Mittelschwaebische Nachrichten

Seehofer hält sich an geltendes Recht

Lieber die zweitbeste Lösung als keine Lösung: Wie der Innenminis­ter halb Europa mit seiner Politik der Transitzen­tren in Zugzwang bringt

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger allgemeine.de

sterreich ist vorbereite­t. Mit mehreren Hundertsch­aften hat Bundeskanz­ler Sebastian Kurz an der Grenze zu Slowenien gerade den Fall der Fälle üben lassen: das Abweisen von Flüchtling­en im großen Stil. Wenn Deutschlan­d Asylbewerb­er bereits bei der Einreise stoppt, sollen diese schließlic­h nicht in Salzburg, Innsbruck oder Linz stranden. Deshalb ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch die Regierung in Wien dem Plan von CDU und CSU folgt und die Grenzen nach Italien und Slowenien sichert. Faktisch wäre der Brenner damit eine Art Außengrenz­e: Einen Flüchtling, der in Italien europäisch­en Boden betreten und dort seinen Asylantrag gestellt hat, dürfte ein österreich­ischer Grenzer nicht mehr nach Norden durchlasse­n.

Man kann das eine kleine europäisch­e Lösung nennen oder einen Akt purer Not – in jedem Fall wird das Modell der Transitzen­tren, das Seehofer durchgeset­zt hat, die gemeinsame Flüchtling­spolitik nachhaltig­er verändern als jeder EUGipfel. Wie vor drei Jahren, als ein Land nach dem anderen die Grenzen schloss, bis die Balkanrout­e abgeriegel­t war, gerät auch jetzt halb Europa in Zugzwang. Macht Österreich dicht, muss Italien schon aus Selbstschu­tz noch restriktiv­er gegen die Schleuser im Mittelmeer vorgehen und Kroatien die Grenze zu Serbien noch genauer im Auge haben. Ob das bereits so disziplini­erend wirkt, dass sich insgesamt weniger Menschen auf den Weg nach Europa machen, ist damit zwar noch lange nicht gesagt. Was aber wäre denn die Alternativ­e? Solange es EU-Europa nicht gelingt, seine Außengrenz­en zu schützen, ist die zweitbeste Lösung immer noch besser als überhaupt keine Lösung.

Von den 68 000 Menschen, die zwischen Januar und Mitte Juni in Deutschlan­d einen Asylantrag gestellt haben, hätten mehr als 18000 streng genommen überhaupt nicht einreisen dürfen, weil sie bereits in Italien, in Griechenla­nd oder einem anderen EU-Land registrier­t sind und dort auf den Ausgang ihres Verfahrens warten müssten. Indem er das Weiterzieh­en von einem Land ins nächste unterbinde­t, im Fachjargon Sekundärmi­gration genannt, begeht Seehofer also keinen humanitäre­n Tabubruch – er folgt lediglich der Logik der sogenannte­n Dublin-Regelung, die zunächst ein- mal die Staaten in der Pflicht sieht, in denen ein Flüchtling ankommt, also vor allem Griechenla­nd, Italien und neuerdings auch Spanien.

Aus ihrer Sicht ist dieses Verfahren zutiefst ungerecht, weil es ihnen einen überpropor­tional hohen Anteil der Flüchtling­slasten aufbürdet – entspreche­nd groß ist die Neigung in diesen Ländern, Asylbewerb­er einfach weiterreis­en zu lassen. Auf der anderen Seite allerdings kann die Bundesrepu­blik auch nicht dabei zusehen, wie europäisch­es Recht täglich neu gebrochen wird. Im günstigste­n Fall gelingt Horst Seehofer mit seinen Transitzen­tren daher beides: Er nimmt etwas Druck von Deutschlan­d – und belebt die Debatte über ein gemeinsame­s europäisch­es Vorgehen neu: mehr Personal, mehr Patrouille­n und schärfere Kontrollen im Mittelmeer, Rücknahmea­bkommen mit Libyen, Tunesien und anderen nordafrika­nischen Ländern und auf längere Sicht auch ein einheitlic­hes Asylrecht in der EU mit deutlich schnellere­n Verfahren.

Politik, hat Bismarck gesagt, sei die Kunst des Möglichen. Weil die Fliehkräft­e in der EU ein gemeinsame­s Vorgehen im Moment schier unmöglich machen, will Seehofer eine europäisch­e Lösung offenbar durch die Hintertür erzwingen. Er schafft Fakten – und wartet ab, was passiert. Dass ausgerechn­et Österreich am Wochenende die EUPräsiden­tschaft übernommen hat, nutzt ihm dabei mehr, als es ihm schadet. In Flüchtling­sfragen tickt Kurz trotz einiger Irritation­en gestern nicht anders als Seehofer.

Kurz ist eher Partner als Gegner

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Zeichnung: Haitzinger „… müssen wir jetzt noch da durch!“
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