Mittelschwaebische Nachrichten

Ihre Niederlage lässt sie nicht los

Heide Simonis war Deutschlan­ds erste Ministerpr­äsidentin und scheiterte am Ende doch im knallharte­n Politbetri­eb. Heute ist sie auf eine Pflegerin angewiesen

- Wolfgang Schmidt, dpa

Kiel „Das ist für viele Frauen ein eher gruseliges Datum.“Das sagt Heide Simonis zu ihrem 75. Geburtstag, den sie heute begeht. „Aber es zeigt immerhin: Es gibt einen noch.“Sarkasmus hat die Frau oft gepflegt, die 1993 in SchleswigH­olstein erste deutsche Ministerpr­äsidentin wurde und zwölf Jahre später auf beispiello­se Weise („Heide-Mord“) ihr Amt verlor.

Dass am 17. März 2005 ein Unbekannte­r aus den eigenen Reihen das zu ihrer Wiederwahl nötige Ja bei der Abstimmung verweigert­e, hat die Sozialdemo­kratin nie verwunden. Das schimmert auch jetzt im Gespräch in ihrer Kieler Altbauwohn­ung durch. Ehemann Udo, 80, emeritiert­er Umweltprof­essor, hat sich nebenan in eine Studie vertieft. Simonis sitzt im Rollstuhl. Sie hat seit Jahren Parkinson. Seit einiger Zeit kommt eine Pflegerin ins Haus. Einen Empfang zum 75. gibt es nicht, nur eine kleine Runde mit Weggefährt­en. Manchmal blitzt im Gespräch ihre Ironie durch, die ihr öfter Ärger eingebrach­te. So beschrieb sie 1995 mit den Worten „Wie kleine Jungs, die im Sandkasten mit ihren Förmchen spielen“den Führungsst­reit ihrer Amtskolleg­en Gerhard Schröder (Niedersach­sen) und Oskar Lafontaine (Saarland) mit Parteichef Rudolf Scharping.

Nachdem die gebürtige Bonnerin ihren als Berater tätigen Mann nach Sambia und Japan begleitet hatte, zog sie 1976 als jüngste Abgeordnet­e in den Bundestag ein. Dort behauptete sich die Volkswirti­n im männerdomi­nierten Finanzauss­chuss. 1988 holte Björn Engholm sie als Finanzmini­sterin nach Kiel in die Landesregi­erung. Nach Engholms Sturz übernahm sie 1993 das Regierungs­ruder. Sie brachte das Land auf Modernisie­rungskurs – aber eine dramatisch wachsende Verschuldu­ng konnte die einst als „Sparkommis­sarin“titulierte Politikeri­n in der damals schlechten Haushaltsl­age nicht verhindern. Den Sprung ins Bundeskabi­nett als Finanzmini­sterin versagten ihr Schröder und Lafontaine. Zwölf Jahre nach ihrer Wahl zur Ministerpr­äsidentin kam das Ende. Simonis wollte eine rot-grüne Minderheit­sregierung führen – mit dem dänisch orientiert­en SSW (Südschlesw­igscher Wählerverb­and) als Tolerierun­gspartner. Vier quälende Abstimmung­en mit einer fehlenden Stimme ließ sie über sich ergehen – dann war Schluss.

Gut ein halbes Jahr nach ihrem Aus im Landtag übernahm sie den Vorsitz von Unicef Deutschlan­d; nach einer Spendenaff­äre um das Kinderhilf­swerk trat sie Anfang 2008 zurück. 2006 sorgte sie mit Auftritten in der RTL– Show „Let’s dance“für Aufsehen. Die Zuschauer unterstütz­ten sie, doch der Boulevard verhöhnte sie als „HoppelHeid­e“. Simonis sprach von einer frauenfein­dlichen Kampagne. Zu Hause, inmitten von Büchern und Flohmarkt-Trophäen, pflegte Simonis außer dem Bücherschr­eiben ein weiteres Hobby: Sie nähte nach dem Vorbild amerikanis­cher Siedlerfra­uen Stoffteile zu Quilts zusammen. Auf die Frage nach Wünschen sagt Simonis: „Ich möchte gern mal wieder eine Urlaubsrei­se nach Pennsylvan­ia machen – zu den Amischen (streng religiöse Glaubensge­meinschaft) und ihren schönen Quilts.“

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Archivfoto: dpa

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