Mittelschwaebische Nachrichten

Verlierer der Özil-Debatte: die Glaubwürdi­gkeit

Die Kritik des zurückgetr­etenen Nationalsp­ielers trifft den Verband hart. Ob aber ausgerechn­et Özil als Ankläger der Richtige ist, ist mehr als fraglich

- VON TILMANN MEHL time@augsburger allgemeine.de

Natürlich haben wir in Deutschlan­d ein Rassismus-Problem. Um das zu erkennen, hätte es nicht eines Statements von Mesut Özil bedurft. Wenn Menschen lautstark fordern, andere Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen, ist das barbarisch und Zeichen wachsender rassistisc­her Gesinnung. Ebenso selbstvers­tändlich leidet auch Özil unter Rassismus. Für sein Posieren mit Recep Tayyip Erdogan wurde er heftig angegangen. Aber eben nicht nur als „Idiot“oder „Depp“, wie es wohl einem Spieler mit anderem Hintergrun­d widerfahre­n wäre, sondern auch als „Ziegenfick­er“. Das ist die Sprache von Rassisten. Ganz einfach.

Der Deutsche Fußball-Verband hat es verpasst, sich vor seinen Spieler zu stellen. Genau das nämlich war Özil. Ein deutscher Nationalsp­ieler. Er wurde in Gelsenkirc­hen geboren, ist dort zur Schule gegangen, hat für die Nationalma­nnschaft gespielt. Reinhard Grindel als Präsident des Verbandes hätte sich gegen diese widerliche­n Beleidigun­gen stellen müssen. Es wäre kein Widerspruc­h gewesen, Özil für seinen Fehler zu kritisiere­n und ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen. Es war nicht einfach nur eine verpasste Chance des DFB. Der Verband ist schlicht seiner Pflicht gegenüber seinem Spieler nicht nachgekomm­en.

Also hat Özil Grund, gegen Grindel zu wettern. Er hat das aber auf eine Weise getan, die ihn selbst entlarvt. Özil tritt abseits des Fußballpla­tzes nicht gern in der Öffentlich­keit auf. Eine Meinung zu haben und dazu zu stehen, ist ihm fremd. Der DFB präsentier­te ihn früher gerne als Beispiel gelungener Integratio­n. Ein Image, das Özil dankbar annahm. Im Prinzip ist das in Ordnung: Der Mann ist Fußballer, also muss er Pässe liefern, keine ausgefeilt­en Meinungsbe­iträge.

Genau so einen hat sich Özil nun aber von seiner PR-Agentur formuliere­n lassen, eine Abrechnung mit dem DFB, dessen Sponsor Mercedes und den Medien. Auf Englisch, wohlfeil formuliert. Es ist ganz klar, dass Özils einziger Beitrag an dem Werk sein Name ist. Nicht enthalten darin: ein Fehlereing­eständnis. Stattdesse­n: Rassismus-Vorwürfe gegen alle und jeden. Der Eindruck drängt sich auf: Da hat sich jemand richtig verdribbel­t.

Zumindest die Vorwürfe an den DFB verfangen trotzdem. Dessen Präsident Grindel ist zwar kein Rassist, wie in Özils Schreiben angedeutet. Der ehemalige Bundestags­Hinterbänk­ler der CDU ist allerdings auch nicht durch besondere Verdienste um die Integratio­n aufgefalle­n. „Multikulti ist in Wahrheit Kuddelmudd­el“, sagte Grindel 2004. Es handle sich dabei um „eine Lebenslüge“. Multikulti. Kuddelmudd­el. Lebenslüge.

Ist dieser Mann der Richtige, um einen Verband mit sieben Millionen Mitglieder­n – davon 20 Prozent mit Migrations­hintergrun­d – zu führen? Einen Verband, der sich mit etlichen Projekten sehr verdient gemacht hat um die Integratio­n?

Nein, Grindel ist nicht der richtige Mann. Weil er offenbar unfähig ist, eine kritische Situation wie jene um Özil zu erkennen und damit umzugehen. Und: Weil er nicht glaubwürdi­g für Integratio­n eintreten kann.

Die Glaubwürdi­gkeit ist auf der Strecke geblieben. Bei Grindel und bei Özil. Erschweren­d hinzu kommt eine Verrohung der Sprache, wie sie bisher von Kellerknei­pen nachts um zwei Uhr bekannt war. AfDFrontfr­au Alice Weidel bezeichnet Özil als Beispiel für eine „gescheiter­te Integratio­n von viel zu vielen Einwandere­rn“. Uli Hoeneß wettert über den „Dreck“, den Özil gespielt habe. Fußball ist ein Teil der Gesellscha­ft. Er spiegelt deren Probleme. Fußball kann aber auch Debatten anstoßen. Diese Chance muss der DFB nun nutzen. Mit neuem Personal auf allen Ebenen.

Grindel ist nicht geeignet, den DFB zu führen

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Zeichnung: Haitzinger „Tooor!!!“
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