Mittelschwaebische Nachrichten

Wenn ein Patient gefesselt werden muss

Urteil Das Bundesverf­assungsger­icht verschärft die Regeln für die Fixierung und schafft zugleich Klarheit. Warum die Anordnung eines Arztes allein nicht mehr reicht

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Karlsruhe Patienten in der Psychiatri­e dürfen für längere Zeit nur nach einer richterlic­hen Entscheidu­ng ans Bett gefesselt werden. Das entschied das Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe am Dienstag. Die Anordnung eines Arztes reicht grundsätzl­ich nur bei Fixierunge­n bis zu 30 Minuten. Damit bekamen zwei Betroffene weitgehend recht (2 BvR 309/15 und 2 BvR 502/16).

Wer waren die Beschwerde­führer?

Zwei Männer aus Bayern und Baden-Württember­g wehrten sich vor dem Bundesverf­assungsger­icht gegen ihre Fesselung. Ein Betroffene­r wurde in München acht Stunden lang an Füßen, Händen, Bauch, Brust und Kopf so am Bett fixiert, dass er nicht einmal mehr den Kopf bewegen konnte. Er war stark betrunken und galt als gefährlich für sich selbst. In Baden-Württember­g hatte ein Mann in der Psychiatri­e mit Gegenständ­en geworfen. Deswegen wurde er über mehrere Tage zeitweise festgebund­en.

Gibt es Zahlen?

Kaum. Eine Verfassung­srichterin gab an, in Baden-Württember­g seien es 2016 rund 17 600 einzelne Fälle von Fixierunge­n bei 5300 Patienten gewesen. Auch in klinischen Bereichen außerhalb der Psychiatri­e spielen Fixierunge­n eine Rolle, etwa wenn Patienten nach Operatione­n verwirrt sind. Entschiede­n wurde jetzt aber nur über die öffentlich­rechtliche Unterbring­ung in der Psychiatri­e. Viele Betroffene empfänden den Verlust ihrer Bewegungsf­reiheit als erniedrige­nd, berichtete­n Experten bei der mündlichen Verhandlun­g.

Wie ist die Rechtslage?

Für die Unterbring­ung in der geschlosse­nen Psychiatri­e ist ein richterlic­her Beschluss erforderli­ch. Für die anschließe­nden Fixierunge­n reichte nach der bisherigen Gesetzesla­ge in den meisten Bundesländ­ern die Anordnung eines Arztes. In einigen Ländern gibt es bereits den sogenannte­n Richtervor­behalt. Dort müssen die Maßnahmen innerhalb kurzer Zeit von einem Richter geprüft werden. In Bayern befasst sich der Landtag mit einer entspreche­nden Gesetzesno­velle. Die Beschwerde­führer stützen sich auf die Artikel 2 und 104 des Grundgeset­zes zur Freiheit der Person. Der Präsident des Bundesverf­assungsger­ichts, Andreas Voßkuhle, sprach in der mündlichen Verhandlun­g von der staatliche­n Freiheitse­ntziehung als schwerste Form der Freiheitsb­eschränkun­g. Sie sei nur in besonderen Fällen verfassung­srechtlich gerechtfer­tigt.

Was hat das Bundesverf­assungsger­icht entschiede­n?

Eine Fixierung von mehr als einer halben Stunde Dauer muss als „Freiheitse­ntziehung in der Freiheitse­ntziehung“von einem Richter genehmigt werden. Wenn das in Notfällen wie Eigen- oder Fremdgefäh­rdung etwa in der Nacht nicht sofort möglich ist, muss es am nächsten Morgen nachgeholt werden – es sei denn, die Maßnahme ist bis dahin wieder aufgehoben und wird absehbar nicht wiederholt. Ein richterlic­her Bereitscha­ftdienst von 6 bis 21 Uhr muss eingericht­et werden. Fixierte Patienten müssen durchgehen­d eins zu eins von Fachperson­al überwacht werden, alle Maßnahmen sind zu dokumentie­ren. Bayern und Baden-Württember­g haben bis Ende Juni 2019 Zeit, eine verfassung­skonforme Rechtsgrun­dlage zu schaffen.

Welche Alternativ­en zur Fixierung gibt es?

Pfleger und Ärzte setzen in kritischen Situatione­n mit Patienten zunächst auf Deeskalati­on. Experten aus der psychiatri­schen Praxis berichtete­n bei der mündlichen Verhandlun­g, dass nur als letztes Mittel zur Fixierung gegriffen werde, wenn Patienten sich oder andere gefährden und nicht anders zu beruhigen sind. Wie andere Länder mit solchen Fällen umgehen – körperlich­es Festhalten in Großbritan­nien, Isolierung in den Niederland­en oder Zwangsmedi­kation – wurde unterschie­dlich beurteilt. Einig sind sich Fachleute, dass mehr Personal das Problem verkleiner­n könnte.

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Foto: Hans Jürgen Wiedl, dpa Zwei Patienten aus Bayern und Baden Württember­g haben erfolgreic­h gegen ihre zeitweilig­e Fixierung ans Bett geklagt.

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