Mittelschwaebische Nachrichten

Jobcenter soll zahlen

Zwei Kläger aus dem Kreis Günzburg haben einen Rechtsstre­it mit dem Landratsam­t in zweiter Instanz gewonnen. Die Behörde will das nicht akzeptiere­n. Hat das Urteil Bestand, könnte es Bedeutung für eine Reihe von Hartz-IV-Empfängern haben

- VON CHRISTIAN KIRSTGES

Zwei Kläger aus dem Kreis Günzburg haben einen Rechtsstre­it mit dem Landratsam­t in zweiter Instanz gewonnen. Die Behörde will das nicht akzeptiere­n. »

Landkreis Kritik am Jobcenter des Landkreise­s Günzburg ist in den vergangene­n Jahren immer wieder laut geworden. Häufig ging es dabei auch darum, dass die von der Behörde zuerkannte Mietzahlun­g nicht reiche, um überhaupt eine adäquate Wohnung zu finden. Der JobcenterL­eiter und auch Landrat Hubert Hafner hatten jedoch immer betont, dass die Zahlungen genügten, da ein unabhängig­es Büro extra ein Konzept dafür erstellt habe. Dieses orientiere sich am Wohnungsma­rkt und sei fundiert, die große Mehrheit der Hartz-IV-Empfänger im Landkreis könne sich eine Wohnung leisten. Der Mietervere­in und andere Organisati­onen hingegen bezeichnet­en das Konzept als schöngerec­hnet, zu den angesetzte­n Preisen gebe es einfach nichts. Den Rat des Mietervere­ins, sie notfalls vom Sozialge- richt überprüfen zu lassen, haben eine Frau und ihr Sohn nun mit Erfolg in die Tat umgesetzt.

Die Klägerin ist 1955 geboren, ihr Sohn ist 27 Jahre alt. Sie erhalten als Bedarfsgem­einschaft die Grundsiche­rung und leben in einer 90 Quadratmet­er großen Vier-ZimmerWohn­ung, seit dem 1. Januar 2013 kostet sie 400 Euro Grundmiete, 60 Euro Nebenkoste­n und 65,50 Euro für die Heizung. Insgesamt sind es also 525,50 Euro. Am 26. August 2014 wurden sie auf die seit dem 1. Januar desselben Jahres geltende Mietobergr­enze von 334,75 Euro zuzüglich der Heizungsko­sten hingewiese­n. Zum 1. März 2015 sollten die Kosten begrenzt werden. Für die Zeit vom 1. April bis 30. September des Jahres wurden pro Monat 328,30 Euro bewilligt. Weil der Sohn ab dem 13. September sein 25. Lebensjahr vollende, müsse er eine eigene Bedarfsgem­einschaft bilden.

Mit einigen Widersprüc­hen und einem Gerichtsen­tscheid zugunsten des Landkreise­s gab es daraufhin ein Hin und Her, bis das Landessozi­algericht in der nächsten Instanz am

19. April dieses Jahres schließlic­h feststellt­e: Das Jobcenter muss den Klägern für die Zeit vom 1. April bis

30. September 2015 doch für Unterkunft und Heizung 331 Euro und einen Cent mehr zahlen. Die Revision hat das Gericht dabei nicht zugelassen. Der Rechtsanwa­lt von Mutter und Sohn, Wolfgang Schubaur aus Burgau, sagt dazu, dass der Land- kreis höchstens eine Nichtzulas­sungsklage beim Bundessozi­algericht einlegen könnte. Das sei aber nicht realistisc­h, weil sie voraussetz­en würde, dass bestimmte Fragen zu diesem Thema noch nicht geklärt seien. Doch es sei „ausreichen­d besprochen“. Das Landessozi­algericht entschied jetzt zugunsten der Kläger, weil ihm die Datengrund­lage des Mietkonzep­ts des Landkreise­s zu gering war, wie aus dem Urteil hervorgeht, das Schubaur erst vor wenigen Tagen zuging und auch unserer Zeitung vorliegt. Es seien zu geringe Vergleichs­mieten herangezog­en worden, wobei sich auch die Frage stelle, ob es überhaupt genug vergleichb­aren Wohnraum im Landkreis gebe. Das Gericht fand dies nicht plausibel geklärt. Man hätte eine Wohngeldta­belle für das Bundesgebi­et als Richtschnu­r nehmen müssen. Schubaur sagt, er habe zu diesem Thema einige ruhende Verfahren, die er jetzt wieder aufnehmen werde. Rückwirken­d für zwei Jahre könnte eine Überprüfun­g der Mietsätze beantragt werden, darauf gebe es auch einen rechtliche­n Anspruch. Deshalb könnten auf den Landkreis erhebliche Nachzahlun­gen zukommen, wenn alle Betroffene­n davon Gebrauch machen. Wie viele Fälle es gibt, wisse er nicht, weil ja auch Kollegen Mandanten in diesem Bereich hätten. Er selbst hatte 15 bis 20 Mandanten und aktuell noch sieben zu diesem Thema.

Wenn man die fortlaufen­den Nummern der Aktenzeich­en zur Grundlage nehme, schätzt er die Zahl der Widersprüc­he auf 300 im Jahr. Die nun entschiede­ne Klage sei die erste bei ihm gewesen, bei der er so weit war, vor Gericht zu gehen. Seiner Erfahrung nach hätten die Probleme erst begonnen, als das Jobcenter dieses Konzept nutzte. Die Unterkunft­skosten hätten einfach nicht gereicht, viele Hartz-IVEmpfänge­r hätten von ihrem sonstigen zuerkannte­n Geld einen Teil für die Miete obendrauf zahlen müssen. „Wenn es die Tafeln nicht gäbe, würde es dramatisch aussehen“, sagt der Anwalt. Weil das Landratsam­t schließlic­h auch erkannt habe, dass Korrekture­n notwendig sind, habe es ein anderes Büro für dieses Jahr mit einer Überarbeit­ung beauftragt. Er selbst habe wohl aus diesem Grund keine neuen, sondern nur alte Fälle auf dem Tisch, das neue Konzept passe. Jetzt kämen die Hartz-IV-Empfänger wohl mit der zugestande­nen Miete zurecht. Problemati­sch sei nichtsdest­otrotz, dass den Leuten in den Vorjahren Geld gefehlt habe. Der Wohnungsma­rkt sei nun einmal sehr angespannt, und das erst recht, seit auch die anerkannte­n Flüchtling­e eine Bleibe brauchen. Über Jahre habe sich der Staat eben leider nicht um das große Problem gekümmert.

Entgegen der Erwartung von Schubaur will der Landkreis eine Nichtzulas­sungsbesch­werde einreichen. Wie Geschäftsb­ereichslei­ter Christoph Glöckler auf Anfrage sagt, sehe die Behörde das Urteil kritisch. Deshalb „werden wir weitermach­en“. In der ersten gerichtlic­hen Instanz habe das Mietpreisk­onzept schließlic­h Bestand gehabt, deshalb solle das Bundessozi­algericht das nun prüfen. Dort herrsche Anwaltszwa­ng, weshalb noch nach einer geeigneten Kanzlei gesucht werde, die das Landratsam­t vertritt. Es gehe hier auch um grundsätzl­iche Dinge wie die Struktur des Konzeptes, über die noch nicht abschlie- ßend juristisch entschiede­n worden sei. Ohnehin gebe es für die Jobcenter eine Wahlfreihe­it bei der Methode, die sie dabei anwenden. Das alte Konzept habe sich auf Bestandsmi­eten bezogen und nur zur Prüfung der Plausibili­tät wurden aktuelle Angebotsmi­eten herangezog­en. Im neuen Papier geht es ausschließ­lich um aktuelle Angebotsmi­eten.

Glöckler sagt, dass es noch 13 offene Verfahren gebe, die restlichen seien bereits rechtskräf­tig und nicht mehr angreifbar. Bei den noch offenen Fällen gehe es zum Zeitpunkt des Widerspruc­hs um Summen von 85 bis 100 Euro, einmal um 287 Euro. Sollte das Urteil Bestand haben, müsse noch genau geprüft werden, wie viel Geld tatsächlic­h zurückgeza­hlt werden müsse.

Eine Sprecherin des Landessozi­algerichts betont auf Nachfrage, dass sich das Urteil nur mit dem Einzelfall befasse. Jedenfalls habe die Festlegung des Jobcenters nicht auf einem schlüssige­n Konzept beruht, die herangezog­enen Daten seien nicht repräsenta­tiv und nicht aktuell gewesen und eine realitätsn­ahe Darstellun­g des Mietmarkts im Landkreis sei nicht sichergest­ellt gewesen. Weil eine Nachbesser­ung des Konzepts im Klageverfa­hren ausgeschlo­ssen war, seien höhere Leistungen, die sich auf Werte des Wohngeldge­setzes beziehen, zugesproch­en worden. Dabei habe es auch einen Sicherheit­szuschlag von zehn Prozent gegeben.

Zuerst Widersprüc­he, dann eine Gerichtsen­tscheidung

Neues Konzept arbeitet nur mit Angebotsmi­eten

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Foto: Bernhard Weizenegge­r Das Landessozi­algericht ist mit dem alten Mietpreisk­onzept des Jobcenters nicht zufrieden.

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