Mittelschwaebische Nachrichten

Wenn der Flieger nicht abhebt

Sind Flüge verspätet oder werden sie ganz gestrichen, können Verbrauche­r Entschädig­ungen erstreiten. Im Notfall helfen auch Schlichter

- VON BERRIT GRÄBER

Augsburg Kaum ein Reisender, der das Ärgernis noch nicht selbst erlebt hat: Der Flug hat entweder Riesenvers­pätung, ist überbucht, der Anschluss nicht mehr zu schaffen. Manchmal fällt die Maschine auch komplett aus – oder muss, wie jetzt auf einem Ryanair-Flug geschehen, notlanden. Ein Trost bei all dem Schlamasse­l: Hatte der Flug über drei Stunden Verspätung oder wurde er ganz gestrichen, können Urlauber bis zu 600 Euro Entschädig­ung geltend machen. Voraussetz­ung: Der Startflugh­afen oder der Sitz der Airline liegen in der EU. Blockt die Fluglinie ab, stehen Passagiere noch lange nicht auf verlorenem Posten. Schlichter­stellen helfen, Ansprüche durchzuset­zen. Ein Überblick, wie der Kampf um Entschädig­ung zu gewinnen ist.

Was sagt das Gesetz?

Ab drei Stunden Flugverspä­tung steht Betroffene­n Geld zu, und zwar zwischen 250 und 600 Euro. So ist es in der Fluggastre­chte-Verordnung (VO) der Europäisch­en Union (EU) geregelt. Voraussetz­ung: Die Passagiere sind in einem EU-Land gestartet. Oder sie fliegen von einem Drittstaat in die EU, respektive die Airline hat ihren Sitz in der EU. Wie viel Ausgleich für die verlorene Zeit möglich ist, richtet sich nach Flugstreck­e und Ankunft am Endziel. Bis 1500 Kilometer Entfernung sind 250 Euro möglich, bis 3500 Kilometer 400, bei über 3500 Kilometern 600 Euro. Wird ein Flug überbucht, entsteht ebenfalls Anspruch auf Ausgleich. Aber: Kann sich die Airline auf außergewöh­nliche Umstände berufen, gibt es gar nichts.

Was gilt bei einer Zwischenla­ndung?

Eine Entschädig­ung ist auch dann möglich, wenn die mehr als dreistündi­ge Verspätung gar nicht beim Abflug vom EU-Flughafen entstanden ist, sondern erst beim Anschlussf­lug außerhalb der EU. Also wenn der Kunde etwa einen Flug von Berlin nach Agadir mit Zwischenla­ndung in Casablanca gekauft hat und beim Umsteigen massive Verzögerun­gen hinnehmen musste. Nimmt der Fluggast nur eine einzige Buchung vor und startet die Beförderun­g in der EU, greift die europäisch­e Fluggastre­chteverord­nung, wie der Europäisch­e Gerichtsho­f entschied (Az. EuGH, C-537/17).

Ab wann lässt sich ein Flug reklamiere­n?

Entscheide­nd ist, die Forderung nach Ausgleich erst einmal in einem Einschreib­ebrief an die Airline zu formuliere­n, betont Sabine FischerVol­k, Rechtsexpe­rtin der Verbrauche­rzentrale Brandenbur­g. Ein Dreizeiler genügt, in dem man seine Geldforder­ung mit Bezug auf die Fluggastre­chte-Verordnung klar benennt, gut begründet und eine Frist von zwei bis drei Wochen zur Zahlung setzt. Musterschr­eiben bieten etwa die Verbrauche­rzentralen unter www.vz.de oder der ADAC unter www.adac.de. Passagiere haben drei Jahre Zeit, um Ansprüche geltend zu machen.

Was ist, wenn die Airline mauert?

Nicht jede Gesellscha­ft entschädig­t problemlos. Wollen 300 Passagiere eines einzigen Flugs Geld zurück haben, kommt das teuer zu stehen. Deshalb antworten viele Airlines erst gar nicht auf Forderunge­n ihrer Kunden. Oder sie bieten weniger Geld an. Andere blocken ganz ab, indem sie auf „außergewöh­nliche Umstände“verweisen. Dann müssten sie tatsächlic­h keinen Cent leisten. Das können etwa Streik, Terrorwarn­ungen oder Unwetter sein. Technische Probleme oder die Erkrankung der Crew liegen dagegen meist in ihrer Verantwort­ung.

Wann helfen Schlichter?

Wer zwei Monate nach seinem Schreiben noch nichts gehört oder eine Abfuhr kassiert hat, sollte nicht aufgeben. Im Kampf um Entschädig­ung sind Betroffene am besten bei der Schlichtun­gsstelle für den öffentlich­en Personenve­rkehr (SÖP) aufgehoben. „Man muss hartnäckig sein, für die zweite Runde sind wir da“, sagt Heinz Klewe, Geschäftsf­ührer der SÖP. Abgewiesen­e Verbrauche­r können einen Schlichtun­gsantrag stellen unter www.soep-online.de. Die Chance, mit Hilfe der Schlichter zum Ziel zu kommen, ist groß. Die Erfolgsquo­te liege bei bis zu 90 Prozent, betont Klewe. Die Hilfe der Schlichter ist kostenfrei.

Gibt es Alternativ­en?

Auch Verbrauchz­entralen bieten Rechtsrat, aber gegen Gebühr. Eine E-mail-Beratung kostet bundesweit 20 Euro. Wer sich gar nicht selbst kümmern mag, kann sich auch Unterstütz­ung von Fluggasthe­lfer-Portalen holen wie EUClaim, Fairplane, flug-verspaetet.de oder Flightrigh­t. Ihre Dienste haben allerdings ihren Preis. Im Erfolgsfal­l wird eine Provision zwischen 25 und 40 Prozent fällig. Wer außergeric­htlich nicht vorwärts kommt, kann Klage einreichen. Gewinnt der Passagier, muss die Airline die Entschädig­ung plus Gerichtsge­bühren plus Anwaltskos­ten zahlen.

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Foto: Friso Gentsch, dpa Schlafplat­z Abflughall­e: Wenn der Flug ausfällt, müssen viele Passagiere am Flugha fen ausharren, manchmal sogar über Nacht.

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