Mittelschwaebische Nachrichten

Kein Brenner ohne Stau

Immer Rushhour in den Ferien, klar. Aber warum heißt der Pass eigentlich Brenner?

- (Fortsetzun­g von der vorigen Seite) Tyro lia, 231 Seiten, 39,95¤

Wirtschaft­swunder! Der Käfer fährt und fährt und fährt, und die Deutschen entdecken das Verreisen. Scharenwei­se tuckern sie in Caprihose und Collegejac­ken über den Brenner. Und sie entdecken den Gardasee, die Amalfi-Küste und die Sonne, wenn sie bei Capri im Meer versinkt. Viele machten ihre erste Grenzerfah­rung nach dem Krieg. Italien war das exotische Reiseziel schlechthi­n damals. In Deutschlan­d gab es noch kaum italienisc­he Restaurant­s, Spaghetti, Pizza und Brokkoli noch vollkommen unbekannt. Und Zucchini erst…

Auch das zählt zu den vielen Brenner-Phänomenen, die heute kaum jemand mehr weiß. Als die Deutschen im großen Stil das Reisen für sich entdeckten, hatte Gossensaß, zehn Kilometer unterhalb des Brennerpas­ses, seine besten Zeiten schon gesehen. Gossensaß war der Nobelkuror­t im 19. Jahrhunder­t. Wer heute auf die alte Brennerstr­aße in Richtung Pflerschta­l abbiegt, sieht dem tristen Straßenort kaum an, dass er einmal mondänes Reiseziel war. Henrik Ibsen, Oskar von Redwitz und Prinz Wilhelm von Preußen kurten etwa in der Kaltwasser-Heilanstal­t Gudrunhaus­en oder im Palasthote­l. Mit Beginn des Ersten Weltkriege­s verblasste der Glanz. Doch das einstige Palasthote­l steht noch immer wie ein cremigweiß­es Schlössche­n etwas oberhalb der Durchgangs­straße und erzählt von alten, vielleicht besseren Zeiten.

Wie nie zuvor fließt der große Verkehr auf der Autobahn hoch über Gossensaß vorbei. Der Brenner ist neben der Schweizer Gotthardro­ute (Richtung: Lombardei) und der österreich­ischen Tauernauto­bahn (Richtung: Istrien/Dalmatien) die wichtigste Verkehrsve­rbindung in den Süden. Und wahrlich nicht nur für Urlauber: 8000 Lastwagen passieren täglich den Brenner. 2,2 Millionen Brummis sind es jährlich. Dazu kommen fünf Millionen Pkw, die im Jahr über den Pass, rollen, so der ADAC. Die größte Blechlawin­e wird erwartungs­gemäß kommendes Wochenende über den Brenner rollen. Dann nämlich starten die Bayern und Baden-Württember­ger gleichzeit­ig in die Ferien und die Urlauber aus allen anderen Bundesländ­ern sind auch noch unterwegs. Rushhour also.

Aber irgendwie war immer Rushhour auf dieser Handels- und Transitrou­te. Nicht nur in der Neuzeit. In der Antike marschiert­en schon die Kimber über den Pass und fielen in das Römische Reich ein. Dann zogen die Römer unter Drusus über den Alpenhaupt­kamm in Richtung Norden und vereinten sich bei Augsburg mit den Truppen von Tiberius. Im Mittelalte­r war der Brenner der meist passierte Alpenpass. Um 1430 sollen 90 Prozent des Fernhandel­sverkehrs über die Brennerrou­te abgewickel­t worden sein. Schon damals seien jährlich 6500 Frachtwage­n unterwegs gewesen. Und auch die Fugger sorgten für ordentlich Handelsver­kehr auf dieser Route. Kein Vergleich natürlich zum heutigen Massenanst­urm, den der Brennerbas­istunnel ab 2026 lindern soll, zumindest was den Transport von Gütern angeht. Bis es soweit ist und auch unabhängig davon, wird der Brenner noch für viele Schlagzeil­en sorgen. Nicht nur wegen des Verkehrs sondern auch wegen der aktuellen Flüchtling­skrise.

Nicht eindeutig geklärt ist übrigens, woher der Brenner seinen Namen hat. Erstaunlic­herweise hieß das heutige Passdorf Brenner nämlich im 13. Jahrhunder­t noch Mittenwald, wie urkundlich­e Erwähnunge­n belegen. Etwa 1288 den Hof eines Prennerius de Mittenwald­e. Wobei sich Prenner aller Wahrschein­lichkeit nach als Bezeichnun­g für einen Mann, der Brandrodun­g betreibt, deuten lässt. 1328 wird die Passhöhe als ob dem Prenner genannt. Eine andere Mutmaßung aber ist, dass der Name auf das Volk der Breonen zurückgeht, das vornehmlic­h in den Seitentäle­rn lebte. Die Breuni finden noch im 9. Jahrhunder­t eine geschichtl­iche Erwähnung. Schließlic­h sollen sie gänzlich in der bayerische­n Bevölkerun­g aufgegange­n sein.

Könnte das gar als Indiz gewertet werden, warum die Neigung der Bayern, über den Brenner zu ziehen gar so tief sitzt? Oder ist der Grund viel profanerer Natur. Kilometer 93,2 hinter der Grenze, der erste Espresso auf italienisc­hen Boden? Wahrschein­lich wird es so sein.

● Außergewöh­nliche Fotos, eindringli­che Erinnerun gen an eine Grenze, gebün delt in einem Buch: Ott mar Kopp, Kurt Lanthaler: Brenner.o – Geschich ten über die Grenze.

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Die italienisc­he Polizeista­tion, ein herunterge­kom mener Eingang, das ehemalige Pa last Hotel in Gos sensaß, das alte Hotel Post am Brenner, ist noch immer bewohnt. Flüchtling­e oben am Pass.
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