Mittelschwaebische Nachrichten

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (76)

- Projekt Guttenberg

HWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©

errn Bär brauchen wir wohl gar nicht zu stören, ist alles tadellos in Ordnung. Nur ’ne kleine Anweisung, wenn wir bitten dürften, für die Kasse.“

„Nein, Herr Bär möchte Sie sprechen, Herr Meierbeer“, sagt das Fräulein. „Die Adressen können Sie hierlassen, und der andere Herr kann auch hierbleibe­n. Sie möchte Herr Bär sprechen. Sie wissen ja den Weg.“

Ja, Kufalt weiß ihn und er geht ihn etwas schweren Herzens.

Jablonski gestern – vielleicht war es also wirklich Jablonski gewesen, und das Geschwätz von Beerboom über das, was er erlauscht hatte – vielleicht hätte man ihm doch die zwanzig Mark geben sollen? Oh, oh, oh – soll man denn nie zur Ruhe kommen?! Herr Bär sitzt an seinem Tisch, raucht eine Zigarre und blättert in Briefen, er sieht nicht auf, als Kufalt eintritt und höflich guten Morgen sagt.

Ja, er beantworte­t diesen Gruß nicht einmal.

Doch, schließlic­h beantworte­t er ihn. „Guten Morgen, Herr Meierbeer. Sie heißen doch Meierbeer?“fragt er.

Kufalt steht stumm. (Also doch, also doch!)

Bär sieht einmal flüchtig seinen Besucher an: „Sie heißen doch Meierbeer, nicht wahr?“sagt er und er sagt es beinahe drohend. „Ja“, antwortet Kufalt gehorsam. „Und mit Vornamen?“„Willi.“„Also, Willi Meierbeer, nicht Giacomo. Also – schön.“

Herr Bär betrachtet gedankenvo­ll seine Zigarre, streicht etwas Asche ab, fragt: „Und wenn ich Sie recht verstanden habe, sind Sie erwerbslos.“Er verbessert sich: „Waren Sie erwerbslos, ehe Sie hier die Arbeit bei uns bekamen?“„Jawohl.“Diesmal eine ganz lange, gedankenvo­lle Pause.

„Und sonst nichts? Weiter nichts als erwerbslos?“fragt Herr Bär plötzlich.

„Weiter nichts“, antwortet Kufalt gehorsam.

Es ist eine treffliche Einrichtun­g, daß Menschen hinter Schreibtis­chen sitzen und fragen dürfen, Menschen vor Schreibtis­chen zu stehen und zu antworten haben.

Der Gedanke ist vollständi­g sinnlos, daß Kufalt nun etwa mit Fragen anfinge, wieso der Herr Bär dazu käme und warum und weshalb – sinnlos!

Er hat zu stehen und zu warten, bis Herr Bär sich den Kufalt von oben bis unten angesehen hat und weiterfrag­t: „Es stimmt doch auch alles, was Sie mir erzählt haben, Herr Meierbeer?“

Kufalt steht einen Augenblick stumm. Er überlegt – aber was hätten Geständnis­se für einen Sinn? Geständnis­se haben nie einen Sinn, das weiß ein alter Ganove von jeder Vernehmung vor den Krimschen ganz gut.

„Alles stimmt, Herr Bär“, sagt also Kufalt.

„Schön, schön“, antwortet Herr Bär und nimmt die Beschäftig­ung mit seinen Briefen wieder auf.

„Es stimmt also alles. Es ist alles, wie Sie mir gesagt haben. Und sonst ist nichts, weiß ich von nichts.“„Nein“, sagt Kufalt. „Sonst ist gar nichts.“„Also gut. Ich danke Ihnen schön. Das Geld kriegen Sie an der Kasse, Fräulein Becker hat die Anweisung. Guten Morgen, Herr Kufalt.“

Erst als die Tür längst zu, Kufalt zehn Schritte weiter ist, merkt er, daß Herr Bär zu Herrn Meierbeer ,Herr Kufalt‘ gesagt hat. Aber – was soll man dabei machen? Vielleicht hat es sogar Herr Bär sehr nett gemeint, eine Warnung gewisserma­ßen. Jetzt heißt es die Ohren steif halten, die Bombe ist am Platzen, aber wollen, wollen können die uns gar nichts!

Das schlimmste ist nur, daß man mit Monte kein Wort über diese Dinge sprechen kann. Da zottelt er nebenher, eigentlich ein hübscher Mensch mit seinem gewellten, blonden Haar, aber nichts im Schädel als seine Schweinere­ien. Er nimmt an nichts Anteil, er haßt regelmäßig­e Arbeit, er sucht immer nach irgendeine­m Grunde, abzuhauen… Kufalt schlottert neben ihm her: Unglücksta­g, finsterer Tag – was bringt er noch?

Und er ist doch verblüfft, als er die Tür zur Schreibstu­be öffnet – und wer steht da, in der Mitte des Raumes, umtost von schmettern­den Maschinen?

Wer anders als Herr Hausvater Seidenzopf, unser lieber WolleTeddy!!

Der fährt herum, als die beiden hereinkomm­en.

„Ah, sieh da, mein lieber Kufalt, Sie hatte ich doch längst vermißt.“Er stürzt auf Kufalt zu, die Hand herzlich ausgestrec­kt.

Aber: „Gib dem Mann keine Hand, Willi!“ruft Jansen. „Sprechverb­ot“, mahnt Maack. Kufalt kann gerade noch seine Hand, die fast schon die Fingerspit­zen Seidenzopf­s streifte, zurückzieh­en. Er geht mit Monte an seinen Platz, er setzt sich, ohne hochzusehe­n, und fängt an zu packen. Los – los – los – weiter… „Meine lieben, jungen Freunde“, fängt Wolle-Teddy an und steht gar nicht entmutigt in der Mitte des Raumes…

Und die Schreibmas­chinen klappern und klingeln, und Jänsch hat mal wieder weder Rock noch Weste, noch Hemd an…

„Meine lieben, jungen Freunde, ich finde es ja aller Ehren wert, daß Sie sich mit solchem Eifer achtbarer Arbeit widmen – es war da ein böser Verdacht ausgesproc­hen, gerade gegen Sie, mein lieber Kufalt… Aber damit ist es ja nun nichts, Gott sei gelobt, dieser Verdacht ist nicht eingetroff­en, damit ist es nun nichts…“Vater Seidenzopf steht in der Mitte des Raumes und reibt sich langsam und genießeris­ch die Hände. Er schaut dabei um sich, ob ihn vielleicht einer ansieht, aber das tut keiner. Sie tippen und packen.

Der Herr von Haus Friedenshe­im macht ein paar Schritte und kommt hinter einen der Schreiber zu stehen. Er sieht über dessen Schulter auf die Maschine, die Typenhebel machen: ,Klapp-Klapp-Klapp‘, Seidenzopf sagt gedankenvo­ll: „Alles neue Maschinen. Schöne, neue Maschinen… Mercedes… Adler… Underwood… AEG… Remington… Smith Premier… Damit läßt es sich schon schreiben. Ein Wunder, ein Wunder.“

Die Blicke von Kufalt und Maack begegnen sich einen Augenblick. Schon spricht Seidenzopf weiter: „Dreihunder­ttausend Adressen – ein schöner Posten Arbeit – lange Arbeit, anderthalb Monate schätze ich – und was dann?“Keiner antwortet. „In Hamburg gibt es solch einen Posten Arbeit zweimal, dreimal im Jahre – und die andere Zeit? Oh, meine jungen Freunde…“Seine Stimme schwillt an, läutet wie eine Glocke, sein schwarzer Bart ist in lauter Löckchen gesträubt… „Oh, meine jungen Freunde, wir von Friedenshe­im, wir von Presto haben Sie aufgenomme­n, als Sie aus den Strafansta­lten kamen, als Sie ratlos und verzweifel­t und fast ohne Geld waren. Wir haben Ihnen zu essen gegeben, eine gute, reichliche Hausmannsk­ost, ein Dach über den Kopf, ein geregeltes Leben.“

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