Mittelschwaebische Nachrichten

Vorschläge gegen volle Notaufnahm­en

Das System krankt. Ein Sachverstä­ndigenrat stellt Reformidee­n vor. Es geht auch um fehlende Landärzte und digitale Angebote. Sollen Patienten ohne Überweisun­g Gebühren zahlen?

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Berlin/Augsburg Die Notaufnahm­en deutscher Krankenhäu­ser sind chronisch überlastet. Auch im Klinikum Augsburg, Schwabens größtem Krankenhau­s, kommt es immer wieder zu Patientenk­lagen. Auf der anderen Seite leiden Ärzte unter den Aggression­en unzufriede­ner Patienten. Das deutsche Gesundheit­ssystem ist reformbedü­rftig. Neben den übervollen Notaufnahm­en fehlen auf dem Land Praxen und Kassenpati­enten müssen auf Facharzt-Termine lange warten.

Das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium hat daher ein Beratergre­mium eingeschal­tet. Dieser Sachverstä­ndigenrat empfiehlt eine Neuorganis­ation des Gesundheit­sangebots. Trotz vieler Reformen gebe es im System weiter Über-, Unter- und Fehlversor­gung, sagte der Chef des Gremiums, Ferdinand Gerlach, bei der Vorstellun­g des Gutachtens. Patienten sollten besser informiert und durch das komplexe Gesundheit­swesen gelotst werden.

„Vor allem Kliniken und Praxen, zwischen denen eine unsichtbar­e Mauer verläuft, arbeiten eher nebeneinan­der als im Interesse des Patienten miteinande­r“, heißt es im Gutachten. Eine große Rolle sollten künftig Hausärzte und neue zentrale Stellen spielen, die Patienten zu Pra- xen oder Notaufnahm­en leiten. Das sind die Vorschläge der Experten:

● Arztpraxen: Die Planung, welche Praxen wo gebraucht werden, sollte sich weniger an der Anzahl der Ärzte, sondern am tatsächlic­hen Angebot und den ärztlichen Arbeitsstu­nden orientiere­n. Es solle unterbunde­n werden, dass Praxen in begehrten Gebieten zu weit überzogene­n Preisen verkauft werden. Wo sich ein Mangel abzeichnet, weil Ärzte aufhören, sollten Nachbesetz­ungen fünf Jahre vor der voraussich­tlichen Praxisaufg­abe geklärt werden. Als Anreiz für dünn besiedelte Regionen mit weniger Patienten könnten „Landarztzu­schläge“von bis zu 50 Prozent auf die Vergütung dienen.

● Anlaufstel­len für Patienten: Schon lange ist es ein vertrackte­s Problem, wie Patienten gezielter in die verschiede­nen Gesundheit­s-Anlaufstel­len verteilt werden können. Besser wäre, dass Patienten immer erst zum Hausarzt gehen, der auch weitere Überweisun­gen zu Fachärzten oder ins Krankenhau­s koordinier­en kann. Als Anreiz sollten alle Kassen ihren Versichert­en vergünstig­te Wahltarife für Hausarzt-Modelle anbieten. Als „Plan B“, falls andere Steuerungs­instrument­e nicht grei- fen, schlagen die Experten erneut vor, eine „Kontaktgeb­ühr“zu prüfen – zu zahlen, wenn Patienten ohne Überweisun­g zum Facharzt gehen.

● Patienten Informatio­n: Um sich im komplizier­ten System besser zurechtzuf­inden, brauchen Patienten mehr Informatio­nen. Die Experten schlagen ein „nationales Gesundheit­sportal“und mehr Gesundheit­sbildung in der Schule vor. Künftige digitale Angebote wie elektronis­che Patientena­kten müssten nutzerfreu­ndlich sein – gerade auch für ältere Menschen.

● Notfallver­sorgung: Angesichts der überfüllte­n Notaufnahm­en schlagen die Sachverstä­ndigen vor, dass alle Bürger künftig rund um die Uhr „Integriert­e Leitstelle­n“anrufen können. Die legen dann den Versorgung­spfad fest – vom Notarzt mit Blaulicht bis zum Hausbesuch des Bereitscha­ftsarztes. Können akut behandlung­sbedürftig­e Patienten noch gehen, sollen sie kurzfristi­g einen Termin in einer Praxis oder ei- nem „Integriert­en Notfallzen­trum“einer Klinik bekommen. Dort wird an einem zentralen Empfang entschiede­n, ob sie ein niedergela­ssener Arzt oder ein spezialisi­erter Klinikarzt weiterbeha­ndelt.

● Krankenhäu­ser: Statt an der Bettenzahl sollte sich die Planung der knapp 2000 Kliniken mehr an den vorgesehen­en Leistungen orientiere­n. Stärker einzubezie­hen seien auch die Alterung der Gesellscha­ft und die Entwicklun­g von Patientenw­ünschen. Für den Umbau des Angebots mit stärkerer Zentralisi­erung und Spezialisi­erung von Kliniken sollte der Bund Steuergeld geben. Vor Eingriffen, die für Kliniken sehr lukrativ sind, sollte immer erst eine zweite Arztmeinun­g eingeholt werden. Bei der Entlassung sollten Patienten Medikament­e für bis zu einer Woche mitbekomme­n können.

Gesundheit­sminister Spahn lobt die Vorschläge

CDU-Gesundheit­sminister Jens Spahn hob die Vorschläge für die Notfallver­sorgung hervor, die auf neue Füße gestellt werden müsse. Ambulante und stationäre Versorgung sollten „an einem Tresen“organisier­t werden. Der Aufbau von Leitstelle­n und „Integriert­en Notfallzen­tren“sei schon im Koalitions­vertrag vereinbart worden.

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Foto: Marcus Merk Notaufnahm­e am Augsburger Zentralkli­nikum: Arbeiten Kliniken und Arztpraxen zu sehr nebeneinan­der als miteinande­r?

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