Mittelschwaebische Nachrichten
Jobcenter soll zahlen
Zwei Kläger aus dem Kreis Günzburg haben einen Rechtsstreit mit dem Landratsamt in zweiter Instanz gewonnen. Die Behörde will das nicht akzeptieren. Hat das Urteil Bestand, könnte es Bedeutung für eine Reihe von Hartz-IV-Empfängern haben
Zwei Kläger aus dem Kreis Günzburg haben einen Rechtsstreit mit dem Landratsamt in zweiter Instanz gewonnen. Die Behörde will das nicht akzeptieren. »
Landkreis Kritik am Jobcenter des Landkreises Günzburg ist in den vergangenen Jahren immer wieder laut geworden. Häufig ging es dabei auch darum, dass die von der Behörde zuerkannte Mietzahlung nicht reiche, um überhaupt eine adäquate Wohnung zu finden. Der JobcenterLeiter und auch Landrat Hubert Hafner hatten jedoch immer betont, dass die Zahlungen genügten, da ein unabhängiges Büro extra ein Konzept dafür erstellt habe. Dieses orientiere sich am Wohnungsmarkt und sei fundiert, die große Mehrheit der Hartz-IV-Empfänger im Landkreis könne sich eine Wohnung leisten. Der Mieterverein und andere Organisationen hingegen bezeichneten das Konzept als schöngerechnet, zu den angesetzten Preisen gebe es einfach nichts. Den Rat des Mietervereins, sie notfalls vom Sozialge- richt überprüfen zu lassen, haben eine Frau und ihr Sohn nun mit Erfolg in die Tat umgesetzt.
Die Klägerin ist 1955 geboren, ihr Sohn ist 27 Jahre alt. Sie erhalten als Bedarfsgemeinschaft die Grundsicherung und leben in einer 90 Quadratmeter großen Vier-ZimmerWohnung, seit dem 1. Januar 2013 kostet sie 400 Euro Grundmiete, 60 Euro Nebenkosten und 65,50 Euro für die Heizung. Insgesamt sind es also 525,50 Euro. Am 26. August 2014 wurden sie auf die seit dem 1. Januar desselben Jahres geltende Mietobergrenze von 334,75 Euro zuzüglich der Heizungskosten hingewiesen. Zum 1. März 2015 sollten die Kosten begrenzt werden. Für die Zeit vom 1. April bis 30. September des Jahres wurden pro Monat 328,30 Euro bewilligt. Weil der Sohn ab dem 13. September sein 25. Lebensjahr vollende, müsse er eine eigene Bedarfsgemeinschaft bilden.
Mit einigen Widersprüchen und einem Gerichtsentscheid zugunsten des Landkreises gab es daraufhin ein Hin und Her, bis das Landessozialgericht in der nächsten Instanz am
19. April dieses Jahres schließlich feststellte: Das Jobcenter muss den Klägern für die Zeit vom 1. April bis
30. September 2015 doch für Unterkunft und Heizung 331 Euro und einen Cent mehr zahlen. Die Revision hat das Gericht dabei nicht zugelassen. Der Rechtsanwalt von Mutter und Sohn, Wolfgang Schubaur aus Burgau, sagt dazu, dass der Land- kreis höchstens eine Nichtzulassungsklage beim Bundessozialgericht einlegen könnte. Das sei aber nicht realistisch, weil sie voraussetzen würde, dass bestimmte Fragen zu diesem Thema noch nicht geklärt seien. Doch es sei „ausreichend besprochen“. Das Landessozialgericht entschied jetzt zugunsten der Kläger, weil ihm die Datengrundlage des Mietkonzepts des Landkreises zu gering war, wie aus dem Urteil hervorgeht, das Schubaur erst vor wenigen Tagen zuging und auch unserer Zeitung vorliegt. Es seien zu geringe Vergleichsmieten herangezogen worden, wobei sich auch die Frage stelle, ob es überhaupt genug vergleichbaren Wohnraum im Landkreis gebe. Das Gericht fand dies nicht plausibel geklärt. Man hätte eine Wohngeldtabelle für das Bundesgebiet als Richtschnur nehmen müssen. Schubaur sagt, er habe zu diesem Thema einige ruhende Verfahren, die er jetzt wieder aufnehmen werde. Rückwirkend für zwei Jahre könnte eine Überprüfung der Mietsätze beantragt werden, darauf gebe es auch einen rechtlichen Anspruch. Deshalb könnten auf den Landkreis erhebliche Nachzahlungen zukommen, wenn alle Betroffenen davon Gebrauch machen. Wie viele Fälle es gibt, wisse er nicht, weil ja auch Kollegen Mandanten in diesem Bereich hätten. Er selbst hatte 15 bis 20 Mandanten und aktuell noch sieben zu diesem Thema.
Wenn man die fortlaufenden Nummern der Aktenzeichen zur Grundlage nehme, schätzt er die Zahl der Widersprüche auf 300 im Jahr. Die nun entschiedene Klage sei die erste bei ihm gewesen, bei der er so weit war, vor Gericht zu gehen. Seiner Erfahrung nach hätten die Probleme erst begonnen, als das Jobcenter dieses Konzept nutzte. Die Unterkunftskosten hätten einfach nicht gereicht, viele Hartz-IVEmpfänger hätten von ihrem sonstigen zuerkannten Geld einen Teil für die Miete obendrauf zahlen müssen. „Wenn es die Tafeln nicht gäbe, würde es dramatisch aussehen“, sagt der Anwalt. Weil das Landratsamt schließlich auch erkannt habe, dass Korrekturen notwendig sind, habe es ein anderes Büro für dieses Jahr mit einer Überarbeitung beauftragt. Er selbst habe wohl aus diesem Grund keine neuen, sondern nur alte Fälle auf dem Tisch, das neue Konzept passe. Jetzt kämen die Hartz-IV-Empfänger wohl mit der zugestandenen Miete zurecht. Problematisch sei nichtsdestotrotz, dass den Leuten in den Vorjahren Geld gefehlt habe. Der Wohnungsmarkt sei nun einmal sehr angespannt, und das erst recht, seit auch die anerkannten Flüchtlinge eine Bleibe brauchen. Über Jahre habe sich der Staat eben leider nicht um das große Problem gekümmert.
Entgegen der Erwartung von Schubaur will der Landkreis eine Nichtzulassungsbeschwerde einreichen. Wie Geschäftsbereichsleiter Christoph Glöckler auf Anfrage sagt, sehe die Behörde das Urteil kritisch. Deshalb „werden wir weitermachen“. In der ersten gerichtlichen Instanz habe das Mietpreiskonzept schließlich Bestand gehabt, deshalb solle das Bundessozialgericht das nun prüfen. Dort herrsche Anwaltszwang, weshalb noch nach einer geeigneten Kanzlei gesucht werde, die das Landratsamt vertritt. Es gehe hier auch um grundsätzliche Dinge wie die Struktur des Konzeptes, über die noch nicht abschlie- ßend juristisch entschieden worden sei. Ohnehin gebe es für die Jobcenter eine Wahlfreiheit bei der Methode, die sie dabei anwenden. Das alte Konzept habe sich auf Bestandsmieten bezogen und nur zur Prüfung der Plausibilität wurden aktuelle Angebotsmieten herangezogen. Im neuen Papier geht es ausschließlich um aktuelle Angebotsmieten.
Glöckler sagt, dass es noch 13 offene Verfahren gebe, die restlichen seien bereits rechtskräftig und nicht mehr angreifbar. Bei den noch offenen Fällen gehe es zum Zeitpunkt des Widerspruchs um Summen von 85 bis 100 Euro, einmal um 287 Euro. Sollte das Urteil Bestand haben, müsse noch genau geprüft werden, wie viel Geld tatsächlich zurückgezahlt werden müsse.
Eine Sprecherin des Landessozialgerichts betont auf Nachfrage, dass sich das Urteil nur mit dem Einzelfall befasse. Jedenfalls habe die Festlegung des Jobcenters nicht auf einem schlüssigen Konzept beruht, die herangezogenen Daten seien nicht repräsentativ und nicht aktuell gewesen und eine realitätsnahe Darstellung des Mietmarkts im Landkreis sei nicht sichergestellt gewesen. Weil eine Nachbesserung des Konzepts im Klageverfahren ausgeschlossen war, seien höhere Leistungen, die sich auf Werte des Wohngeldgesetzes beziehen, zugesprochen worden. Dabei habe es auch einen Sicherheitszuschlag von zehn Prozent gegeben.
Zuerst Widersprüche, dann eine Gerichtsentscheidung
Neues Konzept arbeitet nur mit Angebotsmieten