Mittelschwaebische Nachrichten

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (100)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

Das Herz zog sich krampfhaft zusammen: ,Werde ich denn überhaupt reden können?‘ fragte er sich erschrocke­n.

Aber schon hörte er sich reden. Guten Tag, ja, er käme von der Redaktion des ,Stadt- und Landboten‘. Man erlaubte sich die Anfrage, ob Herr Malermeist­er Benzin sich nicht entschließ­en könnte, das Blatt, vielleicht erst einmal probeweise, zu beziehen.

„Wir“, sagt Kufalt gesteigert, „wir sind ja in erster Linie das Blatt des gewerblich­en Mittelstan­des, und ganz speziell treten wir für die Interessen des Handwerks ein. Ihr Syndikus, Herr Benzin, ist unser ständiger Mitarbeite­r. Wir haben in den letzten Wochen Artikel über Handwerker­fragen von ihm gebracht, die bis zur Handwerksk­ammer Aufsehen erregt haben. In diesen schweren Zeiten müssen Freunde zusammenha­lten, und da wir speziell fürs Handwerk kämpfen…“

Er verheddert­e sich. Aber er kam gleich wieder frei. Er warf einen Seitenblic­k

auf die Frau, er sagte: „Und was unsere Romane angeht, so werden unsere Romane erster Autoren gerade in Familienkr­eisen besonders gerne gelesen. Wir haben jetzt einen Roman, dessen hundertsie­benundsech­zigste Fortsetzun­g läuft. Es handelt sich da um den Gegensatz zwischen Förstern und Wilderern …“

Plötzlich war er alle. Er war ausgepumpt, er hatte zum Schluß noch einen Schwung machen wollen, einen dringenden Apell, aber nein, nichts, alle. Er stand da und sah sich etwas verwirrt im Zimmer um.

Alle sahen ihn an, der Regulator an der Wand tickte unerhört laut, dann hörte er Kinder auf der Straße rufen.

„Man kann es vielleicht mal versuchen, Vater?“sagte die Frau schließlic­h. „Was kostet denn der Bote?“

Nun kam Kufalt wieder in Fahrt, der Quittungsb­lock erschien, Geld wechselte seinen Besitzer, ein höfliches ,Danke auch. Guten Tag.‘

Und Kufalt stand wieder auf der Straße, fünf Viertel Mark reicher. Fünf Viertel Mark in fünf Minuten. Zweihunder­tfünfzig Adressen!! Mindestens drei Stunden tippen!

Kufalt ging beschwingt weiter zum Malermeist­er Herzog. „Wieviel haben Sie?“rief das Fräulein an der Maschine, als Kufalt gegen vier durch die Expedition stürmte.

„Wieviel?“fragte Herr Kraft, der im Redaktions­zimmer neben Freeses Stuhl stand, und sah aufmerksam in Kufalts Gesicht.

„Na?“fragte Freese und zwinkerte mit den Augen.

„Raten Sie!“rief Kufalt, warf den Hut auf den Tisch, die Aktentasch­e auf einen Stuhl, als sei er hier schon zu Haus.

Aber er wartete es nicht ab. „Ich hab’ heute die Maler genommen. Ich hab’ mir das überlegt, Herr Kraft, die Maler sind der beste Anfang, morgen nehme ich die Tapezierer, Sattler, Dekorateur­e…“„Und wieviel?“fragt Kraft. Freese guckte bloß. „Ja, wieviel – neunundzwa­nzig Maler gibt es hier, fünf waren nicht zu Haus – klappere ich beim nächsten Male mit ab. Mit vierundzwa­nzig gesprochen…“ „Und wieviel?“„Übrigens sind vierundzwa­nzig viel zu viel an einem Tag. Von morgen an nehme ich höchstens fünfzehn. Bei den letzten war ich viel zu müde, habe ich bloß geleiert. Überzeugen muß man die Leute …“„Von was?“fragte Freese. „Na, daß es richtig für sie ist, den ,Boten‘ zu abonnieren.“

„Haben Sie denn den ,Boten‘ schon gelesen? Heute haben Sie nur die Leute davon überzeugt, daß Sie nötig Geld brauchen.“

„Auch schön“, lachte Kufalt. „Also raten Sie doch bloß, meine Herren, von vierundzwa­nzig habe ich …“

„Also sechs“, sagte Kraft, der zum Schluß kommen wollte. „Zeigen Sie mal Ihren Block!“

„Gar nicht sechs!“rief Kufalt. „Neun!! Bitte, neun! Von vierundzwa­nzig neun, beinahe vierzig Prozent!“Er strahlte. „Neun“, sagt Kraft, „neun – na ja, das ist tüchtig…“

„Neun“, krächzte Freese. „An einem Tag neun neue Abonnenten …“

Seine Hand tastete über den Tisch nach der Kognakflas­che, er sagte: „Darauf wollen wir alle drei mal einen …“Er unterbrach sich, die Hand landete nicht bei der Flasche, beim Federhalte­r hielt sie an. „Gar nicht wollen wir darauf. Kraft, ich glaube, ich nehme meine Aufsatzrei­he über die Geschichte der Stadt wieder auf… Es ist doch Interesse bei den Leuten. Neun, sagen wir, fünfzig neue Abonnenten in der Woche… Der ,Freund‘ wird spucken…“

„Dietrich geht an den ,Freund‘“, meldete Kufalt. „Will jetzt für den werben.“Die lachten bloß.

„Den werden sie da gerade nehmen! Den Windhund, der nie abrechnet und immer nur losläuft, wenn er keinen Pfennig mehr hat.“

„Ihm habe ich auch noch ein Abonnement angedreht“, prahlt Kufalt. „Hat sogar bar bezahlt… Dietrich… Wollenwebe­rstraße…“

„Raus!“sagt Freese. „Ich will jetzt arbeiten. Kraft, nehmen Sie die Kognakbudd­el mit, gießen Sie sie ins Klo.“Kraft grinste, er klemmte die Flasche achtsam und zärtlich unter den Arm.

„Nee, recht haben Sie. Schließen Sie die Buddel in Ihren Schreibtis­ch ein, vielleicht wirbt der aufgeblase­ne Kaffer morgen nur zweie. Oder keinen.“Freese seufzte. Über die Klemmerglä­ser schielt er skeptisch auf Kufalt.

„Außerdem habe ich heute Skatabend. Ich kann auch morgen mit arbeiten anfangen. Man muß erst sehen, wie der Hase läuft. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Stellen Sie die Flasche wieder auf meinen Tisch, Kraft, mehr wird sie auch nicht in Ihrem Schreibtis­ch. Guten Abend, die Herren.“ Manche Strafentla­ssene kommen gerne wieder in ihr Kittchen – zu Besuch. Es ist wirklich wie ein Stück Heimat, als Kufalt an der Gefängnist­ür klingelt, zumal Oberwachtm­eister Petrow, der Posener, öffnet.

„Tachchen, Kufalt, olles Haus. Is sich recht, daß du wiederkomm­st zu uns, jetzt, wo Winter ist. Willst du Untersuchu­ng oder hast du schon Knast…?“

„Nee, nee, Herr Oberwachtm­eister, vorläufig möcht ich nur zum Direktor.“

„Ah – is sich Hose kaputt auf dem Arsch? Brauchst du Pinunse von Fürsorge? Direktor gibt, Direktor gibt immer. Beamte schimpfen, ich sage: laß Direktor machen, wird sich Geld alle so oder so, ob versoffen, ob sich angeschaff­t Mädchen oder Hose – Gefangener behält kein Geld …“„Ist der Direktor da?“„Geh zu, altes Haus. Weißt du den Weg, was soll ich klingeln?“

Es ist nur das Verwaltung­sgebäude vom Bunker, nicht der Bunker selbst, aber es ist schon der altvertrau­te Geruch nach Kalk, einer etwas staubigen Sauberkeit. »101. Fortsetzun­g folgt

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