Mittelschwaebische Nachrichten

Ein Bürgerents­cheid als Ventil

Kaufbeurer lehnen muslimisch­es Gebetshaus ab. Der Versuch einer Erklärung

- VON ALEXANDER VUCKO

Kaufbeuren Journalist­en aus dem ganzen Land schauen nach Kaufbeuren im Allgäu. Dort hat eine deutliche Mehrheit der Wähler am Sonntag bei einem Bürgerents­cheid ihren Stadtrat zurückgepf­iffen, der mit dem örtlichen Türkisch-Islamische­n Kulturvere­in Ditib über ein Grundstück für den Neubau einer Moschee verhandeln wollte. Was ist los in der 45000-Einwohner-Stadt? Entlädt sich dort der Islam-Hass an einem muslimisch­en Verein, der seit Jahrzehnte­n unauffälli­g ist und sich ein größeres Gebetshaus wünscht?

„Das klare Votum ist das Ergebnis einer tiefen Verunsiche­rung in der Bevölkerun­g“, sagt Oberbürger­meister Stefan Bosse am Tag danach. „Es ist ein Statement vieler Menschen gegen den politische­n Islam.“Dies habe er in vielen Einzelgesp­rächen wahrgenomm­en. Dass der Verein seit vier Jahrzehnte­n völlig unauffälli­g seine Heimat in Kaufbeuren hat, dass die Stadt ihre Einflussmö­glichkeite­n auf Planung und Betrieb der neuen Moschee aus der Hand gibt, wenn möglicherw­eise bald auf Privatgrun­d gebaut wird – diese Argumente haben die Kritiker nicht überzeugt. Oder gar nicht erreicht, wie Bosse vermutet. Dabei habe es an Veranstalt­ungen und Aufklärung­sarbeit zu dem Vorhaben nicht gemangelt.

„Die Stimmungsl­age ist hier nicht anders als in ganz Deutschlan­d“, sagt CSU-Politiker Bosse, der sich stets für den Neubau aussprach. „In Kaufbeuren hat sie nun aber ein Ventil gefunden.“Wie bei der Fußball-WM soll es am Sonntagabe­nd sogar einen Autokorso vor dem Rathaus gegeben haben, bei dem sich einige deutsche Moschee-Gegner nach dem sportliche­n Desaster doch noch einmal als Sieger fühlen durften. „Das Motto: Denen haben wir es gezeigt“, sagt Bosse. Diese Stimmung reiche angesichts der Politik des türkischen Präsidente­n Erdogan, der Terrorangs­t und der Flüchtling­ssituation weit ins bürgerlich­e Lager hinein. Aber natürlich wäre es zu einfach, alle Gegner des Vorhabens als Protestwäh­ler zu kategorisi­eren. Das weiß auch Bosse. Viele Bürger seiner Stadt hätten die Dimension des muslimisch­en Gebetshaus­es und das Minarett kritisiert. Pläne, von denen der Verein bislang nicht abrücken wollte.

Ein Teil der Erklärung findet sich aber doch speziell in Kaufbeuren, genauer in Neugablonz. Heimatvert­riebene haben den Stadtteil nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut. Später ließen sich dort viele Spätaussie­dler aus den früheren Ostblock-Staaten nieder – eine umworbene Wählergrup­pe der AfD. Die rechtspopu­listische Partei hat auch bei dem Bürgerents­cheid im Hintergrun­d die Fäden gezogen. Prozentual war die Ablehnung des Grundstück­sgeschäfts für den MoscheeBau im Neugablonz­er Zentrum am höchsten. Bosse sieht Zusammenhä­nge und zieht daraus die Erkenntnis, dass die Politik diese Bevölkerun­gsgruppe bislang möglicherw­eise vernachläs­sigt habe.

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Foto: Harald Langer Eine deutliche Mehrheit hatte sich beim Bürgerents­cheid gegen die Moscheeplä ne ausgesproc­hen.

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