Mittelschwaebische Nachrichten

Ein Kompromiss mit Fragezeich­en

Die Union will Flüchtling­e künftig in einer Art Niemandsla­nd im Grenzgebie­t zu Österreich festhalten. Doch es gibt Zweifel, ob die Pläne juristisch haltbar sind. Und auch der Sinn der Maßnahme steht infrage

- VON MARGIT HUFNAGEL

Augsburg Und plötzlich scheint alles ganz schnell zu gehen: Transitzen­tren sind es, die den ultimative­n Bruch zwischen den Schwesterp­arteien CDU und CSU verhindern sollen. Was aber verbirgt sich hinter dieser Einrichtun­g? Was sagt Österreich? Und wo liegt der Unterschie­d zu den Ankerzentr­en?

Worauf haben sich CDU und CSU geeinigt?

Das Wort klingt vertraut: Transitzen­tren sollen das fehlende Puzzleteil im Asylstreit innerhalb der Union bilden. Diese Einrichtun­gen waren schon einmal im Gespräch, als die Flüchtling­skrise im Jahr 2015 ihren Höhepunkt erreichte. Allerdings sollten damals alle Flüchtling­e in solchen Zentren untergebra­cht werden und auch die Flüchtling­szahlen waren deutlich höher als heute. Verhindert wurden die Zentren vor drei Jahren übrigens von der SPD – Sigmar Gabriel legte Widerspruc­h ein.

Wie sehen die bislang bekannten Details des Seehofer-Planes aus?

An der österreich­ischen Grenze sollen Asylbewerb­er, für deren Asylverfah­ren andere EU-Länder zuständig sind, an der Einreise gehindert werden. Sie sollen in Transitzen­tren kommen, aus denen die Asylbewerb­er direkt zurückgewi­esen werden. „Dafür wollen wir nicht unabgestim­mt handeln, sondern mit den betroffene­n Ländern Verwaltung­sabkommen abschließe­n oder das Benehmen herstellen“, heißt es im Kompromiss­papier. Wenn Länder sich einer Rücknahme verweigern, soll „die Zurückweis­ung an der deutsch-österreich­ischen Grenze auf Grundlage einer Vereinbaru­ng mit der Republik Österreich“stattfinde­n.

Es ist von „Fiktion der Nichteinre­ise“die Rede – was bedeutet das?

Im Aufenthalt­sgesetz heißt es: „Der Ausländer hat eine Grenzüberg­angsstelle erst dann passiert, wenn er die Kontrollst­ationen der Grenzpoliz­ei und des Zolls, so weit an den EUAußengre­nzen vorhanden, hinter sich gelassen hat und sich frei in Richtung Inland bewegen kann.“Anders gesagt: Wer in einem Transitzen­trum untergebra­cht ist, ist noch nicht nach Deutschlan­d eingereist – zumindest theoretisc­h. Ein ähnliches Verfahren gibt es an Flughäfen. Auch dort können Menschen an der Einreise gehindert und festgehalt­en werden, wenn ihr Aufenthalt in Deutschlan­d illegal wäre. Sie werden dort in geschlosse­nen Transitzon­en unter Aufsicht der Grenzkontr­ollbehörde­n untergebra­cht und gelten als noch nicht eingereist. Die Gewerkscha­ft der Polizei (GdP) hält die Pläne für eine Luftnummer und argumentie­rt juristisch. „An der Binnengren­ze ist die Einreise mit Überschrei­ten der Grenzlinie vollzogen, es kann dort keinen Transitber­eich geben“, urteilt GdP-Vize Jörg Radek. Die bislang nur für das Flughafenv­erfahren geltenden Regeln ließen sich nicht einfach auf eine Landesgren­ze innerhalb der EU übertragen, meint er. Auch Österreich­s Innenminis­terin Karin Kneissl hat rechtliche Bedenken. Die „Fiktion einer Nichteinre­ise“nach Deutschlan­d bezeichnet sie als „eine Fiktion, mit der ich als Juristin nicht ganz zurechtkom­me“. Denn: „Wer auf deutsches Staatsgebi­et eingereist ist, ist dort.“ Damit der Plan aufgeht, muss zunächst ein Abkommen mit Österreich ausgehande­lt werden. In Wien zeigt man sich zurückhalt­end – gibt aber auch zu verstehen, dass man auf die deutschen Pläne reagieren werde. Die Grenze nach Italien und Slowenien könnte künftig stärker gesichert werden, ein Dominoeffe­kt ist zu erwarten. Für Urlauber, die in den nahenden Sommerferi­en in Richtung Süden fahren, könnte dies zusätzlich­e Staugefahr am Brenner bedeuten. Italiens Innenminis­ter Matteo Salvini befürworte­t zusätzlich­e Kontrollen am Brenner: „Für uns wäre das ein gutes Geschäft.“Denn es seien mehr Migranten, die Italien an Österreich abzugeben habe, als andersheru­m.

Wie groß ist der Andrang von Flüchtling­en an der bayerisch-österreich­ischen Grenze überhaupt?

Die Bundespoli­zeidirekti­on München stellte von Januar bis Mai 2018 rund 4600 unerlaubte Einreisen über die deutsch-österreich­ische Grenze fest, sagt Matthias Knott, Pressespre­cher der Bundespoli­zeidirekti­on München, gegenüber unserer Zeitung. „Neben den drei stationäre­n Kontrollen erfolgt die Kontrolle der übrigen grenzübers­chreitende­n Verkehrswe­ge lageangepa­sst und flexibel.“Allerdings sind längst nicht alle diese Menschen bereits in einem anderen EU-Land registrier­t. Auch aufgrund dieser Zahlen übt die Polizeigew­erkschaft Kritik. Radek sagt, in den anderen Grenzberei­chen seien es 33 823 Fälle gewesen. „Die Grenzen zu Belgien und den Niederland­en sind offen wie ein Scheunento­r“, sagte Radek. Die Landesregi­erung von Nordrhein-Westfalen sträube sich gegen eine effektive Schleierfa­hndung im 30-KilometerS­treifen an der Grenze.

Sind Transitzen­tren auch in anderen Grenzregio­nen geplant?

Bislang deutet tatsächlic­h alles darauf hin, dass die Bayern einen Sonderweg gehen. Geäußert hat sich etwa der stellvertr­etende Ministerpr­äsident von Baden-Württember­g. Thomas Strobl hält Transitzen­tren an baden-württember­gischen Außengrenz­en nicht für notwendig. „Die Bundespoli­zei hat die Lage an den baden-württember­gischen Grenzen im Griff. Insofern drängt sich die Frage bei uns derzeit nicht auf“, sagt der baden-württember­gische Innenminis­ter und CDU-Bundesvize. Sein nordrhein-westfälisc­her Parteifreu­nd Armin Laschet vertritt die gleiche Haltung. In Nordrhein-Westfalen werden keine Transitzen­tren eingericht­et.

Wie reagieren Flüchtling­sorganisat­ionen auf das Vorhaben?

Der Vorstandss­precher von Terre des Hommes, Albert Recknagel, fordert die SPD auf, „diesen Irrweg zu stoppen“. Er nennt den Unions-Kompromiss „inhuman“. Geschlosse­ne Transitzen­tren, in denen Erwachsene und Kinder ausharren müssten, verletzten „massiv“die Rechte der Flüchtling­e. Die Union gebe „eine menschen- und kinderrech­tlich orientiert­e Asylpoliti­k auf“.

Hatten sich Kanzlerin Angela Merkel und Horst Seehofer nicht erst auf Ankerzentr­en geeinigt?

In den geplanten Einrichtun­gen sollen Schutzsuch­ende das gesamte Asylverfah­ren durchlaufe­n – Ankunft, Entscheidu­ng, kommunale Verteilung beziehungs­weise Rückführun­g (kurz: Anker), während es in den Transitzen­tren nur ein Schnellver­fahren gibt. Seehofer will Ankerzentr­en deutschlan­dweit einrichten, stößt aber bei vielen Bundesländ­ern auf Widerstand. Ebenfalls noch vor Umsetzungs­problemen stehen die beim letzten EUGipfel beschlosse­nen Aufnahmeze­ntren außerhalb der EU. Bisher hat sich kein Land etwa in Nordafrika bereit erklärt, solche Lager zu beherberge­n. Noch ein drittes Zentrum ist im Gespräch. Auch für bereits im EU-Ausland registrier­te Migranten sollen Lager geschaffen werden. Es geht um Menschen, die in einer 30-Kilometer-Zone um die Grenze aufgegriff­en werden.

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Foto: Daniel Karmann, dpa In der Erstaufnah­meeinricht­ung für Flüchtling­e in Zirndorf laufen Kinder über das Gelände. Geht es nach den Plänen von CDU und CSU, kommen künftig deutlich weniger Migranten nach Deutschlan­d.

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