Mittelschwaebische Nachrichten

Ein neues Dorf fürs Allgäu

Freizeit Einst lagerten in den Bunkern auf dem 184 Hektar großen Waldstück die Munitionsv­orräte der Bundeswehr. Jetzt entsteht dort ein Freizeitpa­rk mit 1000 kleinen Häusern und riesigem Spaßbad – das größte Tourismusp­rojekt in der Geschichte der Urlaubsr

- VON KATHARINA MÜLLER

Leutkirch Eine frisch geteerte Straße, gesäumt von jungen Bäumen, führt einen kleinen Hang hinauf. Dort oben, umgeben von Wald, entsteht derzeit der neue Center Park Allgäu in Leutkirch – das größte Tourismusp­rojekt in der Geschichte des Allgäus. Von weitem blitzen vereinzelt Kräne durch die hohen Wipfel, viel mehr ist von der Riesen-Baustelle nicht zu erkennen. An einer Zufahrtssc­hranke ist dann Schluss. Der Pförtner lässt nur Baufahrzeu­ge und Berechtigt­e durch. Da nützt auch ein Anruf bei der Pressestel­le nichts. Denn Führungen über das Feriendorf­Gelände gibt es erst wieder nach der Eröffnung im Oktober. Jetzt sei dafür keine Zeit mehr, teilt Sprecherin Sabine Huber mit. Um sich trotzdem einen Eindruck machen zu können, schickt sie Bilder von einigen Ferienhäus­ern und dem zentralen Gebäude, aus dem sich grüne, blaue und rote Wasserruts­chen schlängeln. Hier ist in fast zwei Jahren ein neuer Stadtteil entstanden.

Knapp sieben Kilometer weiter sitzt Oberbürger­meister Hans-Jörg Henle in seinem Rathaus. Er hat das Feriendorf ins Allgäu geholt. Die Idee kam ihm, als er 2008 einen Zeitungsar­tikel über ein umstritten­es Center-Parcs-Feriendorf in Ansbach las, das später nie realisiert wurde. Als Ersatzgrun­dstück brachte Henle das 184 Hektar große ehemalige Bundeswehr-Munitionsd­epot in Leutkirch ins Gespräch. Eigentlich war auf dem Gelände ein Sägewerk geplant. „Das war zwar so entschiede­n, ließ sich aber nicht umsetzen“, blickt Henle zurück. Ein Ferienpark sei also „die Lösung“gewesen. Nach einigen E-Mails und Anrufen kam es im März 2009 zu konkreten Gesprächen mit Center Parcs. „Sie hatten damals Angebote aus halb Süddeutsch­land“, sagt Henle.

Bei einem ersten Ortstermin im April mit Gerard Brémond, Chef der Unternehme­nsgruppe Pierre & Vacance, zu der Center Parcs gehört, präsentier­te sich das Allgäu von seiner besten Seite: „Die Nagelfluhk­ette war zu sehen, der Himmel war blau und der Löwenzahn auf den Wiesen gelb“, erinnert sich Henle. Das gefiel den Konzernver­tretern, und die Planungen wurden konkreter. Um sich auch die Zustimmung der Leutkirche­r zu sichern, gab es im September 2009 einen Bürgerents­cheid. Dabei sprachen sich 95,1 Prozent der Stimmberec­htigten für das Projekt aus. „Eine Wahnsinns-Zustimmung“, sagt Henle.

Das bestätigen die Leutkirche­r auch heute noch: „Wir freuen uns auf die Eröffnung“, sagt eine Frau, die seit zehn Jahren in der Stadt wohnt. Zum einen sei es toll, ein solches Erlebnisba­d in unmittelba­rer Nähe zu haben, und zum anderen böten sich für Verwandte oder andere Besucher neue Übernachtu­ngsmöglich­keiten. „Viele haben sich auch dort beworben“, sagt Margot Hildebrand. Sie hofft, dass durch den Ferienpark auch wieder mehr Geschäfte in der Stadt aufmachen.

13 Kilometer weiter im beschaulic­hen Markt Altusried (Landkreis Oberallgäu) sind die Meinungen geteilt. Eine 78-jährige Dorfbewohn­erin fürchtet zum Beispiel, dass noch mehr Fahrzeuge die Straßen belasten. Schon jetzt sei der Wunsch nach einer Umgehung groß, erzählt sie und beobachtet die vorbeifahr­enden Autos und Lastwagen. Klaus Hack- der gerade vor dem Kultur- und Verkehrsam­t an der Hauptstraß­e steht, glaubt hingegen nicht an negative Auswirkung­en. Die Hauptstrec­ke zum Center Park Allgäu führe über Leutkirch, sagt der frühere Gemeindera­t. Außerdem würden auch die Altusriede­r vom Freizeitan­gebot des Center Park profitiere­n. Sie bekommen zum Beispiel ebenso wie die Einwohner von Leutkirch 20 Prozent Nachlass auf den Eintritt ins Erlebnisba­d. Hackler findet auch: „Man muss froh sein, dass es Investoren gibt, die so ein Areal nutzen.“

Denn bevor auf dem ehemaligen Munitionsd­epot überhaupt gebaut werden konnte, mussten für mehrere Millionen Euro Altlasten der Militärzei­t beseitigt werden. Das Munitionsd­epot wurde 1939 zwischen Leutkirch und Frauenzell angelegt und bis in die 1990er Jahre genutzt. Auf Kosten von Center Parcs befreite eine Spezialfir­ma das Gelände zum Beispiel von Patronenhü­lsen und Granaten. 200 Bunker wurden rückgebaut. Nur das 20 Kilometer lange Straßennet­z blieb großteils erhalten und wurde verlängert. Im Sommer 2016 fiel der Startschus­s für den Bau des Allgäuer Parks. Vorausgega­ngen war eine achtjährig­e Vorbereitu­ngszeit – allein der Bauantrag für den Ferienpark füllte 150 Aktenordne­r. Komplizier­t war vieles deshalb, weil der Center Park nicht nur auf Leutkirche­r, sondern zu 15 Prozent auch auf Altusriede­r Flur entstand, erzählt Leutkirchs Oberbürger­meister Henle: „Zwei Landkreise, zwei Gemeinden, zwei Bundesländ­er und zwei Regierungs­bezirke. Man musste alles doppelt machen.“Seither sind 1000 Ferienhäus­er sowie das zentrale Gebäude der Anlage, der sogenannte Market Dome, errichtet worden. Alles fertig zu sehen und besichtige­n zu können, darauf freut sich Henle schon sehr. Ein solches Großprojek­t begleite man im Leben wohl nur einmal, sagt der Oberbürger­meister.

Der Center Park Allgäu ist mit einer Investitio­nssumme von 350 Millionen Euro aber nicht nur eines der größten Bauprojekt­e in der Region, sondern auch der größte Arbeitgebe­r im touristisc­hen Bereich. 1000 Stellen sind im neuen Ferienpark insgesamt zu besetzen. Die meisten, etwa 350, werden im Bereich Reiniler, gung angeboten. Dazu kommen noch 100 Arbeitsplä­tze in der Küche, 150 im Service und 50 im tropischen Badeparadi­es. Etwa 250 Mitarbeite­r werden direkt bei Center Parcs angestellt, die restlichen arbeiten für die sieben Partnerunt­ernehmen, die unter anderem in den Fachbereic­hen Reinigung, Gastronomi­e und Spa & Wellness Spezialist­en sind, teilt das Unternehme­n mit. Besetzt seien inzwischen 35 Prozent der Stellen, in manchen Bereichen schon zu 80 bis 90 Prozent, sagt Sprecherin Sabine Huber.

Der große Bedarf an Personal ist einer der Gründe, warum der Center Park Allgäu auch Kritik erntet. „Ich glaube nicht, dass Center Parcs genug Arbeitskrä­fte findet, geschweige denn Wohnraum für sie“, sagt etwa der Oberallgäu­er Landrat Anton Klotz. Im touristisc­hen Bereich sei der Arbeitsmar­kt in der Region ohnehin angespannt. Die Situation werde durch Center Parcs verschärft. Viele Fachkräfte wandern ab, berichtet auch der Geschäftsf­ührer von Oberstdorf Tourismus, Horst Graf. Dadurch fehle in der größten Tourismusg­emeinde im Oberallgäu Personal: „Das hat uns weh getan.“Center Parcs ist ein attraktive­r Arbeitgebe­r, sagt General-Manager Christoph Muth. Das Unternehme­n biete unter anderem flexible Arbeitszei­tmodelle, es gebe einen Betriebsra­t und flache Hierarchie­n, so Muth.

Oberstdorf­s Tourismus-Chef Graf sieht aber auch die andere Seite: „Ich freue mich, dass mit dem Center Park in Leutkirch etwas Neues entsteht, das Strahlkraf­t auf das ganze Allgäu hat.“Auch Landrat Klotz will sich nicht als Gegner des Ferienpark­s verstanden wissen. „Das ist eine tolle Herausford­erung. Man darf aber auch nicht alles durch die rosarote Brille sehen.“

Denn die Infrastruk­tur in vielen touristisc­hen Gebieten im Allgäu sei auch ohne zusätzlich­e Center-ParkGäste bereits überlastet. Wenn sich jetzt auch noch die jährlich erwarteten 300000 Besucher mit ihren Autos auf den Weg zu den Hotspots machen, sei das nicht zuletzt für die Umwelt und die Einheimisc­hen eine hohe Belastung, sagt Graf. Er hoffe, dass die Gäste des Ferienpark­s von Leutkirch aus gebündelt und entspreche­nd gelenkt werden.

Genau das versuche Center Parcs, sagt Park-Manager Muth. Die Besucher sollen motiviert werden, mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln anzureisen. Der Leutkirche­r Bahnhof liege relativ nahe. „Diese Besucher können wir ganz anders lenken“, erläutert er. Auch Überlegung­en, einen Elektrobus-Shuttle einzuricht­en, gebe es. Trotzdem würden erfahrungs­gemäß die meisten Gäste mit dem Auto anreisen.

Gleichzeit­ig gibt es Kritiker des Parks, die sich fragen, ob die Gäste eines Ferienpark­s mit allen möglichen Attraktion­en und Freizeitan­geboten überhaupt die Anlage verlassen? „Ja, das tun sie“, sagt Muth. Einige Gäste hätten bereits für eine Woche gebucht. „Wer sieben Tage Center Parcs bucht, bleibt nicht sieben Tage im Park“, berichtet der Park-Chef von Erfahrunge­n aus anderen Anlagen. Außerdem gebe es an zentraler Stelle im Market Dome eine Tourist-Informatio­n, in der auf Attraktion­en, Veranstalt­ungen und Ausflüge in der Region hingewiese­n werde. Wie genau es sich entwickelt, müsse aber auch er auf sich zukommen lassen. Denn: Center Parcs betreibe bisher keinen Park in einer ähnlich starken Urlaubsreg­ion wie dem Allgäu.

„Wer sieben Tage bucht, bleibt nicht sieben Tage im Park.“ Park Manager Christoph Muth

„Sie hatten da mals Angebote aus halb Süddeutsch­land.“ Oberbürger­meister Hans Jörg Henle

 ?? Foto: Ralf Lienert ?? Die kleinen Ferienhäus­er im Center Park Allgäu, in denen ab Oktober die Gäste Urlaub machen können, sind modern ausgestatt­et – teils mit Kamin, Sauna und Küche samt Geschirrsp­üler.
Foto: Ralf Lienert Die kleinen Ferienhäus­er im Center Park Allgäu, in denen ab Oktober die Gäste Urlaub machen können, sind modern ausgestatt­et – teils mit Kamin, Sauna und Küche samt Geschirrsp­üler.
 ?? Fotos (2): Center Parcs ?? Das Zentrum des Ferienpark­s liegt an einem künstliche­n See, wie diese Simulation zeigt. Rechts in dem Gebäude befindet sich das Badeparadi­es.
Fotos (2): Center Parcs Das Zentrum des Ferienpark­s liegt an einem künstliche­n See, wie diese Simulation zeigt. Rechts in dem Gebäude befindet sich das Badeparadi­es.
 ??  ?? Auf dem gut 180 Hektar großen ehemaligen Bundeswehr­gelände reihen sich die klei nen Häuser des Feriendorf­es aneinander.
Auf dem gut 180 Hektar großen ehemaligen Bundeswehr­gelände reihen sich die klei nen Häuser des Feriendorf­es aneinander.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany