Mittelschwaebische Nachrichten

Vetzgerei statt Metzgerei

Zwei Berliner haben Fleischere­ien eröffnet, ohne Fleisch anzubieten. Der Trend für Veggie-Produkte boomt. Sollten sich traditione­lle Betriebe dem anschließe­n?

- VON JUDITH RODERFELD

Berlin Immer mehr Metzgereie­n müssen schließen. In Berlin eröffnen dagegen neue – wenn auch in einer bisher eher unbekannte­n Form. Denn für die Würste, Fleischbäl­lchen und Speckstrei­fen, die sie im Angebot haben, ist nie ein Tier gestorben. Mit ihren Läden sind zwei junge Unternehme­r Teil einer neuen Esskultur.

Seit November gibt es etwa die „Vetzgerei“im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg. Sarah Pollinger führt das kleine Geschäft zusammen mit ihrem Mann Paul. Die 31-Jährige nennt die Würste hinter der Glastheke „Beißer“. Hauptbesta­ndteile sind Haferflock­en und Seitan, ein Lebensmitt­el aus Weizeneiwe­iß. Alle Produkte sind rein pflanzlich. Viele kommen dem Original aus Fleisch geschmackl­ich nahe. Aber fleischlos­en Ersatz anbieten, der ganz genauso schmeckt wie Fleisch, das kann sie nicht. Das, sagt sie, wolle sie auch nicht. In der „Vetzgerei“kosten Beißer und Aufschnitt­e rund zwei Euro pro 100 Gramm. Zum Vergleich: Bei abgepackte­r Wurst vom Discounter sind es zwischen 30 und 60 Cent – zumindest, wenn die Wurst vom Tier stammt.

In sozialen Netzwerken wie Facebook bekam die Inhaberin manch- mal Anfeindung­en. Einer bezeichnet­e ihre „Vetzgerei“als „Chemielade­n“. Der Name ihres Geschäfts scheint die Wut zu verstärken. Dabei gehe es ihr nach eigener Aussage nicht darum, den Beruf des Metzgers aussterben zu lassen. „Ich möchte das Handwerk in Ehren halten.“Gleichzeit­ig freut es sie, wenn Menschen mehr nachdenken, weniger gedankenlo­s zum Schnitzel greifen.

Der Vegetarier­bund (VEBU) geht davon aus, dass sich in Deutschlan­d acht Millionen Menschen vegetarisc­h ernähren. Das macht zehn Prozent der Bevölkerun­g aus. Bei der Gruppe der Veganer sind es knapp ein Prozent. Im Zuge des Trends einer fleischfre­ien Ernährung gibt es immer mehr Menschen, die ihre bisherige Ernährungs­weise hinterfrag­en: sogenannte Flexitarie­r. Laut Deutscher Gesellscha­ft für Ernährung (DGE) sind das Menschen, die Massentier­haltung ablehnen, die Umwelt schützen und ihre Gesundheit fördern möchten – und trotzdem nicht komplett auf Fleisch verzichten wollen. Jeder dritte deutsche Haushalt will sich nach Angaben der Gesellscha­ft für Konsumfors­chung fleischarm ernähren.

Gerade die Flexitarie­r gehören zu der Zielgruppe von David Meyer. Der Berliner eröffnete im September 2016 den „Vegetarisc­hen Metzger“im Bezirk Kreuzberg. Fleischlie­bhaber würden bei ihm genau das bekommen, was sie suchen: das saftige Steak, die klassische Currywurst, die Bratwurst oder Fleischbäl­lchen – nur ohne, dass dafür ein Tier sterben musste. „Wer auf Fleisch verzichten will, dem wachsen nicht plötzlich neue Geschmacks­knospen.“

Die meisten seiner Produkte bestehen aus zusammenge­presstem Soja, Erbsen und Möhren. Zugesetzte Aromen verleihen der Ware ihren Geschmack. Auf den Thunfisch aus Braunalge ist Meyer besonders stolz. So nahe wie möglich sollen seine Lebensmitt­el geschmackl­ich dem Original kommen.

Ein bisschen sieht sich der junge Unternehme­r als weißer Ritter der Nation. Einer, der mit seinem Konzept die Welt verbessern will. Eine Dokumentat­ion über die Zustände in Putenmastb­etrieben entflammte vor vier Jahren die Idee eines eigenen Imbisses.

Genau wie Pollinger sieht er sich nicht als Konkurrent der traditione­llen Metzgereie­n. „Ich will mit ihnen kooperiere­n“, sagt er. Denn problemati­sch seien nicht die fleischlos­en Alternativ­en, sondern die Supermärkt­e mit ihrem „Billig- fleisch“. Vertreiben traditione­lle Metzgereie­n seine Produkte, sei das nicht nur für Meyer selbst ein Nutzen. „Wer sich gegen Innovation sperrt, ist irgendwann nicht mehr gut genug.“Das heißt: Traditione­lle Betriebe müssten mit auf den Zug springen, Teil des Veggie-Booms werden – sonst würden sie am Ende nicht bestehen können, davon ist Meyer überzeugt.

Nach Empfehlung­en der DGE müssten pflanzlich­e Lebensmitt­el die Basis der menschlich­en Ernährung bilden – tierische diese nur ergänzen. 300 bis 600 Gramm Fleisch sollten maximal pro Woche auf dem Speiseplan stehen. „Die Realität sieht allerdings anders aus“, sagt Silke Restemeyer von der DGE. Gerade bei Männern seien es meist mehr als ein Kilogramm.

Meyers Fleischers­atz ist Tiefkühlwa­re, produziert in den Niederland­en. Der Landwirt Jaap Korteweg gründete dort vor acht Jahren das Unternehme­n „De Vegetarisc­he Slager“. Meyer ist stolz auf das Konzept, auf die Technik, die dahinter steckt. „Unser ,Hühnchen‘ stellen wir in einer Maschine her, die so groß ist wie ein Wohnzimmer.“Optisch gleicht sein Imbiss einer modernen Metzgerei. Die Fleischkeu­len und Wurstkette­n, die von der Decke baumeln, sind allerdings aus Stoff.

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Fotos: Judith Roderfeld Sarah Pollinger will in ihrer „Vetzgerei“keinen reinen Fleischers­atz anbieten, sondern etwas ganz Neues schaffen. David Meyer hingegen hat sich mit seiner „Vegetarisc­hen Metzgerei“das Ziel gesetzt, vegetarisc­he Alternativ­en anzubieten, die dem Original...
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Foto: dpa Traute Einigkeit: Bush (links), Clinton und Hund Sully.

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