Mittelschwaebische Nachrichten

„Mit uns gibt es keine nationalen Alleingäng­e“

Der SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil spricht über die künftige Rolle Deutschlan­ds in der EU und die Asylproble­matik. Angela Merkel und Horst Seehofer fordert er zum Handeln auf

- Manche Genossen scheinen sich eher Interview: Bernhard Junginger

Herr Klingbeil, Sie gelten als eingefleis­chter Rockmusikf­an, haben selbst in einer Band E-Gitarre gespielt. Welcher Songtitel fällt Ihnen zum aktuellen Zustand der Großen Koalition ein? Lars Klingbeil: Es gibt von der Band Tocotronic ein Stück, in dem es heißt: „Gehen die Leute auf der Straße eigentlich absichtlic­h so langsam – wollen sie verhindern, dass wir vorwärtsko­mmen?“Wenn ich mir anschaue, was die SPD in dieser Regierung alles vorhat, um das Land voranzubri­ngen, und was CDU und CSU in den vergangene­n Wochen für ein Theater veranstalt­et haben, dann passt das ziemlich gut.

Glauben Sie, dass nach dem großen Asylstreit nun etwas Ruhe einkehrt oder geht es jetzt angesichts der bevorstehe­nden Landtagswa­hlen in Bayern und Hessen erst richtig los? Klingbeil: In der Sache haben wir eine Klärung, dazu hat die SPD mit einer klaren Haltung beigetrage­n. Wir haben deutlich gemacht, dass wir den Weg von Seehofer und Söder, die auf geschlosse­ne Lager und nationale Alleingäng­e setzen, nicht mitgehen. Horst Seehofer muss endlich anfangen, den Koalitions­vertrag umzusetzen, und die internatio­nalen Abkommen schließen, die wir für die Rückführun­g abgelehnte­r Asylbewerb­er brauchen. Wir haben aber den Eindruck, dass der Frieden zwischen CDU und CSU nur ein vorübergeh­ender ist. Das sind zwei Parteien, die offenbar nur noch eingeschrä­nkt in der Lage sind, ordentlich miteinande­r zu reden und seriös Politik zu machen. Seehofer ist als Innenminis­ter geschwächt, ich glaube aber auch, dass die Kanzlerin geschwächt ist durch den Unionsstre­it in den letzten Wochen. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Konflikt auf Unionsseit­e aufbricht. Und das ist eine schwierige Situation, weil die Menschen zu Recht erwarten, dass diese Regierung das Land voranbring­t.

Es ist ja nicht so, dass sich die SPD aus dem Streit völlig heraushält. Sie und Parteichef­in Andrea Nahles haben Bundesinne­nminister Horst Seehofer ja neulich eine „Gefahr für Europa“genannt ... Klingbeil: Wir haben es tatsächlic­h nicht verstanden, dass Seehofer und andere jetzt – in einer Situation, in der so viele auf Europa blicken – versuchen, Deutschlan­d als Kraft zu positionie­ren, die Europa spaltet. Darauf hat die SPD eine klare Antwort gegeben: Mit uns wird es keine nationalen Alleingäng­e geben. Und wir haben schon noch die Hoffnung, dass Herr Seehofer zur Besinnung kommt.

Wie viel Porzellan ist denn in dem Streit zerschlage­n worden und was bedeutet das für die Zukunft dieser Regierung? Klingbeil: Für die SPD war der Inhalt des Koalitions­vertrags die Motivation, ja zu sagen zu dieser Regierung. Wir wollen bezahlbare­s Wohnen, Sicherheit im Alter, und wir wollen den Arbeitsmar­kt fit machen für das digitale Zeitalter. Das ist unser Antrieb. Das ist natürlich schwierig mit CDU und CSU, wo sich jetzt zeigt, dass es da immer tiefere Gräben gibt. Diese verfahrene Situation in den Unionspart­eien zu lösen ist eine Führungsau­fgabe von Frau Merkel. Deshalb beobachten wir schon sehr genau, ob die sich jetzt fangen.

Täuscht der Eindruck, dass es auch bei der SPD in der Flüchtling­spolitik mehr um Abschottun­g als um Integratio­n gegangen ist? Klingbeil: Die Haltung der SPD ist ganz eindeutig: Wir stehen für eine humanitäre Flüchtling­spolitik mit klaren Regeln. Das bedeutet, dass Menschen, die Schutz suchen, auch Schutz bekommen müssen. Das bedeutet auch, dass es Seenotrett­ung geben muss. Menschen, die Geflüchtet­e vor dem Ertrinken retten, dürfen nicht kriminalis­iert werden. Die Integratio­n von Menschen, die zu uns kommen, muss besser werden. Das haben wir in den Koalitions­verhandlun­gen durchgeset­zt mit einem Milliarden-Paket für die Kommunen. Und wir wollen auch, dass die Verfahren schneller werden, dass Menschen schneller erfahren, ob sie hierbleibe­n können oder nicht. Wer nicht bleiben kann, muss das Land zügig wieder verlassen. Und das liegt insbesonde­re in der Verantwort­ung des Bundesinne­nministers, der mal anfangen sollte, auf der Grundlage des Koalitions­vertrags seine Arbeit zu machen, statt Show-Debatten zu inszeniere­n und damit Regierungs­krisen auszulösen.

Droht beim neuen Thema Fachkräfte­zuwanderun­gsgesetz schon der nächste Streit? Klingbeil: Es muss ergänzend zum Asylrecht andere Wege geben, nach Deutschlan­d zu kommen. Und deshalb brauchen wir ein Einwanderu­ngsgesetz. Ich bin viel unterwegs in meinem Wahlkreis, da berichten mir Unternehme­r von großem Fachkräfte­mangel. Die würden gerne mehr Menschen ausbilden und einstellen, die auf dem Wege des Asylsystem­s nach Deutschlan­d kommen, fürchten aber, dass diese dann wieder abgeschobe­n werden. Über ein Einwanderu­ngsgesetz könnten viele Menschen in Deutschlan­d eine Perspektiv­e finden, davon profitiere­n wir alle. Darum muss es gehen und darüber gibt es auch eine grundsätzl­iche Einigkeit in der Koalition. Heißt das, dass Sie einen sogenannte­n Spurwechse­l befürworte­n, dass Menschen, die als Asylbewerb­er gekommen sind, aber abgelehnt wurden, im Rahmen eines Zuwanderun­gsgesetzes bleiben können? Klingbeil: Man muss sich das im Einzelfall anschauen. Was bedeutet es denn für uns als Gesellscha­ft, wenn wir Leute abschieben, die über zehn Jahre in Deutschlan­d sind, Abitur oder eine Ausbildung gemacht haben, gut integriert sind und auf dem Arbeitsmar­kt gebraucht werden? Solchen Leuten müssen wir eine Perspektiv­e eröffnen.

Mit das größte Thema der SPD im Wahlkampf war Europa. Geht die Regierung da aus Ihrer Sicht zu zögerlich voran? Klingbeil: Wir sind ganz klar angetreten, um die europäisch­e Einigung voranzubri­ngen. Finanzmini­ster Olaf Scholz hat ja bereits viel Vorarbeit für einen europäisch­en Investitio­nshaushalt geleistet. Dabei geht es auch um das soziale Gesicht Europas, etwa um den Abbau der Jugendarbe­itslosigke­it.

Reicht die Unterstütz­ung der Bundesregi­erung für die Vorstöße des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron zur weiteren europäisch­en Einigung aus? Klingbeil: Wir haben ja gerade erlebt, dass die CSU in die ganz andere Richtung will, nämlich in Richtung nationale Alleingäng­e. Das ist von der SPD gestoppt worden. Dass Europa stärker werden muss, merken wir jeden Tag, wenn wir uns die weltpoliti­sche Lage anschauen. Die Bindung zu den USA ist durch Trump unsicherer geworden, da muss Europa sich jetzt mehr auf die eigene Stärke besinnen. Deutschlan­d hat gemeinsam mit Frankreich eine große Verantwort­ung, das voranzutre­iben.

In vielen europäisch­en Ländern hat es in den vergangene­n Jahren einen starken Rechtsruck gegeben. Wo sehen Sie die Ursachen? Klingbeil: Vieles an der europäisch­en Einigung haben wir zu lange für selbstvers­tändlich gehalten. Aber gerade meine Generation muss jetzt für ein starkes Europa kämpfen! Wir müssen von einer oft sehr technokrat­ischen EU zu einem sozialen Europa kommen, das den Menschen Sicherheit gibt. Da tragen wir gemeinsam Verantwort­ung, die vielen pro-europäisch­en Stimmen, die es ja auch in Osteuropa durchaus gibt, zu stärken.

Viele sozialdemo­kratische Parteien in Europa sind bis zur Bedeutungs­losigkeit geschrumpf­t. Auch die SPD liegt momentan in Umfragen noch unter dem historisch schlechten Ergebnis der Bundestags­wahl. Wie wollen Sie den weiteren Absturz aufhalten? Klingbeil: Politische­s Vertrauen geht sehr schnell verloren, aber es dauert lange, es wieder zurückzuge­winnen. Deshalb müssen wir als SPD konsequent unseren Weg der Erneuerung weitergehe­n und dürfen uns von Umfragen nicht verrückt machen lassen. Wir sind die Partei, die Antworten auf die Fragen der Zukunft entwickelt, in der die Digitalisi­erung die Arbeitswel­t verändern wird. Die SPD will diesen Wandel sozial gestalten. Daran arbeiten wir. Es geht aber auch darum, die Partei selbst zu verändern. Und ich bin mir sicher, dass es bei den Menschen eine große Hoffnung gibt auf eine zukunftsor­ientierte, optimistis­che Sozialdemo­kratie. mehr klare Führung von der Parteispit­ze zu wünschen, als noch mehr Diskussion­en und Konferenze­n ... Klingbeil: Wir haben in den letzten Jahren viel zu häufig erlebt, dass zwei Leute in Hinterzimm­ern umstritten­e Entscheidu­ngen getroffen haben. Das wird es mit der jetzigen Parteiführ­ung nicht mehr geben. Heute haben wir ganz andere Möglichkei­ten der Kommunikat­ion als zu Zeiten von Willy Brandt. Und die nutzen wir auch. Trotzdem gibt die Parteispit­ze die Richtung vor. Aber die Mitglieder stärker in Entscheidu­ngen einzubinde­n, ist der richtige Weg.

Bei der Bundestags­wahl hat auch die SPD Wähler an die AfD verloren, rund eine halbe Million. Geben Sie die verloren oder gibt es Ideen, wie Sie die zurückhole­n können? Klingbeil: Wir müssen als Gesellscha­ft wegkommen von angstgetri­ebenen Debatten über Migration und viel mehr über die wichtigen sozialen Themen sprechen, die die Menschen bewegen. Bei vielen Gesprächen im Wahlkreis höre ich Sätze wie „Wegen der Flüchtling­e kriegen wir keine bezahlbare Wohnung mehr“. Da geht es aber eigentlich überhaupt nicht um Flüchtling­spolitik, sondern darum, dass wir mehr bezahlbare­n Wohnraum schaffen müssen. Pflege, Rente, Bildung, das sind die sozialen Themen, die die Menschen bewegen. Darauf hat die SPD Antworten und jetzt arbeiten wir in der Regierung daran, mit guter Politik den Alltag der Menschen ganz konkret zu verbessern. Das ist das beste Rezept gegen die AfD.

Viele SPD-Mitglieder hadern ja noch immer mit dem Gang in die Große Koalition. Wie stark ist der Restschmer­z? Klingbeil: Wir haben ja intensiv diskutiert und am Ende eine klare Entscheidu­ng getroffen, die heute alle akzeptiere­n. Viele schätzen diese Debattenku­ltur in der SPD und wir haben in dieser Zeit eine Menge neue Mitglieder gewonnen, die sich nun einbringen. Jetzt arbeiten wir alle gemeinsam an der Erneuerung der Partei.

Müssen Sie fürchten, dass viele Genossen sich einer linken Sammlungsb­ewegung anschließe­n? Klingbeil: Nein. Wenn ich mir ansehe, welche Personen da zugange sind, und welche teilweise populistis­chen

„Die Menschen müssen schneller erfahren, ob sie hierbleibe­n können oder nicht.“Lars Klingbeil zu den Asylverfah­ren

„Sahra Wagenknech­t und Oskar Lafontaine sind nicht die Zukunft der politische­n Linken in Deutschlan­d.“Lars Klingbeil über linke Abspaltung­en

und nationalis­tischen Töne da angeschlag­en werden, dann sehe ich diese Gefahr überhaupt nicht. Sahra Wagenknech­t und Oskar Lafontaine sind nicht die Zukunft der politische­n Linken in Deutschlan­d.

In der Unionskris­e standen zeitweise Neuwahlen im Raum und die Gefahr, dass es dazu kommt, bleibt ja bestehen. Wie gut sind Sie auf den Fall des Falles vorbereite­t? Klingbeil: Unsere Motivation ist jetzt, die sozialdemo­kratischen Projekte im Koalitions­vertrag umzusetzen, dafür sind wir in dieser Regierung. Trotzdem hat der Konflikt auf Unionsseit­e uns vor Augen geführt, dass wir auf alle Situatione­n vorbereite­t sein müssen. Und das sind wir auch. Lars Klingbeil, 40, ist seit vergange nem Herbst SPD Generalsek­retär. Der Niedersach­se aus der Lüneburger Heide studierte in Hannover Poli tikwissens­chaft, Soziologie und Ge schichte. In dieser Zeit arbeitete er im Wahlkreisb­üro von Bundeskanz­ler Schröder. Von 2003 bis 2007 war er Bundesvors­itzender der Jusos. Seit 2009 sitzt er im Bundestag. Er ge hört dem konservati­ven Seeheimer Kreis der SPD an.

 ?? Foto: Christoph Schmidt, dpa ?? Lars Klingbeil steht vor der Aufgabe, die SPD aus einem Rekordumfr­agetief herauszufü­hren. Er glaubt, dass seine Partei den rich tigen Weg eingeschla­gen hat.
Foto: Christoph Schmidt, dpa Lars Klingbeil steht vor der Aufgabe, die SPD aus einem Rekordumfr­agetief herauszufü­hren. Er glaubt, dass seine Partei den rich tigen Weg eingeschla­gen hat.

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