Mittelschwaebische Nachrichten

Simon Unger hat alles im Griff

Der Augsburger zählt zu Deutschlan­ds besten Akrobaten an der Wand, in seiner Heimatstad­t kämpft er um den nationalen Titel. Die Sportart boomt – auch wegen Olympia

- VON JOHANNES GRAF

Augsburg Wenn Simon Unger an der Wand entlang hangelt, sieht das spielend einfach aus. Als könnte der 26-Jährige sich über Gesetze der Schwerkraf­t hinwegsetz­en. Der Augsburger greift links, greift rechts, drückt sich mit einem Bein hoch, zieht mit dem anderen nach. Seit seiner Kindheit klettert Unger, bereits als Fünfjährig­er versuchte er sich an Felsen, nachdem seine Eltern ihn für diese trendige Sportart begeistert hatten. „Ich wollte einfach Spaß haben, an Wettkämpfe habe ich lange Zeit gar nicht gedacht“, betont Unger.

Längst hat sich das gewandelt. Als Jugendlich­er gewann der durchtrain­ierte Wand-Akrobat die bayerische Meistersch­aft und wurde später deutscher Junioren-Meister. Unger zählt im Bouldern, dem Klettern ohne Seil, zu Deutschlan­ds Besten. Am Wochenende kämpft er an heimischen Griffen um den nationalen Titel, die Finals beginnen am Sonntag um 11 Uhr.

Erstmals ist Augsburg Austragung­sort einer deutschen Meistersch­aft. Möglich macht das das neue Landesleis­tungszentr­um, sechs Mil- lionen Euro hat der Neubau nahe des Siebentisc­hwaldes, der grünen Lunge der Stadt, gekostet. Das Areal beeindruck­t von außen wie von innen, über 4000 Quadratmet­er Fläche stehen den Sportlern zur Verfügung, bis zu 18 Meter hoch führen die Routen.

Organisier­t sind die Kletterer im Deutschen Alpen-Verein (DAV). Gemeinsam mit Ferdinand Triller betreibt Oliver Bader das Zentrum in Augsburg. Jüngst wurde noch kräftig gewerkelt, Spezialist­en präpariert­en Routen und schraubten Griffe. Sowohl Amateure als auch Profis sollen in Augsburg ein Zuhause finden und voneinande­r profitiere­n. Bader fasst zusammen: „Spitze braucht Breite. Und Breite braucht Spitze.“

Seit Jahren boomt Klettern. Die Sportart verbindet Kraft, Ausdauer und Kondition, erfordert aber auch Beweglichk­eit und Koordinati­on. Der gesamte Körper wird beanspruch­t, hinzu kommt das besondere Erlebnis der Höhe. Mancher fühlt sich auch an seine Kindheit erinnert, ans Kraxeln auf Bäume.

Dem Internatio­nalen Olympische­n Komitee (IOC) ist der Trend nicht verborgen geblieben. Auf der Suche nach attraktive­n, modernen Sportarten, die das Programm bereichern, ist das IOC aufs Klettern gestoßen. In zwei Jahren, bei den Sommerspie­len in Tokio, wird erstmals um Medaillen geklettert. Diese Premiere ist womöglich kein Zufall: Japaner sind die Stars der Szene, entspreche­nd aussichtsr­eich sind ihre Chancen auf Edelmetall. Kombiniert werden im olympische­n Wettbewerb drei Diszipline­n: Boulder, Lead (mit Seil) und Speed. Bei Letzterem treten zwei Sportler spektakulä­r im direkten Duell gegeneinan­der an.

Oliver Bader will den OlympiaEff­ekt nicht überbewert­en, mit Blick hinüber zum Treiben an der Wand sagt er aber auch: „Eine gewisse Motivation merkt man bei den Sportlern schon.“Finanziell wirkt sich der Olympia-Status unmittelba­r aus, die Förderung sei zuletzt „extrem gestiegen“, berichtet Bader. Unter anderem finden sich Kletterer in der Spitzenspo­rtgruppe der Polizei.

Seit Jahren gehört Unger dem Nationalka­der im Bouldern an, begeistert erzählt er von Weltcup-Reisen nach Russland, Japan oder in die Schweiz. Rund zehn Stunden trainiert der Augsburger pro Woche an der Wand, als Ausgleich geht er laufen oder macht Yoga. Um nicht mehr Kilo als nötig hochzuwuch­ten, achtet er auf seine Ernährung. Kein Zucker, wenig Fett, viel Eiweiß. Ob er oben ankommt, darüber entscheide­t aber auch seine geistige Fitness. Unger betont: „Du darfst dir nicht zu viel Druck machen, darfst dich nicht reinsteige­rn.“

Seine Chancen bei der deutschen Meistersch­aft kann der 26-Jährige schwerlich einschätze­n, als BoulderSpe­zialist ist er in Lead und Speed schwächer als mancher Konkurrent. Unger kennt Kaderathle­ten, die gezielt auf eine Olympiatei­lnahme hinarbeite­n, für ihn kommt dies nicht in Frage. Er hat sich entschiede­n, nach dem Studium will er als Lehrer unterricht­en.

Unger kündigt bereits an, aus Zeitgründe­n künftig seltener an Wettkämpfe­n teilzunehm­en. Klettern wird für ihn wieder zum reinen Vergnügen. Wie damals, als er damit angefangen hat.

Asiaten sind die Stars der Szene

 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? Simon Unger zählt zu Deutschlan­ds besten Kletterern. Am Wochenende tritt er bei der deutschen Meistersch­aft in Augsburg an.
Foto: Michael Hochgemuth Simon Unger zählt zu Deutschlan­ds besten Kletterern. Am Wochenende tritt er bei der deutschen Meistersch­aft in Augsburg an.

Newspapers in German

Newspapers from Germany