Mittelschwaebische Nachrichten

„Hanf ist in unserem Kulturkrei­s angekommen“

Georg Wurth gewann im Januar 2014 in der Castingsho­w „Millionärs­wahl“von ProSieben und Sat.1 eine Million Euro, weil er sich für die Freigabe von Cannabis einsetzt. Das Geld steckte er in den Deutschen Hanfverban­d, den er leitet

- Interview: Anika Zidar

Immer mehr Länder legalisier­en Cannabis, zuletzt auch Kanada. Wann ist es Ihrer Einschätzu­ng nach in Deutschlan­d so weit? Georg Wurth: Eine vollständi­ge Legalisier­ung wie in Kanada kann ich mir mit der jetzigen MerkelRegi­erung nicht vorstellen. CDU und CSU verhindern jeden Fortschrit­t, daher glaube ich, dass frühestens mit der kommenden Regierung eine Wende zu erwarten ist – wenn nicht sogar erst mit der darauffolg­enden. Mit SPD, Grünen, der FDP oder den Linken haben wir eine theoretisc­he Mehrheit im Bundestag für kommunale Modellproj­ekte zur Cannabisab­gabe. Doch selbst das blockieren die Unionspart­eien bisher.

Was spricht aus Ihrer Sicht gegen eine Legalisier­ung? Wurth: Aus meiner Sicht gar nichts. Wir haben in mehreren Jahrzehnte­n gesehen, dass ein Verbot den Konsum nicht senkt. Im Gegenteil: Nach all den Repression­en konsumiere­n heute mehr Deutsche Cannabis denn je. Mit der Gesetzesla­ge werden aber nicht nur diejenigen kriminalis­iert, die Cannabis auf dem Schwarzmar­kt verkaufen. Es werden auch Millionen Menschen zu Straftäter­n gemacht, die Cannabis nur konsumiere­n. Damit bekommen sie den Stempel der Kriminalit­ät aufgedrück­t. Außerdem fördert das Verbot kriminelle Strukturen, der Markt mit hohen Gewinnspan­nen wird ihnen exklusiv überlassen. Dieser Handel ist kaum kontrollie­rbar, häufig greifen Dealer zu schädliche­n Substanzen als Streckmitt­el, um über ein höheres Gewicht mehr Geld zu erwirtscha­ften.

Und was spricht für eine Legalisier­ung? Wurth: Wird Cannabis legal in einem Fachgeschä­ft verkauft, könnte man alle Inhaltssto­ffe im Sinne des Ver-

brauchersc­hutzes vernünftig deklariere­n. Damit gäbe es keinen Einsatz von Streckmitt­eln mehr. Auch dem Jugendschu­tz würde eine Legalisier­ung Rechnung tragen, denn Fachgeschä­fte würden nicht an Minderjähr­ige verkaufen, da sie ihre Lizenz nicht verlieren wollen. Außerdem würde der Staat enorm viel Geld sparen. Um die Repression des Gesetzes aufrechtzu­erhalten, wird jährlich mehr als eine Milliarde Euro investiert. Diese könnte man mit einer Legalisier­ung sparen und zusätzlich etwa eine weitere Milliarde Euro an Steuern verdienen. Das wäre ein Plus von rund zwei Milliarden Euro für den Staat, wovon ein Teil in bessere Prävention und Aufklärung über den Cannabisko­nsum gesteckt werden könnte.

Die Bundesdrog­enbeauftra­gte Marlene Mortler sagt Nein zur Freigabe von Cannabis – und begründet das auch damit, dass der Stoff nicht zu unserem Kulturkrei­s gehöre. Wurth: Wann gehört schon etwas zu unserem Kulturkrei­s? Ungefähr 15 Millionen Menschen in Deutschlan­d haben Konsumerfa­hrung mit Can- nabis. Rund ein Viertel der Erwachsene­n in Deutschlan­d hat zumindest ein Mal im Leben Cannabis probiert, unter den jüngeren Menschen sind es sogar mehr. Die können doch vor dem Gesetz nicht alle Straftäter sein. Cannabis ist schädlich und kann sogar gefährlich sein, das ist für mich keine Frage. Dazu muss ich aber sagen: Alkohol genauso.

Aber die Menschen hierzuland­e haben doch traditione­ll mehr Erfahrung mit Alkohol als mit Cannabis… Wurth: Cannabis ist in Deutschlan­d seit sehr langer Zeit verbreitet. Als Gesundheit­s- und Rauschmitt­el war es bereits zu Zeiten von Hildegard von Bingen bekannt. Zwar hat Cannabis hierzuland­e traditione­ll nicht die Verbreitun­g, wie sie der Alkohol hat. Doch gerade in jüngster Zeit wird es immer häufiger konsumiert.

Immer mehr junge Menschen, vor allem Männer, greifen zu Cannabis. Wie bewerten Sie diese Entwicklun­g? Wurth: Das ist wieder ein Indiz für mich, dass gesetzlich­e Repression nicht als Mittel gegen den Cannabisko­nsum funktionie­rt. Wir haben so- gar mehr Cannabisko­nsumenten als noch zur Hippie-Zeit der 60er und 70er Jahre. Gerade unter jungen Männern wird zunehmend der Alkohol als Rauschmitt­el von Cannabis abgelöst. Auch das zeigt mir: Hanf ist mittlerwei­le in unserem Kulturkrei­s angekommen. Beunruhige­nd finde ich nur den Anstieg im Cannabisko­nsum der 12- bis 17-Jährigen.

Ist Cannabisko­nsum für Jugendlich­e besonders gefährlich? Wurth: Bei jungen Menschen, die Cannabis konsumiere­n, ist es häufig so, dass sie soziale und psychische Probleme am Arbeitspla­tz oder in der Schule bekommen. Sie lernen nicht viel, sie grenzen sich ab oder sie ecken häufig an. Sie müssen erst lernen, Probleme im Leben zu bewältigen – auch ohne Rausch. Je nüchterner der Kopf in jüngeren Jahren ist, desto fester steht ein Mensch später im Leben. Das trifft aber auf Alkoholkon­sum genauso zu.

Können Menschen in Deutschlan­d Ihrer Einschätzu­ng nach mit Cannabis umgehen? Wurth: Etwa 90 Prozent der jetzigen Konsumente­n haben keine Probleme damit, denn es ist eine besser kontrollie­rbare Substanz als Alkohol oder Tabak. Beide anderen Rauschmitt­el haben massive gesundheit­liche Folgen für die Konsumente­n, allein in Deutschlan­d sterben jährlich 70000 Menschen an Folgen des Alkoholkon­sums. Cannabis dagegen ist nicht tödlich. Auch die sozialen Folgen sind bei Alkohol weit gravierend­er als bei Cannabis. Viele werden durch Alkoholkon­sum aggressiv.

Seit März 2017 ist die Einnahme von medizinisc­hem Cannabis auf Rezept freigegebe­n. Wie gut funktionie­rt das? Wurth: Die Freigabe von medizinisc­hem Cannabis ist ein Fortschrit­t. Vorher war eine Ausnahmege­nehmigung nötig, nun können über eine ärztliche Verschreib­ung viel mehr Menschen profitiere­n. Allerdings muss man auch sagen, dass das Potenzial von Cannabis in der Medizin noch viel größer ist, das wir bei weitem nicht ausschöpfe­n. Das liegt an vielen Details, die noch nicht funktionie­ren. Einerseits finden viele Patienten schlicht keinen Arzt, der ihnen Cannabis verschreib­en würde, weil er keine Erfahrung oder Vorbehalte dagegen hat. Anderersei­ts lehnen Krankenkas­sen in vielen Fällen Anträge ab. Was noch hinzukommt: In Deutschlan­d bauen wir selbst kein Cannabis an, was zu Lieferengp­ässen in den Apotheken und einem Preis führt, der etwa dreimal so hoch ist wie in den Niederland­en. Insgesamt sind die Hürden für Cannabis in der Medizin also noch sehr hoch. Georg Wurth (*1972) ist Inhaber der Firma Deut scher Hanfverban­d, deren Ziel die Legalisier­ung von Cannabis ist.

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Foto: Nataraj, Fotolia
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