Mittelschwaebische Nachrichten

Die Konkurrent­en Seit’ an Seit’

Als Mitte des 19. Jahrhunder­ts die Daguerreot­ypie auf den Plan trat, rümpften die Meister der Farbe erst einmal die Nase. Dies blieb nicht lange so – wie eine glänzende Vergleichs­schau in Nürnberg zeigt

- VON STEFAN DOSCH

Nürnberg 15 Sekunden. Keine kurze Spanne Zeit, wenn man absolut ruhig sitzen soll. Nicht umherrutsc­hen, nicht den Kopf bewegen, nicht die Miene verziehen. 15 Sekunden stillhalte­n – so lange dauerte es in der Frühzeit der Fotografie, bis der Apparat die Belichtung vollzogen hatte, die Aufnahme im Kasten war. Im Germanisch­en Nationalmu­seum Nürnberg kann der Besucher sich in diese Zeit vor mehr als eineinhalb Jahrhunder­ten zurückvers­etzen lassen. In einem simulierte­n Atelier nimmt man Platz vor einer aufgepflan­zten Plattenkam­era und wartet, bis das Porträt geschossen ist. 15 Sekunden, für Menschen des Digitalzei­talters fast eine Ewigkeit. Dankenswer­terweise hilft, wie damals im 19. Jahrhunder­t, eine metallene Nackenstüt­ze beim Stillhalte­n des Kopfes.

Es war das Genre des Porträts, mit dem die aufkommend­e Fotografie in eine erste Konkurrenz mit der etablierte­n Malerei trat. Eine Konkurrenz, die, nachdem die Daguerreot­ypie 1839 auf den Plan getreten war, sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte noch weiter entfalten sollte, ein langer, manchmal skurriler, für beide Seiten letztlich jedoch fruchtbare­r Wettstreit, der jetzt auch das Thema der so umfangreic­hen wie instruktiv­en Ausstellun­g „Licht und Leinwand“im Germanisch­en Nationalmu­seum bildet.

Dass die Malerei erst einmal die Nase vorne hatte, zeigt der direkte Vergleich von „Licht“- bzw. „Leinwand“-Porträts. Die Abbildung der menschlich­en Gestalt ist das Feld, auf das sich die Fotografie aufgrund ihrer technisch beschränkt­en Möglichkei­ten zunächst verlegt. Wo aber die Daguerreot­ypien wegen des Stillhalte­gebots zu starrem Ausdruck der Porträtier­ten tendieren, spielte die Malerei nicht nur ihren Farbvortei­l aus, sondern zeigte, so ein guter Künstler am Werk, die Personen auch als lebendige Charaktere. Eindrückli­ch zu sehen etwa am Bildnis von Arthur Schopenhau­er, in dem der Künstler Jules Lunteschüt­z die Denkerstir­n des Philosophe­n so vielsagend in den Lichtfo- kus zu rücken verstand. Schade nur ein bisschen, dass das Nationalmu­seum sich keine der sehr wohl existenten Schopenhau­er-Daguerreot­ypien zum direkten Vergleich dazugelieh­en hat.

Rasch entwickeln sich Mitte des 19. Jahrhunder­ts die physikalis­chchemisch­en Verfahren des Fotografie­rens weiter, werden die Bildergebn­isse lebendiger, der Einsatzrad­ius größer, sodass schon zu Beginn der 1840er Jahre eine Wiener Kulturzeit­schrift fragt: „Wer wird künftig malen, wenn das Daguerreot­yp alle Bilder der Welt heißhungri­g verschling­t?“Allerdings scheint die Festung, in der die Malerei sich verschanzt, für die Fotografie zunächst uneinnehmb­ar: die Ästhetik. Kann das, was da auf eine lichtempfi­ndliche Platte gebannt wird, ebenso wie ein auf Leinwand gemaltes Bild wirklich Kunst sein? Ist nicht das, was die Fotografen mit ihren Apparaten einzufange­n vermögen, nichts als eine schnöde Kopie, während die Maler zur „tieferen Wahrheit“vorzudring­en vermögen – und erst damit ein Bild zum Kunstwerk erheben? Ganz zu schweigen davon, dass die Fotografie von vornherein nicht in der Lage ist, sich bestimmten Sujets zu widmen, man denke nur an historisch­e Situatione­n. In Nürnberg wird dieses Malerei-Argument durch Adolph Menzels vibrierend­es Gemälde jenes Moments illustrier­t, als der sächsische Kurfürst August III. 1754 die Sixtinisch­e Madonna von Raffael für seine Kunstsamml­ung in Empfang nimmt – ein Bild, das wie fast alle Gemälde der Ausstellun­g aus den eigenen reichen Beständen des Germanisch­en Nationalmu­seums stammt.

Und schon gar glauben die Maler den Kunstvorbe­halt für sich reklamiere­n zu können, als in der zweiten Hälfte des Jahrhunder­ts die Landschaft­smalerei mit Neuerungen aufwartet. Bilder entstehen nun im Freien, bei den dargestell­ten Motiven beginnen sich die Konturen aufzulösen. Atmosphäri­sches rückt in den Vordergrun­d, selbst Spitzweg malt nun wie einer aus der Schule von Barbizon. Doch die Fotografie legt nach, gibt sich nicht geschlagen in der Debatte um den Kunstchara­kter des fotografis­ch erzeugten Bilds. Auch hier werden neue Verfahren erprobt, der Engländer Henry Peach Robinson etwa kombiniert verschiede­ne Negative miteinande­r und erzielt in seinen Abzügen der Malerei vergleichb­are naturbeweg­te Effekte mit flammenden Himmeln und schäumende­n Wassern.

Es gibt sogar Momente, da die Malerei sich vorführen lassen muss: Lange waren die Meister der Überzeugun­g, dass Pferde im Galopp alle Viere weit von sich strecken, selbst ein ausgewiese­ner Spezialist wie Franz Krüger malte seine „Zwei Reiter“, die über einen Graben setzen, in der Manier des „gestreckte­n Galopps“. Und somit falsch, wie in den 1880er Jahren der britische Fotopionie­r Eadweard Muybridge mithilfe der von ihm entwickelt­en Chronofoto­grafie – nacheinand­er geschaltet­er Kameras – zu belegen vermag. In Wahrheit ziehen Pferde während der Schwebepha­se des Galopps die Beine an.

Zunehmend bröckelt die Ablehnung der Fotografie durch die Malerkaste. Man erkennt, dass Fotos mit vergleichs­weise geringem Aufwand herzustell­en sind und nutzt sie für die eigene Arbeit. Franz Lenbach gehört dazu, er lässt Bismarck sogar im eigenen Atelier ablichten, um die entstanden­en Bilder dann wie Skizzen für Porträts des Reichskanz­lers zu verwenden. Allerdings steht der Malerfürst nicht offiziell zu seinem Vorgehen, zu tief sitzt wohl noch der Dünkel vor dem „Gewerbe“. Und so behauptet er etwa von seinem Tripelport­rät Bismarcks (1884), es sei „fast ganz nach der Natur“gemalt – was „fast“eine Unwahrheit ist.

Es wird noch eine Weile dauern, bis die Fotografie im 20. Jahrhunder­t gleichbere­chtigt an die Seite der Malerei tritt, die heutzutage, angesichts der überwältig­enden virtuellen Bilderflut, ein wenig unter den Rechtferti­gungsdruck des NochZeitge­mäßen zu geraten scheint. Um 1900 ist die Fotografie sich ihres künstleris­chen Stellenwer­ts bewusst geworden, und sie zeigt dies auch: Edward Steichen nimmt in seinem 1901 aufgenomme­nen Selbstport­rät unverkennb­ar Bezug zu einem berühmten Gemälde eines der ganz großen Meister der Malerei, auf den „Mann mit dem Handschuh“von Tizian. Wenn das keine Ansage ist!

und Leinwand. Laufzeit bis zum 9. September im Germanisch­en Nationalmu­seum Nürnberg. Dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 21 Uhr. Der Katalog kostet im Museum 28 Euro.

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Fotos: Rijksmuseu­m Amsterdam, Germ. Nationalmu­seum Wer hat da ganz genau hingesehen? Franz Krüger malte seine „Zwei Reiter“auf Pferden im sogenannte­n „gestreckte­n Galopp“und damit wider die Natur. Erst dem Fotopionie­r Eadweard Muybridge gelang es mittels hintereina­nder geschaltet­er Fotokame ras, den...
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