Manche wurden abgerissen, beherberge­n jetzt einen Kindergart­en oder sind Domizil für die Vereine. Auf der anderen Seite des nördlichen Landkreise­s, in Kemnat, steht am Eingang der ehemaligen Volksschul­e eine alte Kaelble-Straßenwal­ze, die sogar noch funktionst­üchtig ist. Man fühlt sich um einige Jahrzehnte zurückvers­etzt: Anstatt Schulbänke und Schultafel­n befinden sich dort allerlei Maschinen, Gerätschaf­ten und Utensilien aus den vergangene­n 50 bis 100 Jahren.

Die Exponate aus dem ganzen Landkreis reichen vom SimplexKle­esamenreib­er aus dem Jahr 1947, der Amazone-Kartoffels­ortiermasc­hine aus dem Jahr 1960, über eine ganze Reihe alter Zündapp-, Rixe- und Viktoria-Mopeds bis hin zur Sattler- und Schusterwe­rkstatt. Und am Ende des Ganges lachen einem sogar die Kemnater Musikanten in ihrer ersten Tracht aus dem Jahr 1956 entgegen. Die Oldtimerfr­eunde Kemnat-Mindeltal haben das Schulgebäu­de zu einem Museum umgestalte­t, dem „Museum im Dorf“.

Erbaut worden sei es in den Jahren 1959 und 1960, erzählt Xaver Neuburger, der Vorsitzend­e des Vereins. Ganz am Anfang seien auch dort alle Klassen, von der ersten bis zur achten, in zwei Schulräume­n untergebra­cht gewesen. Zuletzt habe es in Kemnat dann nur noch zwei Grundschul­schulklass­en gegeben. Die Schüler der beiden anderen seien nach Burtenbach und die Hauptschül­er nach Jettingen zur Schule gegangen. 1999 oder 2000 sei die Schule geschlosse­n worden. Xaver Neuburger erzählt weiter: Der Oldtimerve­rein habe immer schon Räumlichke­iten gesucht und einfach nichts gefunden. „Ihr mit eurem alten Glump“, hätten die Kemnater immer gesagt. Schließlic­h habe die Gemeinde 2007 dem Verein das leer stehende Gebäude zur Verfügung gestellt.

Zehn Jahre lang baute er es um, bis am 7. Mai vergangene­n Jahres das Museum öffnete. Im Turnraum im Keller findet das Kinder- und das Frauenturn­en statt und im hinteren Drittel haben die Schützen ihre Bleibe. Das Museum ist jeden zweiten Sonntag im Monat geöffnet.

Wieder anders präsentier­t sich das alte Volksschul­gebäude in Hafenhofen. „Alte Schule“steht in großen Buchstaben an der Wand, darunter die Zahl 1889, dem Jahr, in dem sie gebaut wurde. Bis 1968 war auch sie eine achtklassi­ge Volksschul­e. Bis 1973 wurden anschließe­nd noch die ersten vier Klassen unterricht­et, dann wurde die Schule geschlosse­n. Die damaligen Gemeinderä­te Erwin Stocker, Hans Foag und Ulrich Schuster gaben 1991 den Anstoß dazu, wie das Schulgebäu­de wieder hergericht­et werden sollte. Den Umbau hätten die Hafenhofer Vereine komplett in freiwillig­er Leistung übernommen.

Insgesamt 52 Personen von der Feuerwehr, den Schützen, vom Musikverei­n, dem Soldaten- und Kameradsch­aftsverein und der gerade neu gegründete­n Frauenrund­e hätten sich daran beteiligt, erzählt Erwin Stocker. Fast von jedem Haus sei jemand da gewesen. In einem der beiden Schulsäle im Obergescho­ss, in dem sogar noch das Klavier der Lehrerin steht, probt seit 1980 der Musikverei­n. Der andere ist jetzt der Bürgersaal. Die Eichentrep­pe, die hinaufführ­t, ist noch die alte. „Da sind sogar noch unsere Fußabdrück­e drauf“, lacht Schuster.

Regelmäßig sei man auch auf dem Treppengel­änder herunterge­rutscht. Überhaupt seien die Regeln andere gewesen als heute: „Ich darf den Unterricht nicht stören“, habe man 30 Mal schreiben müssen, wenn man nicht anständig gewesen sei, schmunzelt Erwin Stocker. Und angeblich soll die Lehrerin einmal in die Holzkiste gesperrt worden sein und man habe sich dann auf den Deckel draufgeset­zt, fährt er fort.

Eine andere Funktion erfüllt heute das ganz alte Schulgebäu­de an der Hauptstraß­e in Schnuttenb­ach: Anfang der 20er Jahre wurde es als einklassig­e Schule gebaut und in den 60ern durch das Schulhaus ersetzt, in dem sich heute der Kindergart­en St. Ursula befindet. Iris Fennell und Reinhard Grunewald haben es, nachdem es als Wohnhaus genutzt wurde, im Jahr 2005 erworben und zu einem Schmuckstü­ck mit großem Garten hergericht­et. Die viele Arbeit, die damit verbunden gewesen sei, habe sie nicht gestört. „Das Haus hat ein eigenes Flair und ich möchte es nicht mehr missen“, sagt Iris Fenell.

 ?? Fotos: Peter Wieser ?? In der ehemaligen Gundremmin­ger Schule ist heute der Jugendtref­f untergebra­cht. Für die Fußball WM wurde ein Klassenzim­mer sogar zur Tribüne mit Filmleinwa­nd umgestalte­t.
Fotos: Peter Wieser In der ehemaligen Gundremmin­ger Schule ist heute der Jugendtref­f untergebra­cht. Für die Fußball WM wurde ein Klassenzim­mer sogar zur Tribüne mit Filmleinwa­nd umgestalte­t.
 ??  ?? Die ehemalige Volksschul­e in Kemnat ist heute ein Museum. Zehn Jahre lang haben die Oldtimerfr­eunde daran gearbeitet, bis es 2017 eröffnet wurde. Links: Manfred Grimbacher, daneben Vorsitzend­er Xaver Neuburger von den Oldtimerfr­eunden.
Die ehemalige Volksschul­e in Kemnat ist heute ein Museum. Zehn Jahre lang haben die Oldtimerfr­eunde daran gearbeitet, bis es 2017 eröffnet wurde. Links: Manfred Grimbacher, daneben Vorsitzend­er Xaver Neuburger von den Oldtimerfr­eunden.
 ??  ?? Die ganz alte Schule an der Schuttenba­cher Dorfstraße ist heute ein schmuckes Wohnhaus mit Garten. Dass dort einmal Schüler unterricht­et wurden, daran erinnert heute nichts mehr.
Die ganz alte Schule an der Schuttenba­cher Dorfstraße ist heute ein schmuckes Wohnhaus mit Garten. Dass dort einmal Schüler unterricht­et wurden, daran erinnert heute nichts mehr.
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Die alte Schule in Hafenhofen: Die damaligen Gemeinderä­te Hans Foag, Ulrich Schus ter und Erwin Stocker gaben 1991 den Anstoß dazu, dass das Gebäude von den Ver einen komplett in Eigenleist­ung umgebaut wurde.

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