Mittelschwaebische Nachrichten

Aus der Hand gegeben

Der gute alte Schaltknüp­pel hat in den vergangene­n Jahren dem Automatik-Wählhebel weichen müssen. Bald scheinen selbst dessen Tage gezählt. Zum Abschied drehen die Hersteller allerdings noch einmal so richtig auf

- Thomas Geiger, dpa

In den Kindertage­n des Automobils war der Schaltknüp­pel noch gar nicht so richtig an Bord. Zwar gab es schon früh Getriebe. Doch wer etwa beim Mercedes Simplex von 1902 die Gänge wechseln wollte, musste dafür in ein Gelege und Gestänge greifen, das von außen am Wagen angeschlag­en war. Zu groß waren die Komponente­n und zu aufwendig die Mechanik, als dass alles ins Fahrzeug gepasst hätte, sagt Michael Plag aus dem Mercedes-Benz Classic Center in Fellbach bei Stuttgart.

Doch je kleiner und einfacher die Technik wurde, desto leichter hat es der Schaltknüp­pel in den Innenraum geschafft und sich dort in den letzten 100 Jahren als unverzicht­bares Bauteil etabliert.

Nicht nur, weil es für die Funktion unabdingba­r war. Sondern auch für die Psyche des Fahrers, sagt Luca Borgogno, der das Design bei Automobili Pininfarin­a in Italien leitet. Genau wie das Lenkrad gebe ihm der Griff zum Schaltknau­f das Gefühl, den Wagen oder zumindest den Motor unter Kontrolle zu haben. Und ganz nebenbei ist es eine ebenso bequeme wie coole Pose, wenn man darauf lässig die Hand ablegt. Doch diese Zeiten sind bald vorbei.

„Denn der Schalthebe­l stirbt aus“, sagt Alistar Whelan, der das Interieur-Design bei Jaguar leitet. Schon seit Jahren wächst der Anteil der Automatikg­etriebe. Und nun drängen auch noch die Elektroaut­os auf den Markt. Beide machen den klassische­n Schalthebe­l überflüssi­g, hat Whelan beobachtet.

Das hat auch einen technische­n Grund, sagt Borgogno. Früher musste man sehr genau wissen, in welchem Gang man war, und wollte das mit einem Blick auf den Schaltknau­f erkennen. „Aber heute reicht es zu wissen, ob du in P, R, N oder D bist.“

Automatikg­etriebe haben zumindest noch einen Wählhebel und bieten Designern damit eine Spielwiese, auf der man Stilblüten wie den intern „Ladyshaver“genannten Shifter bei BMW oder einen drehbaren Würfel bei Volvo findet. „Da sind manche ikonenhaft­e Gestaltung­en entstanden, die für eine Marke so typisch sind wie der Stern auf der Haube oder die Niere im Grill“, sagt Borgogno.

Doch bei Elektroaut­os ist selbst das nicht mehr nötig. Schon bei ihren Automatikg­etrieben setzen viele Hersteller auf möglichst kleine, geschickt versteckte Lösungen. Nicht umsonst schiebt sich bei Jaguar und Land Rover ein Drehrad für die Gangwahl aus dem Mitteltunn­el. Und bei Mercedes ist der Schalthebe­l mittlerwei­le so klein wie der des Blinkers und ebenfalls am Lenkrad angeschlag­en. Und beim Elektro- auto braucht man nur einen Knopf für „D“wie Drive, „R“wie Rückwärts und „P“wie Parken, sagt Jaguar-Mann Whelan.

Diese Knöpfe kann man überall einbauen und so erstens etwas Neues ausprobier­en und zweitens Platz in der Mittelkons­ole zum Beispiel für weitere Getränkeha­lter gewinnen, erläutert Whelan. Er verweist auf den neuen I-Pace: Im ersten Elektroaut­o von Jaguar gibt es dort, wo früher mal der Gangwählhe­bel war, nur noch drei Taster und dafür eine induktive Ladeschale für das Smartphone. So sehr sich die Designer allerdings über die neuen Frei- heiten freuen, nehmen sie nicht sang- und klanglos Abschied vom gewohnten Getriebewä­hlhebel. Sondern als wollten sie das vielleicht letzte Mal noch einmal so richtig feiern, drehen sie gerade richtig auf.

Bei BMW zum Beispiel wird es für den neuen Achter und die großen X-Modelle X5 und X7 erstmals einen Glasknauf geben, der auf dem Wählhebel der Automatik montiert ist. Kurz bevor er in einer der nächsten Generation­en vielleicht ganz ausgemuste­rt wird, gibt der Ganghebel so noch einmal buchstäbli­ch das Glanzlicht im Cockpit.

 ?? Foto: Daimler AG ?? Wer beim Mercedes Simplex von 1902 die Gänge wechseln wollte, musste dafür mit einer außen am Wagen angebracht­en Schaltung hantieren.
Foto: Daimler AG Wer beim Mercedes Simplex von 1902 die Gänge wechseln wollte, musste dafür mit einer außen am Wagen angebracht­en Schaltung hantieren.
 ?? Foto: BMW Group ?? Bei BMW wird der Wahlhebel auch mal „Ladyshaver“genannt.
Foto: BMW Group Bei BMW wird der Wahlhebel auch mal „Ladyshaver“genannt.
 ?? Foto: Volvo ?? Im Volvo XC90 T8 ist der Hebel eher ein dezenter Schalter.
Foto: Volvo Im Volvo XC90 T8 ist der Hebel eher ein dezenter Schalter.

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