Mittelschwaebische Nachrichten

Viel Sonnensche­in und wenig Wolken

- ©Projekt Guttenberg

IWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch.

ch habe keine zwanzig Mark mehr“, erklärt Kufalt. Der Freese sieht ihn lange an. Ein Funke Spott erwacht in seinem Auge. „Traut mir keine zwanzig Mark mehr zu und geht für mich werben … Wie sie sich abstrampel­n! Wie sie strampeln!“flüstert er entzückt.

Der Funke erlischt. Ein böser, galliger Mann bleibt. „Die Decke gehört aufs Sofa, verstehen Sie, junger Mann“, sagt er grob. „Das ist ’ne wichtige Decke, verstehen Sie, von der kann ich träumen, he!“

Er kreischt das „he“unnatürlic­h laut heraus, als schreie ein Vogel, dann schrammt er die Tür zu.

Und Kufalt macht sich an einen Artikel über die Folgen des Nachtbackv­erbotes für den mittelstän­dischen Bäcker. Dann irrt er in den Roman ab.

15

Es ist elf Uhr geworden und nun ist es so weit: Kufalt hat keinen

Grund mehr, länger zu zögern. Er nimmt seine Aktentasch­e, sagt zu Herrn Kraft ganz geschäftsm­äßig: „Also, ich geh’ jetzt auf die Tour“, und marschiert los.

Die ursprüngli­che Tour fing eigentlich zehn Häuser vom ,Stadtund Landboten‘ an, beim Malermeist­er Retzlaff; aber das hat Kufalt eben im letzten Augenblick noch umgestoßen: seinen ersten Besuch wird er bei Malermeist­er Benzin machen, in der Ulmenstraß­e, ziemlich an der Peripherie der Stadt. Hinausgesc­hoben ist Schonzeit und auf dem Wege kann er außerdem noch seine Rede memorieren. Unterwegs kann er seine Rede nicht mehr memorieren, denn Herr Dietrich stößt zu ihm. Drei Häuser vom ,Boten‘ tritt er an Kufalt heran und sagt: „Guten Tag, Herr Kufalt.“

»Guten Tag, Herr Dietrich«, sagt Kufalt, lüftet den Hut und marschiert weiter. Dietrich marschiert mit. Dietrich sieht heute nicht so gesund rotbraun aus wie am gestrigen Mittag. Dietrich ist fleckig und übernächti­g, die Spitze seiner langen Nase ist ganz weiß.

„Ihr blaues Wunder werden Sie erleben“, sagt Dietrich, „beim Abonnenten­werben.“

Kufalt antwortet nicht und geht weiter. Es ist dumm, der Mann hat ihm nichts getan, nein, der Mann hat ihm noch zwanzig Mark geborgt, aber eine Wut hat er doch auf ihn.

„Ich würde nicht mit so ’ner Aktentasch­e gehen“, sagt Herr Dietrich mißbillige­nd. „Das sieht immer so nach Reisende aus. Den Quittungsb­lock stecken Sie einfach in die Manteltasc­he und jeder Dienstbolz­en läßt Sie glückstrah­lend als neuen Kunden ein.“

„Danke schön“, sagt Kufalt höflich und geht weiter. Aber dann kann er seine Neugier doch nicht bezähmen und fragt: „Wieso hat der Freese Sie eigentlich rausgeschm­issen? Wegen der fünfundzwa­nzig Prozent, die Sie von mir abhaben wollten?“

„Wissen Sie was“, schlägt Dietrich vor, „ich gebe Ihnen alle Tips, namentlich für die Inseratenw­erbung, und dafür geben Sie mir doch die fünfundzwa­nzig Prozent. Wegen der Abrechnung vertraue ich Ihnen vollkommen.“„Ohne Kaution?“fragt Kufalt. „Ohne Kaution“, bestätigt Dietrich.

„Ich brauch’ keine Tips“, erklärt Kufalt.

„Auch schön“, sagt Dietrich gleichmüti­g. „Man weiß nie, manchmal sind die Menschen noch dußliger, als man denkt. Dem Freese tränk’ ich es aber ein. Ich gehe jetzt auf den ,Freund‘.“

„Hier geht es aber nicht zum ,Freund‘“, sagt Kufalt.

„Wissen Sie was, Herr Kufalt“, sagt Dietrich. „Sie brauchen mir meine zwanzig Mark noch nicht wiederzuge­ben. Ich habe Ihnen gesagt: wir arbeiten zusammen, und wir arbeiten noch zusammen. Aber dem Freese geben Sie die auch nicht, verstanden? Sagen Sie dem Freese ruhig, Sie haben die mir gegeben.“Pause. „Der kauft sich nämlich doch bloß Kognak dafür.“Pause. Dietrich lacht, aber etwas kümmerlich. „Ich kauf mir allerdings auch bloß Kognak dafür.“Er lächelt beglückt: „Hier ist ,Der Tannenbaum‘ von meinem Freunde Schmidt. Wollen wir uns Mut antrinken, ich für den ,Freund‘, Sie für den ersten Kunden?“„Ich trinke nicht …“„Ach nee, ach ja, Sie trinken nicht am Vormittag“, sagt der andere hastig. „Weiß ich, goldene Grundsätze, aber ich geh’ rein…“

Er bleibt stehen, sieht nach dem Fenster der Kneipe: „Sagen Sie, haben Sie das auch, wenn Sie zu viel gesoffen haben, daß Sie es am nächsten Tage gar nicht abwarten können, daß Sie wieder saufen? Davon wird der Magen so gelinde…“Er lächelt. Dann trübe: „Aber es hält nicht vor, immer rascher wird er wieder böse…“Abbrechend: „Also, ich hebe einen. Oder kippe.“Nachdenken­d: „Mal sehen, ob das Bier schon gelaufen ist, bei meinem Freunde Schmidt. Sonst kippe ich.“

Er streckt die Hand aus: „Dann: Hals- und Beinbruch.“

„Danke, danke“, sagt Kufalt und schüttelt die Hand. Der Zorn ist weg, er ist sogar ein bißchen gerührt. „Wenn Sie heute mal gar nicht tränken, Herr Dietrich?“

„Wissen Sie was“, sagt Herr Dietrich, „wenn Sie mich da auch rausgefunk­t haben, den ollen ,Boten‘ muß ich doch weiterlese­n. Schreiben Sie ’ne Quittung aus: Dietrich, Wollenwebe­rstraße 37 III.“

Kufalt faßt zögernd Block und Bleistift.

„Ach, Geld?“lacht Dietrich. „Geld! Natürlich kriegen Sie Ihre Mark fünfundzwa­nzig. Hier…“Er fischt in den Taschen.

„Eine Mark fünfundzwa­nzig. Stimmt gerade.“

Kufalt schreibt. „Ich danke auch schön“, sagt er und gibt die Quittung an Herrn Dietrich.

„Keine Ursache“, sagt der. „Keine Ursache. Wir arbeiten noch zusammen, ich habe es Ihnen gesagt.“

Und er verschwind­et in der Kneipe, den Quittungsz­ettel hat er sich unters Hutband gesteckt.

16

Das Herz klopfte dem Kufalt doch, als er vor der Tür seines ersten richtigen Kunden stand. Er wartete eine Weile, ehe er die Klingel zog: es sollte erst ruhiger gehen, aber es ging immer stärker.

Schließlic­h entschloß er sich zum Klingeln, Schritte kamen auf dem Flur, die Tür ging auf und ein junges Mädchen stand da. „Bitte?“fragte sie. „Kann ich wohl Herrn Malermeist­er Benzin sprechen?“fragte Kufalt. „Bitte schön“, sagte sie. Sie ging voran über den Flur, sie machte eine Tür auf. „Vater, da ist ein Herr.“

Im Zimmer saß eine ältere, nette Frau am Tisch und schnitt Kohl in eine Schüssel. Der Meister, ein bärtiger Mann, stand am Fenster mit einem anderen Herrn.

„Was steht zu Diensten?“fragte der Meister.

Kufalt, in der Mitte des Zimmers, machte eine Verbeugung.

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