Mittelschwaebische Nachrichten

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (92)

-

Aber Sie haben Aussichten bei mir.“„So“, sagte Kufalt nur. „Ich will Ihnen mal was sagen“, erklärte Herr Dietrich, „ich will ganz offen mit Ihnen reden. Ich bin überhaupt ein sehr offener Mensch. Meine Offenheit hat mir schon tausendmal geschadet…“

Er sah Kufalt freundlich lächelnd an, wußte aber entschiede­n nicht weiter. Dann hatte er eine Idee. „Wissen Sie was“, sagte er, „hier gleich an der Ecke hat der Gastwirt Lemcke eine Wirtschaft. Darf ich Sie zu einem Glas Bier und einen Korn einladen? Da spricht es sich viel besser.“

Kufalt zögerte einen Augenblick. Dann sagte er: „Ich trink’ nie was am Vormittag. Ich vertrag’ das nicht.“

„Ich auch nicht“, sagte Herr Dietrich, „aber Sie verstehen, wenn man Kassierer der Gastwirtsi­nnung ist…“Kufalt hüllte sich in Schweigen. Herr Dietrich rückte hin und

her, sah unzufriede­n seine Zigarre an und sagte dann, gewisserma­ßen zu dieser Zigarre:

„Zu einem Entschluß müssen wir kommen.“„Ja“, sagte Kufalt höflich. Plötzlich war Herr Dietrich in Fahrt.

„Wissen Sie was, mein lieber Herr Kufalt“, sagte er, „schließlic­h kennen Sie mich nicht, und Kognak habe ich heute auch schon ein bißchen getrunken. Gehen Sie morgen früh um zwölf auf die Redaktion. Da sitzt unser Obermucker­muck, der Freese, der wird Ihnen sagen, was ich für ein Mann bin. Und dann übertrage ich Ihnen gegen prozentual­e Beteiligun­g das Inkasso bei allen Vereinen und der Innung. Und Sie können auch Annoncen und Abonnenten werben, und wenn Sie sonst eine Arbeit für mich machen, dann bezahle ich Sie extra. Was meinen Sie dazu?“

„Was könnte man denn da so verdienen im Monat?“fragte Kufalt vorsichtig.

„Das hängt ganz von Ihnen ab“, sagte Herr Dietrich. „Wenn Sie zum Beispiel hundert Abonnenten im Monat werben, pro Abonnent eine Mark fünfundzwa­nzig, macht hundertfün­fundzwanzi­g Mark, ein Viertel an mich – das ist gewisserma­ßen so nebenbei verdientes Geld.“

„So“, sagte Kufalt, „und das Kassieren bei den Leuten? Die zahlen doch heute alle nicht gerne ihre Beiträge.“

„Na ja“, sagte Herr Dietrich. „Millionär werden Sie nicht werden. Aber Ihr Leben haben Sie. Wollen Sie oder wollen Sie nicht?“

„Zu Herrn Freese will ich schon mal gehen“, sagte Kufalt.

„Und noch eins, lieber Herr Kufalt“, sagte Herr Dietrich und neigte sich ganz dicht zu Kufalt hin, so daß er das ganze Aroma von einem halben Dutzend Kognaks zu spüren bekam. „Wissen Sie, das mit dem Inkasso, da kriegen Sie doch Hunderte von Mark in die Hände, und ich muß dafür geradesteh­en.“Er sah Kufalt ernst besorgt an. „Ich muß dafür geradesteh­en“, wiederholt­e er noch einmal.

„Ja“, sagte Kufalt und wartete. Er wußte schon, was da kommen würde, aber er wollte es dem andern nicht gar zu leicht machen.

„Sie wissen doch, lieber Herr Kufalt“, sagte Herr Dietrich. „Sie haben es mir doch selbst geschriebe­n. Das war doch dieselbe Geschichte, weswegen Sie ins Kittchen kamen, ich meine, weswegen Sie Ihr unglücklic­hes Schicksal erlitten.“

„Also kann ich eben nicht kassieren“, sagte Kufalt.

„Doch, doch“, versichert­e der andere. „Man kann da doch sicher irgendwas einrichten. Sie sind doch aus guter Familie. Eine Kaution …“

„Also ich werde morgen mal zu Herrn Freese gehen“, sagte Kufalt und stand auf.

„Sie meinen, eine Kaution käme nicht in Frage? Ich würde sie natürlich in jeder Hinsicht sicherstel­len.“

„Was glauben Sie denn eigentlich?“rief Kufalt. „Glauben Sie, ich hätte es nötig, Bettelbrie­fe zu schreiben, wenn ich große Kautionen stellen könnte?“

„Und eine kleinere?“fragte Herr Dietrich. „Sie können ja jeden Tag mit mir abrechnen.“

„Auch eine kleine nicht“, entschied Kufalt. „Jedenfalls werde ich aber mal Herrn Freese besuchen.“

„Das hat gar keinen Sinn“, sagte Herr Dietrich und pirschte sich gegen die Tür. „Freese ist das gröbste Schwein von der Welt. Im übrigen“, sagte er und bekam die Türklinke zu fassen, „im übrigen bin ich doch nur zu Ihnen gekommen, weil ich von Ihrem Schicksal erschütter­t war, direkt erschütter­t.“

„Ja, ja“, sagte Kufalt gedankenlo­s und betrachtet­e nachdenkli­ch sein Gegenüber mit der langen Nase. Und plötzlich hatte er eine Idee.

„Können Sie mir nicht vielleicht mit zwanzig Mark aushelfen“, sagte er. „Ich bin nämlich ziemlich abgebrannt.“Er lachte.

Und nun geschah das Wunderbare. Dieser Dietrich, dieser halb betrunkene Kerl, der mit dem Silbergeld der Gastwirtsi­nnung in seiner Tasche klapperte, dieser Dietrich faßte einfach in die Tasche, holte eine Handvoll Geld heraus, zählte vier Fünfmarkst­ücke ab, drückte sie Kufalt in die Hand, sagte:

„Quittung ist unnötig. Wir arbeiten doch noch miteinande­r.“

Und verschwand mit dem sachten und vorsichtig­en Schritt der regelmäßig Betrunkene­n, die wissen, daß sie auf sich aufzupasse­n haben, treppab.

Emil Bruhn wohnte in der Lerchenstr­aße, auch weit draußen vor der Stadt, in der Nähe seiner Holzwarenf­abrik, in der er, genau wie im Kittchen, Fallennest­er für Hühner im Akkord nagelte.

Er hatte seine grünlich getünchte Kammer nicht für sich allein.

Er teilte sie mit dem Wächter einer Lederwaren­fabrik, der abends um acht fortging und erst morgens um acht wiederkam, anderthalb Stunden später, als Bruhn das Haus verließ. Sie schliefen im gleichen Bett. Sie teilten so ziemlich alles miteinande­r, und wenn es Differenze­n gab, und es gab oft Differenze­n, so wurden sie am Sonntag ausgetrage­n, wenn der Wärter der Lederfabri­k seine freie Nacht hatte.

Kufalt, erst seit zwei Wochen im Städtchen, wußte alles über diese Differenze­n. Daß der Lump, der andere, nie die eigene, sondern immer die fremde Seife benutzte, daß er nie sein Zeug weghängte, und daß er jeden Sonntagabe­nd betrunken mit einem Mädchen auf die Bude kam und verlangte, Bruhn solle auf dem Fußboden schlafen: „Nur ein kleines Weilchen, Emil. Gleich sind wir fertig …“

Ja, von diesen Differenze­n erzählte Bruhn viel und ausgiebig. Aber davon zu hören, war Kufalt immer noch lieber, als wenn der Krüger im gleichen Zimmer mit Bruhn gewohnt hätte.

Der Krüger war gottlob längst wieder verschütt gegangen, hatte seine Arbeitskol­legen bemaust. Kleine, klägliche, widerliche, sinnlose Diebstähle von Tabak und Manschette­nknöpfen. Der saß schon wieder drin, und Bruhn trauerte ihm nicht nach.

 ??  ?? Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....

Newspapers in German

Newspapers from Germany