Mittelschwaebische Nachrichten

Zwischen Fußball und Militärdie­nst

In der Partie gegen Deutschlan­d steht für Tottenham-Star Heung-Min Son auch die Karriere auf dem Spiel. Ein Thema, das ihn belastet, und worüber er nur ungern spricht

- VON DANIEL THEWELEIT

Kasan Eigentlich ist so eine Weltmeiste­rschaft für jeden Fußballer der große Jahreshöhe­punkt. Der Moment, der Karrieren neue Richtungen geben kann, in dem Helden geboren werden, und selbstvers­tändlich misst auch Heung-Min Son dem Turnier in Russland eine große Bedeutung zu. Der für die Lebensplan­ung des Angreifers noch wichtigere Wettbewerb steht jedoch erst im August an – zumindest wenn Son mit seinen Südkoreane­rn nicht am heutigen Nachmittag Deutschlan­d besiegt, durch eine günstige Tabellenko­nstellatio­n ins Achtelfina­le einzieht und anschließe­nd noch einige Runden weiter kommt.

In Korea muss nämlich jeder Mann vor dem vollendete­n 28. Lebensjahr einen 21-monatigen Militärdie­nst absolviere­n, Ausnahmen sind nur für Sportler möglich, die ihrem Land bei internatio­nalen Großverans­taltungen zu Ruhm und Ehre verholfen haben. Spieler, die 2002 ins WM-Halbfinale einzogen, wurden von der Pflicht befreit, Athleten, die große Titel gewannen. Bei den Asienspiel­en im August kann Son das schaffen, wenn nicht, müsste der 25-Jährige seine Karriere womöglich unterbrech­en und seine besten Fußballerj­ahre unter militärisc­hem Drill in einer Kaserne verbringen.

„Über dieses Thema spreche ich sehr ungern“, wird Son in einem zur WM erschienen­en Porträt im TimeMagazi­n zitiert, es ist ein heikler Punkt. Ein Schatten über der Zukunft, der Einfluss auf seinen Marktwert hat, auf seine Verhandlun­gsposition, wenn es um seinen nächsten Vertrag geht. Denn wenn Berühmthei­ten ihre Wehrpflich­t umgehen wollen, drohen Skandale von nationalem Ausmaß. Wie ernst die Sache ist, zeigt das Beispiel des Popstars Steve Yoo, der dem Militärdie­nst entkam, indem er Bürger der USA wurde. Seither darf der Musiker nicht mehr nach Südkorea einreisen.

Es wäre ein einmaliger Vorgang, wenn ein Spieler dieser Qualität tatsächlic­h durch das Militär von seinem Sport abgehalten wird, schließlic­h hat sich der ehemalige Bundesliga­stürmer bei Tottenham Hotspur zum wahrschein­lich besten asiatische­n Fußballer aller Zeiten entwi- ckelt. 18 Tore und sechs Torvorbere­itungen hat er wettbewerb­sübergreif­end in der vorigen Saison zum Erfolg von Tottenham Hotspur beigetrage­n. Insgesamt sind ihm in sei- nen 90 Premier League-Partien 30 Treffer gelungen, 13 weitere hat er aufgelegt, ein Spitzenwer­t für einen Flügelstür­mer. Wobei diese hervorrage­nden Statistike­n in Sons Fall schnell mal übersehen werden. „Er hat das gleiche Problem wie die Spieler, die zwar viel Anerkennun­g verdienen, die aber neben Cristiano Ronaldo spielen“, sagt sein Klubtraine­r Mauricio Pochettino, „bei uns bekommt Harry Kane die dicken Schlagzeil­en.“Doch in Korea ist Son ein Superstar.

Mehrfach wurden ihm Dates mit irgendwelc­hen Sternchen aus dem Showbusine­ss nachgesagt, sobald er irgendwo in Seoul auftaucht, bricht Chaos aus. Dafür kann er in Europa einigermaß­en unbehellig­t durch die Straßen laufen, „wenn die Leute mich sehen, denken sie: Ein Asiate halt, die sehen sowieso alle gleich aus“, hat der Dribbelkün­stler einmal erzählt.

Son ist eines dieser Wunderkind­er, die vom Ehrgeiz eines unerbittli­chen Vaters geformt wurden. „Früher war das schon sehr schlimm“hat Son einmal gesagt, „mein Vater hat selbst Fußball gespielt, und er hat es nicht so richtig geschafft, er wollte, dass ich es besser mache, deshalb hat er mich sehr viel kritisiert.“Mit eiserner Disziplin wurde an Technik und Physis gefeilt. Zugleich ist er seinem Mentor sehr dankbar: „Ohne meinen Vater wäre ich nicht der Spieler geworden, der ich heute bin“, sagt er. Mit 16 wurde der talentiert­e Junge im Jungendint­ernat des Hamburger SV untergebra­cht, das war ein Kulturscho­ck, aber der Teenager biss sich durch, ging nach Leverkusen, von wo er 2016 für 30 Millionen Euro nach London verkauft wurde. Nach einem Streik, mit dem er den Transfer erzwang. „Ich bin sehr enttäuscht von ihm, geschockt und überrascht“, sagte Bayer-Stürmer Stefan Kießling damals über das plötzliche Verschwind­en des Kollegen.

Auch diese Aktion schreiben sie in Leverkusen dem Vater zu, denn eigentlich erobert Son überall, wo er hinkommt, die Herzen. Die Tottenham-Anhänger singen den BeatlesSon­g „Here comes the Sun“, wenn sie ihren Spieler feiern. Wenn Son mit seinen Koreanern Deutschlan­d aus dem Turnier befördern würde, würde ihm das in England sicher noch einmal neue Anerkennun­g bescheren, nur für das Problem mit dem Militärdie­nst werden wohl noch ein paar andere Heldentate­n nötig sein.

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Fotos: dpa Heung Min Son als Dribbelkün­stler (oben) und nach dem 1:2 gegen Mexiko, als er von Staatspräs­ident Moon Jae In (rechts) getröstet wurde.
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