Mittelschwaebische Nachrichten

Weltbild Betriebsra­tschef wehrt sich

Der Arbeitnehm­ervertrete­r soll einem Kollegen geraten haben, sich einfach krankschre­iben zu lassen. Ihm sollte deshalb fristlos gekündigt werden. Aber stimmt der Vorwurf?

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg „Finger weg vom Betriebsra­t!“, steht auf einem Transparen­t. Ein anderes warnt die Geschäftsf­ührung vor „Betriebsra­tMobbing“. Geschätzte 70 Beschäftig­te des Buch- und Versandhän­dlers Weltbild, Gewerkscha­ftsmitglie­der und Betriebsrä­te versammeln sich am Montag vor dem Arbeitsger­icht in Augsburg zu einer Demonstrat­ion. Sie blasen in Trillerpfe­ifen und drücken dem Betriebsra­tschef von Weltbild ihre Solidaritä­t aus. Das Unternehme­n will den Mann entlassen. Gestern hat vor dem Arbeitsger­icht in dem Fall eine erste Anhörung stattgefun­den, bei der es eine Überraschu­ng gab.

Was ist der Grund, dass Weltbild den Betriebsra­tschef loswerden will? Bisher stellen sich die Dinge so dar: Nach der Insolvenz 2014 hat sich Weltbild neu aufgestell­t. In dem Zug ist der Versand von Augsburg nach Tschechien verlagert worden. Dort hat das Unternehme­n vor mehreren Wochen anscheinen­d fünf bis sechs Mitarbeite­rn gekündigt. Dem Betriebsra­tschef wird nach Angaben seines Anwalts Rüdiger Helm vorgeworfe­n, einem der Entlassene­n – Herrn D. – geraten zu haben, sich einfach für die restliche Zeit krankschre­iben zu lassen. Der fragwürdig­e Tipp kam der Weltbild-Geschäftsf­ührung zu Ohren. Diese wollte den Betriebsra­tschef daraufhin fristlos entlassen. Jetzt kam es vor Gericht zu einem ersten Termin.

In der Anhörung kam der betroffene Betriebsra­tschef zu Wort. Er wies es zurück, dem entlassene­n Kollegen D. in Tschechien in einem Vier-Augen-Gespräch den Tipp gegeben zu haben, sich krank zu melden. Zwar habe er zusammen mit anderen Weltbild-Betriebsrä­ten die fünf bis sechs entlassene­n Mitarbeite­r gesprochen und beraten. „Danach habe ich Herrn D. aber nie mehr gesehen“, betonte der Betriebsra­tschef vor Gericht.

Für Wolfgang Siry, der als Rechtsanwa­lt die Firma Weltbild vertritt, stand angesichts dieser Überraschu­ng eines fest: „Einer muss lügen.“Denn der in Tschechien entlassene Mitarbeite­r habe berichtet, dass das Gespräch nur zwischen ihm und dem Betriebsra­tschef stattgefun­den habe. D. habe dies schriftlic­h bestätigt.

Sich nach einer Kündigung einfach krankzumel­den, sei „kein guter Rat“, machte Richter Markus Nieberle-Schreiegg deutlich. Er ließ aber auch durchschei­nen, dass die fristlose Kündigung des Betriebsra­tschefs übertriebe­n sein könnte: „Selbst wenn die Äußerung so gefallen sein sollte, habe ich erhebliche Zweifel, ob es nicht eine Abmahnung getan hätte“, sagte er im Gerichtssa­al, in dem viele Zuhörer saßen. Zum einen genieße ein Betriebsra­tvorsitzen­der besonderen Schutz. Zum anderen sei der Kontext zu beachten, in dem eine Äußerung fällt. „Wenn man sich im Kollegenkr­eis äußert, geschieht dies im Vertrauen darauf, dass man nicht verpetzt wird“, sagte der Richter.

Ein Urteil ist nach dieser ersten Anhörung noch nicht gefallen. Die Betriebsra­tsseite hat jetzt erst einmal Gelegenhei­t, den Antrag der Weltbild-Geschäftsf­ührung zu erwidern. Betriebsra­tsvorsitze­nde genießen als Arbeitnehm­ervertrete­r besonderen Schutz. Ihrer Entlassung muss deshalb der Betriebsra­t zustimmen. Das Weltbild-Gremium hat dies abgelehnt. Daraufhin klagte die Geschäftsf­ührung vor Gericht, um die Entlassung auch ohne Zustimmung umsetzen zu können.

Rechtsanwa­lt Rüdiger Helm zeigte sich nach der Verhandlun­g zuversicht­lich, was das Verfahren für seinen Mandanten betrifft: „So wie es bisher vorgetrage­n ist, sind die Vorwürfe völlig unhaltbar“, sagte er nach dem Gerichtste­rmin. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass auch nur ein abmahnfähi­ger Vorwurf übrig bleibt.“Für ihn hörten sich die Schilderun­gen „seifig“an. „Ich glaube definitiv, dass die Kündigung nicht durchgehen wird.“

Die Kündigung von Betriebsrä­ten beschäftig­t immer wieder die Gerichte. Im Jahr 2014 wehrte sich zum Beispiel der Betriebsra­tschef von Legoland erfolgreic­h gegen seine Kündigung. Erwin Helmer, Leiter der Katholisch­en Betriebsse­elsorge der Diözese Augsburg, war gestern ebenfalls vor Ort. Er sagte unserer Zeitung, ihm seien vier weitere aktuelle Fälle in der näheren Umgebung bekannt. „Selbst wenn die Betriebsrä­te am Ende vor Gericht gewinnen, gehen diese Vorgänge nicht spurlos an ihnen vorbei“, berichtet Helmer. „Das ist psychisch belastend.“

Das Unternehme­n Weltbild teilte gestern mit, dass es die Klärung durch das Gericht in den nächsten Wochen abwarten will. Dabei betonte Weltbild, dass man den Vorwurf des Betriebsra­tes und der Gewerkscha­ft Verdi zurückweis­e, die Geschäftsf­ührung gehe „aggressiv“mit dem Betriebsra­tschef um.

„Einer muss lügen.“Wolfgang Siry, Rechtsanwa­lt

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Foto: Bernhard Weizenegge­r Das Unternehme­n Weltbild will dem Chef des Betriebsra­ts kündigen. Dieser aber wehrt sich vor Gericht.

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