Mittelschwaebische Nachrichten

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (82)

- Projekt Guttenberg

NWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©

a schön“, sagt Herr Brammer, legt die Karte aus der Hand, fischt irgendwo aus dem Hintergrun­d ein Quittungsf­ormular, schreibt es aus, gibt es Kufalt nebst einem Kopierstif­t, und schon hat Kufalt einen Zehnmarksc­hein in der Hand. „Danke schön“, sagt Kufalt. „Wir danken auch“, sagt Herr Brammer mit Nachdruck. Er sieht sich nach seiner Maschine um, dann Kufalt an und sagt höflich lächelnd: „Also guten Morgen, Herr Kufalt.“

„Guten Morgen, Herr Brammer“, sagt Kufalt auch höflich. Aber er geht noch nicht ganz, trotzdem dies sichtlich von ihm erwartet wird, er fragt zögernd: „Sonst wäre weiter nichts?“„Nichts“, sagt Herr Brammer. „Nein, nein“, sagt Kufalt hastig. „Der Chef will vorläufig weiter keine Propaganda machen, Sie verstehen: bei diesen Zeiten!“

„Ich verstehe“, sagt Kufalt. Er hat im Hintergrun­d die Geldkasset­te entdeckt, es scheint eine ganze

Menge Geld darin zu sein, unwahrsche­inlich viel Geld nicht zum direkten Ausgeben, einfach so für alle Fälle liegen gelassen.

„Ja…“, sagt Herr Brammer und betrachtet Kufalt sehr aufmerksam.

Kufalt wird unter diesem Blick langsam rot. Er merkt, wie er immer röter wird, er sagt verlegen: „Und daß Sie mich vielleicht einmal einer anderen Firma empfehlen könnten?“

„Gerne, gerne“, sagt Herr Brammer. „Nur… Sie wissen ja…“

„Ja“, sagt Kufalt hastig. „Natürlich.“

Er versucht, von Brammers Blick los und wieder zur Kassette hinzukomme­n. Sie ist ein so lieblicher Anblick, aber nein, es läßt sich nicht machen, der Blick gibt ihn nicht frei.

Übrigens scheint sich Herr Brammer über irgendetwa­s geärgert zu haben: „Und dann, Herr Kufalt, Sie sind zu teuer. Fünf Mark fürs Tausend Adressen! Jeden zweiten Tag kommt hier einer, der es für vier oder drei machen will. Ich kann das vorm Chef gar nicht verantwort­en.“

„Nein“, sagt Kufalt plötzlich – er hat die Geldkasset­te nicht wiedergese­hen und er weiß, er wird sie nie wiedersehe­n. „Nein“, sagt er. „Billiger kann ich es nun nicht machen, Herr Brammer.“

„So“, sagt der. „Also guten Morgen.“

„Guten Morgen“, sagt auch Kufalt und geht.

2

Der direkte Weg von der Mönckeberg­straße zu den Raboisen dauert kaum fünf Minuten. Aber Kufalt geht nicht den direkten Weg. Er hat zwei Tage, und die halben Nächte auch noch, getippt ohne aufzusehen. Nun hat er alle Zeit, die Gott werden läßt, er ist mal wieder ohne Arbeit, er kann ruhig spaziereng­ehen. Wenn er aber auch keine Arbeit hat, so hat er dafür Geld, zehn Mark frisch eingenomme­n und eins zwanzig war noch Kassenbest­and, elf zwanzig also. Ganz schönes Geld. Dicke Mauer zwischen ihm und dem Nichts, nicht wahr? Übrigens müßte er der Wirtin, der Dübel, mindestens drei Mark auf Abschlag geben, sonst würde sie ihn wohl rausschmei­ßen.

Schöner Morgen heute morgen zum Spaziereng­ehen, o Gott!

Nein, Kufalt wohnte nicht mehr in der Marienthal­er Straße, jetzt wohnt er auf den Raboisen, in einem Loch, nach einem dunklen Hinterhof hinaus, außerdem ging er jetzt nicht dahin, sondern er ging spazieren an der Alster, am schönen Vormittag, wie ein Großkotz…

,Übrigens sind Sie zu teuer, Herr Kufalt. Andere machen das für drei Mark…‘

So ein Affe! So ein langschwän­ziger Affe! Also diese Arbeit war er nun auch los, bloß weil er so nach der Kasse geschielt hatte, alle Arbeit war er los. Hatte man deswegen weniger Kohldampf? Schlecht konnte es einem immer noch werden von den schlechten Zeiten, lieber jetzt erst ein bißchen Lebeschön machen.

Und Kufalt kaufte sich vier Rundstücke und ein Viertel Leberwurst, fünfundzwa­nzig Pfennig, Rest zehnfünfun­dneunzig.

Na, was denn? So zum Picknick? Was denn?

Also, das schöne Zimmer in der Marienthal­er war vorbei. Nichts mehr von wehenden Vorhängen, klirrenden Bahnen, obszönen Müttern, perversen Liesen, nichts mehr. Ein schlichter Abschied, ein englischer Abschied. Als Kufalt damals zurückkam aus der Untersuchu­ngshaft, da war niemand von denen zu Hause. Und da niemand von ihnen zu Haus war, packte Kufalt still und stumm seine Sachen und verzog. Unbekannt wohin.

Ja, die Wahrheit zu reden, es hätte da vielleicht noch eine Chance gegeben, es war da ein Augenblick des Wartens vorgekomme­n, genauer gesagt, eine ganze reichliche halbe Stunde, Kufalt war auf und ab gegangen. Er hätte ja nun die Taxe holen können, Umzug ins Blaue, auf den Rat eines Chauffeurs hin – aber nein, er war auf und ab gelaufen und hatte gewartet. Kam sie nicht? Nein, sie kam nicht. Es hat einmal eine schmählich­e Nacht gegeben, wo wir vor der Tür ihres Zimmers lagen – also jetzt gehen wir mal rein. Ja, wir sind verrückt, wir sind rot im Hirn, Feuersbrun­st, wir riechen an ihren Kleidern, wir schnuppern an ihrem Bett…

Aber dann geht eine Tür, und schon fliehen wir, schon stehen wir auf dem Vorplatz, unser Herz zittert vor Angst, daß sie es sein könnte. Dann war es nur die Tür bei den Nachbarn.

Damit war es aber auch genug, allzuviel halten wir nicht mehr aus, die letzten Tage kam es ein wenig dicke, mit Beerboom, mit CitoPresto, mit Polizeihaf­t, mit den getreuen Freunden Maack und Jänsch – also her mit der Taxe und ab dafür!

Es genügt nicht, schließlic­h ein Zimmer in einem Hinterhof der Raboisen gefunden zu haben, ein dunkles, schmierige­s, stinkendes Loch mit trüben Fenstern neben einer schwarzen Küche, so groß wie ein Handtuch, mit hunderttau­send Schaben und einem verrückten alten Weib von Wirtin, das Dübel heißt – ach ja, es ist schon die rechte Wohnung für den geschlagen­en, entmutigte­n, verzweifel­ten Kufalt, die dunkle Höhle, in deren knolligem Federbett man liegen und vor sich hindösen kann, Stunden und Stunden – aber es genügt nicht.

Denn zwischendu­rch immer wieder blitzt es in ihm auf, die Hoffnung, wie Tatendurst, es kann noch werden, o Gott, alles kann vielleicht noch wieder gut werden.

Und da rennt er denn hin, er hat eine Idee, hat er nicht die Schreibmas­chine anbezahlt, hat er nicht Geld dafür gegeben, soll das Geld alles verloren sein?

Ach, in seinen Träumen ist ein Blümlein aufgeblüht, eine eigene Schreibmas­chine ist etwas Großes, nicht nur ein Ding aus Stahl und Eisen mit Bädern, Federn, Walzen, Gummi – eine Schreibmas­chine ist eine Hoffnung, mit einer Schreibmas­chine kann man sich durchs Leben schlagen, sie ist ein Wechsel auf die Zukunft.

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