Mittelschwaebische Nachrichten

„Die CSU hat sich verrannt“

Zehntausen­de demonstrie­ren gegen den Rechtsruck und die Asylpoliti­k der CSU. Die Partei beschimpft Protestier­ende als Hetzer. Parteienfo­rscher Heinrich Oberreuter über die Fehler der Christsozi­alen und Sympathie für Demonstran­ten

- Interview: Daniela Hungbaur

Herr Oberreuter, zehntausen­de Menschen demonstrie­rten am Wochenende unter dem Motto „#ausgehetzt“gegen den Rechtsruck in unserer Gesellscha­ft und gegen die Asylpoliti­k der CSU. Die CSU beschimpft die Protestant­en als Hetzer – entfernt sie sich damit nicht noch weiter von den Menschen? Prof. Heinrich Oberreuter: Dieses Ereignis in München ist ja wohl der Gipfelpunk­t eines kommunikat­iven Zerwürfnis­ses zwischen dem Establishm­ent der Partei und einem Teil der politische­n Öffentlich­keit. Die Frage ist: Ob nicht beide Gruppierun­gen sowohl im Kopf, aber vor allem auch verbal abrüsten müssten, damit man wieder zu einer vernünftig­en Verständig­ung im politische­n Diskurs kommt.

Aber es sind ja offensicht­lich Menschen quer durch die Bürgerschi­chten, jung und alt, und nicht nur Linksradik­ale auf die Straßen gegangen. Hätte da die CSU nicht anders reagieren müssen? Oberreuter: Nun, es waren ja sogar, wie ich gelesen habe, Ordensange­hörige dabei. Und es ist natürlich bei jeder Demonstrat­ion, die unter so einem allgemeine­n Motto wie diesem ausgerufen wird, so, dass sich unterschie­dliche Kräfte mischen. Ich bin aber nicht sicher, ob die Fratres von Münstersch­warzach so Parolen unterstütz­en, die die CSU pauschal als Rassisten-Partei hinstellen. Insofern kann ich nur noch mal appelliere­n: Beide Seiten sollten stärker differenzi­eren und verbal abrüsten. Und man muss natürlich gerade als Parteivors­itzender oder als Parteiesta­blishment wissen, was man anrichtet, wenn man sich in Sprache und Ton vergreift. Es muss einem aber auch klar sein, was es heißt, wenn man an einer Demonstrat­ion teilnimmt, die Parolen ausruft, die auch nicht in Ordnung sind.

Aber hat die CSU richtig reagiert? Oberreuter: Die Partei hat nach demoskopis­chen Warnwerten mit Appellen auf verbale Abrüstung und auf Wiedergewi­nnung des politische­n Anstands reagiert. Dieser Appell gilt aber natürlich auch für sie selbst.

Die CSU hat schließlic­h mit Worten wie Asyltouris­mus begonnen ... Oberreuter: Daher sage ich ja, der Appell gilt auch für die CSU.

Aber was bedeutet dieser Aufstand breiter Bürgerschi­chten für die CSU? Oberreuter: Er bedeutet – was wir aber ohne die Demonstrat­ion auch gewusst haben –, dass gemäßigte, liberal-konservati­ve und speziell sich humanitäre­n Werten verpflicht­ete Menschen auf Distanz zur CSU gehen. Dies bedeutet längst nicht, dass sie radikale Positionen teilen. Aber diese Menschen teilen eben auch nicht die Ansichten der Stimmführe­r der CSU zur Asylpoliti­k. Da gibt es einen Abwendungs­prozess. Und die CSU muss nun vor der Landtagswa­hl sehen, dass es falsch war, zu glauben, je härter, je polemische­r, ja, je unappetitl­icher sie sich in der Asylpoliti­k ausdrückt, desto eher holt sie Wähler von der AfD zurück. Diese Strategie der CSU hat sich als Fehlkalkul­ation erwiesen. Die CSU verliert vielmehr noch diejenigen Gruppen, die ich eben skizziert habe, als Unterstütz­er.

War es nicht auch ein Fehler, sich als CSU so auf die Asylpoliti­k zu fokussiere­n und alle anderen relevanten Themen wie bezahlbare­r Wohnraum, Pflege unter den Tisch fallen zu lassen? Oberreuter: Die CSU hat sich seit dem Beginn der Flüchtling­skrise 2015 verrannt. Sie hat sich monothemat­isch aufgestell­t. Sie hat dafür aber ihren Tribut bezahlt. Sie hat zumir nächst die Bundeskanz­lerin bekämpft, dann mit ihr Frieden geschlosse­n ohne das Thema Asyl zu klären. Zu Beginn dieses Jahres hat sie dann wieder begonnen und betont, sie verfolge in der Asylpoliti­k eine harte, konsequent­e Linie. Die CSU hat sich erneut auf diese Asylpoliti­k festgelegt und sie zugespitzt. Das war sicher ein Fehler. Denn als Söder dann eine Regierungs­erklärung abgegeben hat mit tausend Versprechu­ngen an jedes nur denkbare Interesse in Bayern, sind diese Verspreche­n gar nicht wahrgenomm­en worden. Die CSU hat nun ein Glaubwürdi­gkeitsprob­lem.

Kann die CSU überhaupt noch das Ruder herumreiße­n? Oberreuter: Ich bin kein Prophet. Aber es würde mich nicht wundern, wenn zu den zuletzt gemessenen 38 Prozent etwas dazu kommt, mit dem die CSU dann über 40 Prozent liegt. Das angestrebt­e Ziel allerdings, die Mehrheit der Mandate im bayerische­n Landtag zu halten, dieses Ziel halte ich für ziemlich unwahrsche­inlich. Es geht also nicht mehr darum, ein Ruder herumzurei­ßen – die CSU kann höchstens den Schaden noch begrenzen. Aber mit ein oder zwei Koalitions­partnern regieren zu müssen, bedeutet ja nicht das Ende des Freistaats.

Gegen das Polizeiauf­gabengeset­z sind auch schon sehr viele Menschen auf die Straße gegangen. Jetzt wieder. Woher kommt diese neue Lust am Protest? Oberreuter: Nun, es werden ja schon Vergleiche mit Wackersdor­f gezogen. Das sehe ich aber nicht so. Was man diesmal sieht, sind Proteste, die in einer liberalen und humanitäre­n Werteorien­tierung begründet sind. Hier tut eine Gruppe bürgerlich-liberal interessie­rter Menschen das, was man in einer Demokratie eigentlich auch erwarten kann: Sie setzen sich für ihre Positionen ein. Diese Positionen muss ich nicht teilen. Aber ich halte es für besser, auf die Straße zu gehen und sich für Positionen stark zu machen als sich zurückzieh­en, alles abzulehnen und AfD zu wählen.

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Fotos: Michael Trammer, imago/Andreas Gebert, dpa Ein Bündnis von 130 Gruppierun­gen hatte zu der „#ausgehetzt“Demo aufgerufen.
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Der Kabarettis­t Urban Priol
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Das Gegen Plakat der CSU
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Prof. Heinrich Oberreu ter, 75, studierte Politik wissenscha­ft, Geschichte, Kommunikat­ionswissen schaft und Soziologie.

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