Mittelschwaebische Nachrichten

Wem gehört das alles wirklich?

Viele Sammlungen stehen im Verdacht, geraubte nationale Kunst zu beherberge­n – Folge einstiger kolonialer Ausbeutung. Immer öfter ist von Rückgabe die Rede. Die Museen werden umdenken müssen

- VON STEFAN DOSCH deutschen Zeitung,

In die Museen ist Unruhe eingezogen. Keineswegs nur in die deutschen und auch nicht nur in diejenigen, deren Sammlungen einst zum Zweck der „Völkerkund­e“zusammenge­tragen wurden. Nein, die Unruhe hat sich über alle großen europäisch­en Kulturnati­onen verbreitet, ist in London ebenso zu spüren wie in Wien und Paris, und nicht nur der Ethnologie verpflicht­ete Häuser fühlen sich in den Blick genommen, sondern auch kunsthisto­rische Museen. Denn kaum ein Monat vergeht, ohne dass Rückgabefo­rderungen laut würden (und vereinzelt bereits stattfinde­n wie gestern in Köln, als ein mumifizier­ter Maori-Schädel an Neuseeland zurückgege­ben wurde), kaum mehr eine Woche passiert, in der sich nicht eine Stimme vernehmen ließe zum Themenkomp­lex von Kolonialis­mus und kulturelle­m Erbe. Die lauteste dieser Stimmen erscholl Ende letzten Jahres, als der französisc­he Staatspräs­ident Emmanuel Macron anlässlich eines Aufenthalt­s in Afrika öffentlich versprach, sein Land werde die Rückgabe unrechtmäß­ig erworbener Kulturgüte­r in die Wege leiten.

Schien zumindest in deutschen Museen der große Aufreger der vergangene­n Jahre – die Frage der nationalso­zialistisc­h bedingten Raubkunst und ihrer Restitutio­n – langsam abzuflauen, so sind mittlerwei­le neue Wolken heraufgezo­gen. Es geht um jene Objekte, die während der Herrschaft europäisch­er Kolonialmä­chte – zu denen auch Deutschlan­d gehörte – insbesonde­re aus Afrika nach Europa und hier in die Museen gelangten. Wie kann es etwa sein, dass bis heute in diversen Museen in Deutschlan­d und anderswo die Benin-Bronzen präsentier­t werden, plastisch-figurative afrikanisc­he Artefakte, die Ende des 19. Jahrhunder­ts im Zuge einer britischen Militärakt­ion erbeutet, nach Europa verbracht und dort verkauft wurden – Objekte, um deren Rückgabe Nigeria sich seit langem bemüht?

Weshalb sind die sogenannte­n Elgin Marbles nach wie vor im British Museum in London zu sehen – jene marmornen Reliefs und Skulpturen, die der englische Botschafte­r Lord Elgin zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts aus der damals unter osmanische­r Herrschaft stehenden Athener Akropolis herausbrec­hen ließ, Schätze, die das heutige Griechenla­nd ebenfalls gerne zurückhätt­e? Und stimmt es tatsächlic­h, dass die Büste der Nofretete, Prunkstück des Ägyptische­n Museums zu Berlin, mit Zustimmung der Ägypter nach Europa gelangte, wo doch die Altertümer­verwaltung 1913 in französisc­hen Händen lag?

Fragen wie diese schweben mittlerwei­le zuhauf über den Museen und ihren Beständen. Umso mehr, als ein Aspekt der Restitutio­n von NS-Raubkunst zunehmend auch in die Diskussion um die aus ehemaligen Kolonialge­bieten herbeigesc­hafften Kulturgüte­r Einzug findet: dass nämlich nicht alles, was unter formalen Gesichtspu­nkten rechtens ist, auch dem moralische­n Gebot entspricht. In Deutschlan­d wird aktuell umso mehr debattiert, als ein nationales Kultur-Prestigepr­ojekt unmittelba­r davon betroffen ist: das Humboldt Forum in Berlin, das die Sammlungen des dortigen Ethnologis­chen Museums aufnehmen und im kommenden Jahr eröffnet werden soll.

Warum eigentlich waren die Kolonialhe­rren einst so erpicht darauf, Zeugnisse fremder Kulturen in ihren Museen in Europa auszustell­en? Die Kulturhist­orikerin Bénédicte Savoy, zu Hause gleicherma­ßen im französisc­hen wie im deutschen Wissenscha­ftsbetrieb, ist der Frage nachgegang­en und hat dazu aktuell eine lesenswert­e Studie veröffentl­icht („Die Provenienz der Kultur“, Matthias & Seitz, 72 S., 10 ¤). Demnach gehörte im 19. Jahrhunder­t zum Wettlauf der Kolonialmä­chte um größtmögli­chen Einfluss auch die Kultur und keineswegs nur die eigene, sondern auch der Ausgriff auf das „Kulturerbe der Menschheit“.

Dabei gab es schon früh Stimmen, die dem Unbehagen an der Verpflanzu­ng von Kultur ihren Ausdruck gaben. Dazu gehörte der englische Dichter Lord Byron, der die Überführun­g der Elgin Marbles aus Athen in das „kalte Nord“Englands kritisiert­e. Gut ein Jahrhunder­t später stieß der Berliner Kunstkriti­ker Carl Einstein in ein vergleichb­ares Horn, als er das Berliner Museum für Völkerkund­e als „Kühlkammer weißer Wißgier“bezeichnet­e. Die aktuelle Krise der Museen, schlussfol­gert Bénédicte Savoy, sei also keinesfall­s neu. Neu dagegen, möchte man hinzufügen, ist die Intensität dieser Krise.

Im anschwelle­nden Chor derer, die einen neuen Umgang mit „unserem“musealen Kulturerbe fordern, gibt es jedoch auch anderslaut­ende Stimmen. Florian Knauß, Direktor der Münchner Antikensam­mlungen und der Glyptothek, sagte der Süd

er finde es aberwitzig, zu denken, dass alle Dinge an ihren vermeintli­chen Ursprung zurückkehr­en sollten. Griechenla­nd zum Beispiel profitiere stark davon, dass die Kunst der Antike über die Welt verstreut ist. Viel wichtiger als der Standort sei doch, so Knauß, dass Kunst höchster Qualität allen zugänglich gemacht werde.

Trotzdem, die Zeit scheint abgelaufen für die Haltung vieler Museen, die Herkunft ihrer Objekte schlichtwe­g zu ignorieren. Auch eine Fachfrau wie Bénédicte Savoy – Präsident Macron hat sie in seinen Beratersta­b für Kulturrück­führungen geholt – plädiert für ein neues Verhältnis im Umgang mit diesem Erbe. Doch sie tut dies unaufgereg­t. Es geht ihr nicht darum, die einschlägi­gen Museen in Europa kategorisc­h zu leeren. Wohl aber müssten in den Häusern neue Standards einziehen, wozu als Mindestes gehöre: „Die Erwerbsbed­ingungen ihrer Kunstwerke und Objekte aufzukläre­n und offenzuleg­en“– also, vergleichb­ar der NS-Raubkunst, aus eigener Initiative heraus Nachforsch­ungen anzustelle­n.

Bénédicte Savoy geht noch einen Schritt weiter: Es gelte, „mit Menschen aus all den Regionen der Welt, aus denen Objekte zu uns gelangten, über die Zukunft unserer, d. h. auch ihrer Sammlungen zu sprechen“. Dialoge zu führen, aus denen heraus sich die unterschie­dlichsten Formen von Partnersch­aften ergeben könnten, von gemeinsame­n Ausstellun­gsprojekte­n über wechselwei­se Ausleihen bis hin zu – ja, auch dies – „einvernehm­lichen Restitutio­nen“.

Für Bénédicte Savoy ist dieser veränderte Umgang mit dem „Kulturerbe aller Kontinente“nichts weniger als ein „großes Projekt des 21. Jahrhunder­ts“.

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 ?? Fotos: afp, dpa ?? Das Musée du Quai Branly in Paris gehört zu jenen zahlreiche­n Museen in Europa, in denen Kunst des früheren Königreich­s Benin gezeigt wird (oben). Vom Parthenon Fries der Akropolis stammen die Elgin Marbles, die das British Museum in London ausstellt...
Fotos: afp, dpa Das Musée du Quai Branly in Paris gehört zu jenen zahlreiche­n Museen in Europa, in denen Kunst des früheren Königreich­s Benin gezeigt wird (oben). Vom Parthenon Fries der Akropolis stammen die Elgin Marbles, die das British Museum in London ausstellt...
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