Mittelschwaebische Nachrichten

Das Ende naht

Nach mehr als fünf Jahren ist der NSU-Prozess am Ziel: Am 11. Juli will das Gericht die Urteile sprechen. Zuvor hat Beate Zschäpe noch das Recht auf das letzte Wort – und nutzt es

- Christoph Lemmer und Christoph Trost, dpa

München Es ist der 437. Verhandlun­gstag im NSU-Prozess, Dienstagvo­rmittag, 10.25 Uhr. Der Vorsitzend­e Richter Manfred Götzl fragt in die Runde: „Noch irgendwelc­he Anträge?“Keiner meldet sich. „Dann wird die Verhandlun­g geschlosse­n“, verkündet Götzl – nach mehr als fünf Jahren Prozessdau­er – und ruft die Angeklagte­n am Dienstag für ihre Schlusswor­te auf. Beate Zschäpe fingert an ihrem Mikrofon und rückt es in Position. Sie klappt ihren schwarzen Laptop auf und fummelt einige Blatt Papier heraus. Sie schaut auf die erste Seite und liest: „Hoher Senat, heute möchte ich die Chance der letzten Worte nutzen, was mir zugegebene­rmaßen nicht leichtfäll­t.“Zschäpe spricht schnell, sie klingt ein bisschen nervös. Es falle ihr schwer, sich zu konzentrie­ren, auch wegen der „Jahre in Untersuchu­ngshaft“. Sie erklärt, warum sie sonst im Prozess bis auf eine Ausnahme nie selber gesprochen habe. „Ich habe das Ge- fühl, dass jedes Wort, und sei es von mir noch so ehrlich und ernst gemeint, falsch beziehungs­weise mir nachteilig ausgelegt wird.“Aber jetzt wolle sie doch noch einmal sprechen, ihre Worte enthielten diesmal auch „keinerlei anwaltlich­e Formulieru­ngen“, sagt sie.

An die Familien der Mordopfer, namentlich die Mutter von Halit Yozgat, richtet sie folgende Worte: „Ich bin ein mitfühlend­er Mensch und habe sehr wohl den Schmerz, die Verzweiflu­ng und die Wut der Angehörige­n sehen und spüren können.“Yozgats Mutter hatte schon im ersten Jahr des Prozesses die Frage an Zschäpe gerichtet, ob sie noch ruhig schlafen könne – worauf sich Zschäpe in ihrem Schlusswor­t ausdrückli­ch bezieht. Die Hauptange- klagte beteuert: Wüsste sie, wie ihre Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ihre Opfer ausgewählt haben, sie würde es verraten. Aber: „Ich hatte und ich habe keinerlei Kenntnisse darüber.“Wüsste sie etwas, dann würde sie das „jetzt hier preisgeben, da es für mich keinerlei Grund mehr gibt, etwas zu verschweig­en“. Zschäpe ergänzt: „Leider gibt es nicht mehr als diese Worte des Bedauerns. Ich kann den Hinterblie­benen ihre Angehörige­n nicht mehr zurückgebe­n.“

Zschäpe nutzt ihr Schlusswor­t auch, um über ihre politische Gesinnung zu sprechen. Wohl vor allem an die Mitangekla­gten Ralf Wohlleben und André E. gerichtet sagt sie: „Zwar akzeptiere ich die Meinung und Gesinnung der Mitangekla­gten, habe aber für mich die Entscheidu­ng getroffen, dass rechtes Gedankengu­t für mich keine, aber auch gar keine Bedeutung mehr für mich hat.“An Richter Götzl und den Senat des Oberlandes­gerichts appelliert sie, sich von öffentlich­em oder politische­m Druck nicht beeindruck­en zu lassen und sie nicht „stellvertr­etend“für etwas zu verurteile­n, was sie „weder gewollt noch getan“habe. Dann ist sie fertig.

Drei der vier Mitangekla­gten sagen ebenfalls noch etwas, aber deutlich kürzer. Kurz darauf ist die Sitzung beendet. Draußen vor der Tür stehen die Eltern von Halit Yozgat. Um sie formiert sich gleich ein Pulk. Sie sprechen in Kameras und Mikrofone. „Als Mutter fordere ich Gerechtigk­eit. Gerechtigk­eit, Gerechtigk­eit, Gerechtigk­eit!“, sagt Ayse Yozgat. Nun ist das Gericht am Zug. Am 11. Juli will es sein Urteil sprechen. Die Frage ist: Wird Beate Zschäpe als Mittäterin an allen Morden und Anschlägen des rechtsterr­oristische­n „Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s“zu lebensläng­licher Haft verurteilt? Oder kommt sie mit einer milderen Strafe davon?

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Beate Zschäpe

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