Mittelschwaebische Nachrichten

Wer künftig in Deutschlan­d arbeiten darf

Die Große Koalition will die jahrelange Debatte um ein Einwanderu­ngsgesetz beenden. Erste Konturen für eine legale Zuwanderun­g in den Arbeitsmar­kt zeichnen sich ab. Ein Vorbild dafür gibt es bereits

- VON MARTIN FERBER

Berlin Es ist ziemlich genau 17 Jahre her. Am 4. Juli 2001 präsentier­ten der damalige Bundesinne­nminister Otto Schily von der SPD und die beiden Vorsitzend­en der von ihm eingesetzt­en „Unabhängig­en Kommission Zuwanderun­g“, die ehemalige Bundestags­präsidenti­n Rita Süssmuth von der CDU und der einstige SPD-Partei- und Fraktionsc­hef Hans-Jochen Vogel, den Abschlussb­ericht mit ihren Empfehlung­en. „Noch nie“, so schwärmte Süssmuth damals, habe es so viele Gemeinsamk­eiten zwischen den Parteien in Fragen der Zuwanderun­g gegeben, man sei sich einig, dass Zuwanderun­g angesichts des demografis­chen Wandels dringend nötig sei, damit Deutschlan­d auf Dauer seinen Bedarf an Arbeitskrä­ften und somit auch an Beitragsza­hlern für die sozialen Sicherungs­systeme decken könne. „Lasst uns jetzt die Chance nutzen“, sagte sie.

In ihrer gut neunmonati­gen Arbeit hatte sich die hochrangig besetzte „Süssmuth-Kommission“im Konsens auf eine Reihe von Empfehlung­en geeinigt. Deutschlan­d solle zunächst pro Jahr mindestens 50000 Einwandere­r aus Nicht-EUStaaten aufnehmen. 20 000 sollten nach einem Punktesyst­em nach dem Vorbild Kanadas ausgewählt werden, das unter anderem das Alter, die Berufsbild­ung und die Sprachkenn­tnisse der Bewerber berücksich­tige, weitere 20000 Menschen sollten Branchen mit Fachkräfte­mangel direkt anwerben dürfen und 10 000 junge Menschen sollten nach Deutschlan­d einwandern dürfen, um hier eine Berufsausb­ildung zu machen.

Jedoch: In all den Jahren danach ist nichts geschehen. Beharrlich weigerte sich die Union, die Arbeit an einem derartigen Einwanderu­ngsgesetz aufzunehme­n, auch ein Vorstoß des früheren CDU-Generalsek­retärs Peter Tauber in der letzten Legislatur­periode lief ins Leere. Nun aber unternehme­n CDU/CSU und SPD einen neuen Anlauf, um ein Einwanderu­ngs- gesetz zu verabschie­den, um die legale Zuwanderun­g in den Arbeitsmar­kt zu lenken und zu begrenzen.

Nach der Sommerpaus­e will Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) erste Eckpunkte vorlegen, bis spätestens zum Jahresende soll der Gesetzentw­urf vom Kabinett beschlosse­n werden, damit sich dann im neuen Jahr der Bundestag mit der Vorlage beschäftig­en und das Gesetz im Frühjahr verabschie­den kann. Bei ihrer traditione­llen Sommerpres­sekonferen­z am vergangene­n Freitag nannte Bundeskanz­lerin Angela Merkel das Vorhaben ein „zentrales Projekt“der Großen Koalition. Einerseits gehe es um die Anwerbung von Arbeitskrä­ften im Ausland für Branchen mit Fachkräfte­mangel, anderersei­ts aber auch um die „Ordnung und Steuerung der Migration“.

Wie das geschehen soll, ist noch offen, gleichwohl zeichnen sich erste Konturen ab. Ein Punktesyst­em, wie es einst die „Süssmuth-Kommission“vorgeschla­gen hat, wird es wahrschein­lich nicht geben. Denn auch die Punkte garantiere­n nicht, dass der Zuwanderer danach tatsächlic­h in Deutschlan­d einen Arbeitspla­tz findet – oder im Sozialsyst­em landet. Vielmehr soll nur einreisen dürfen, wer bereits einen Arbeitsver­trag mit einem deutschen Unternehme­n vorweisen kann.

Als Vorbild nannte Merkel die Regelung, die Deutschlan­d mit den Staaten des westlichen Balkans getroffen hat. Einerseits wurden diese Staaten zu sicheren Herkunftsl­ändern erklärt, was es praktisch unmöglich macht, bei der Einreise in die Bundesrepu­blik einen Antrag auf politische­s Asyl zu stellen und während dieser Zeit einen Job zu suchen. Anderersei­ts wurde die Möglichkei­t geschaffen, dass die Menschen sich in ihren Heimatländ­ern um einen Job in Deutschlan­d bemühen können. Vor Ort gibt es spezielle Zentren, die über offene Stellen informiere­n. Liegt ein vom Arbeitgebe­r unterschri­ebener Arbeitsver­trag vor, stellt die deutsche Botschaft ein Visum aus, womit legal eingereist werden kann. Im Gegensatz zur sogenannte­n Blue Card, die ausschließ­lich für Hochschula­bsolventen gilt und an ein Mindestein­kommen von 52000 Euro im Jahr (bei Mangelberu­fen 40560 Euro) gekoppelt ist, haben über diese Regelung auch Handwerker oder gar Geringqual­ifizierte die Möglichkei­t auf eine legale Einreise.

Im vergangene­n Jahr wurden 37427 Arbeitsvis­a für Frauen und Männer aus den Westbalkan-Ländern ausgestell­t, mehr als doppelt so viele wie im Jahr zuvor, als es rund 16 500 waren. Vor wenigen Tagen erst hatte Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) vorgeschla­gen, gezielt Pflegekräf­te aus den Ländern des Balkans und Osteuropas anzuwerben, um die Personalpr­obleme bei der häuslichen und stationäre­n Pflege zu lösen. Die Innenexper­ten von CDU und CSU sind nach Informatio­nen unserer Zeitung bereit, die Westbalkan-Regelung als Basis eines Einwanderu­ngsgesetze­s herzunehme­n, wenn gleichzeit­ig sichergest­ellt sei, „dass wir die Zuwanderun­g

Wer erinnert sich noch an die Süssmuth Kommission?

Sonderrege­lungen für Pflegekräf­te denkbar

aus Nicht-EU-Staaten strikt begrenzen“, wie ein führender Unions-Innenpolit­iker sagt.

Die SPD hat sich noch nicht positionie­rt, tendiert aber zu einer nicht ganz so strikten Regelung, wie jüngste Äußerungen nahelegen. So plädierte Arbeits- und Sozialmini­ster Hubertus Heil (SPD) dafür, dass Pflegekräf­te aus dem Ausland auch ohne Vorliegen eines Arbeitsver­trags ein sechsmonat­iges Visum erhalten könnten, um in dieser Zeit einen Job in Deutschlan­d zu suchen. Und SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil deutete im Interview mit unserer Zeitung an, mithilfe des Einwanderu­ngsgesetze­s auch eine Brücke zu bauen für diejenigen, die das Land verlassen müssten, weil ihr Asylantrag abgelehnt wurde, die aber schon seit längerem in Deutschlan­d leben, einen Schulabsch­luss oder eine Berufsausb­ildung hätten und gut integriert seien. An diesem Punkt dürfte es noch heftige Auseinande­rsetzungen zwischen CDU/CSU und SPD geben, bis das Einwanderu­ngsgesetz steht.

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Archivfoto: Kay Nietfeld, dpa In Ingolstadt lernen Flüchtling­e das Schweißen. Wenn sie einen festen Arbeitspla­tz nachweisen können, wäre es über ein Einwan derungsges­etz denkbar, dass sie im Land bleiben dürfen, auch wenn ihr Asylantrag abgelehnt wurde.

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