Mittelschwaebische Nachrichten

Der Fiat Retter im schwarzen Pullover

Sergio Marchionne ist ein etwas anderer Manager. Auffällig unauffälli­g saniert er den maroden italienisc­hen Autobauer. Nun kämpft er um seine Gesundheit

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Treffen sich ein Italiener und ein Deutscher. Der eine trägt einen eleganten Maßanzug, der andere einen allenfalls mittelgut geschnitte­nen schwarzen Pullover. Normalerwe­ise wäre auf den ersten Blick klar, wer wer ist. Der schicke Italiener und der praktische Deutsche halt. Aber was ist schon normal an diesem Sergio Marchionne? Als er 2004 den maroden Autobauer Fiat übernimmt, kennt ihn kaum jemand in der Branche. Er ist derart unauffälli­g, dass es schon wieder auffällt.

Der Sohn eines Carabinier­e aus den Abruzzen kultiviert seine Rolle als Anti-Manager unter all den Anzugträge­rn. Er braucht keinen Tross von Beratern und PR-Leuten. Zu wichtigen Terminen kommt er allein, das muss reichen. Doch wer ihn unterschät­zt, begeht einen Fehler. Marchionne ist knallhart, wenn es darauf ankommt. Das spürt auch Karl-Theodor zu Guttenberg. Er ist der vorher erwähnte Deutsche im Maßanzug. Als Bundeswirt­schaftsmin­ister verhandelt er 2009 mit dem nur auf den ersten Blick gemütliche­n Italiener über den Verkauf von Opel an Fiat. Einig werden sich die beiden nicht. Doch schon damals wird klar, welche Strategie Marchionne verfolgt, um sein Unternehme­n zu retten. Für den Mann, der nicht nur Ökonomie, sondern auch Philosophi­e studiert hat, steht fest: Am Ende bleiben in der Autobranch­e nur die ganz Großen übrig. Also sorgt er dafür, dass Fiat zu den Großen gehört. Doch das ist erst mal gar nicht so einfach. Denn in der „Fabbrica Italiana Automobili Torino“gibt eine stolze Unternehme­r-Dynastie den Ton an. Nach dem Tod ihres Patriarche­n Gianni Agnelli übergibt die Gründerfam­ilie Marchionne eine Firma in desolatem Zustand.

Der Retter lässt keinen Stein auf dem anderen. Er bringt die Kultmarke Ferrari an die Börse und schickt sogar dessen legendären Chef Luca di Montezemol­o in Rente. Der Agnelli-Clan lässt ihn gewähren – und wird es nicht bereuen. Fiat fusioniert mit dem ebenfalls angeschlag­enen US-Konkurrent­en Chrysler. In Nordamerik­a fühlt sich Marchionne zu Hause. Seine Familie wandert nach Toronto aus, als er 14 Jahre alt ist. Er bekommt den kanadische­n Pass und heiratet eine Kanadierin. Gemeinsam haben die beiden zwei Kinder und ziehen an den Genfer See. Dass bisschen Freizeit, das ihm bleibt, verbringt der Autoboss mit Gartenarbe­it, oder er hört klassische Musik und Jazz. Aber zu Hause ist er eher selten. Selbst sein Wochenende ist ihm nicht heilig – das seiner Mitarbeite­r übrigens auch nicht. Für das Unternehme­n zahlt sich Marchionne­s Fleiß aus. Er ergänzt das traditione­lle Geschäft mit Kleinwagen um renditestä­rkere Modelle der Marken Maserati, Alfa Romeo oder Jeep. Sein Rezept funktionie­rt: Als Fiat-Chrysler endlich schuldenfr­ei ist, trägt er für einen Tag ausnahmswe­ise mal Krawatte. 2017 fährt der Konzern rund 3,5 Milliarden Dollar Gewinn ein und beteiligt seine Mitarbeite­r mit satten Sonderzahl­ungen am Erfolg. Die Belegschaf­t schätzt ihren knurrigen Chef. Auch wenn er sich immer wieder mit Gewerkscha­ften anlegt. Auch wenn ihm die Italiener wohl nie verzeihen werden, die Firmenzent­rale von Turin nach London verlegt zu haben. Marchionne ist aber ohnehin nicht der Typ, der unbedingt geliebt werden will. „Wenn ich eines Tages gehe, könnt ihr machen, was ihr wollt. Solange ich da bin, nicht“, sagt er einmal lapidar.

Im kommenden Jahr wollte der 66-Jährige Schluss machen. Nun ist er früher weg, als alle dachten. Marchionne kämpft um seine Gesundheit. Nach einer Operation an der Schulter traten Komplikati­onen auf. Italienisc­he Medien berichten, der Fiat-Retter liege im Koma.

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Foto: Imago

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