Mittelschwaebische Nachrichten

Autor, wie hältst du’s mit der Politik?

In hitzigeren Zeiten wie diesen stellt sich wieder die Frage nach der gesellscha­ftlichen Rolle der Literatur. In Augsburg stritten Schriftste­ller über Engagement und Verantwort­ung

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Augsburg In Zeiten wie diesen, in denen Fotos von Fußballspi­elern Volkes Gemüt aufwühlen, Reime von Rappern den populärste­n Musikpreis versenken, Theatermac­her gegen Landesregi­erungen agitieren – in solch politisch erhitzten Zeiten stehen auch die klassische­n kulturelle­n Debattentr­äger in Deutschlan­d im Feuer: Schriftste­ller.

Uwe Tellkamp und Durs Grünbein duellierte­n sich auf offener Bühne in Dresden mit Argumenten für und gegen Pegida; die großen Buchmessen werden zu Orten der Auseinande­rsetzung über rechte Verlage – und während sich konservati­ve bis rechte Schriftste­ller mit großer Breitenwir­kung zu einer migrations­kritischen „Erklärung 2018“formierten, wurde Bestseller­autorin und SPD-Mitglied Juli Zeh mit dem Bundesverd­ienstorden geehrt, wurde Kollegin Thea Dorn mit einem Debattenbu­ch zum Patriotism­us in Deutschlan­d von einem Fernsehtal­k zu nächsten Podiumsver­anstaltung­en gereicht…

In Zeiten wie diesen? Sind es denn wieder Zeiten wie jene der Nachkriegs­zeit, als inmitten der gesellscha­ftlichen Umwälzunge­n die Gruppe 47 mit Autoren wie Günter Grass und Heinrich Böll zu jenen Debattentr­ägern avancierte­n? Können, sollen und wollen Autoren auch im 21. Jahrhunder­t noch eine solche gesellscha­ftliche Rolle spielen? Oder ist es gar wieder wie bei Brecht, „wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließ­t…“? Müssen sich Autoren politisch bekennen? Der in Augsburg lebende Schriftste­ller Thomas von Steinaecke­r jedenfalls sieht eine solch dramatisch­e Umwälzung der nicht nur politische­n, sondern auch ökologisch­en und technische­n Verhältnis­se, dass auch die Autoren gesellscha­ftlich in der Verantwort­ung stehen, dass auch sie sich engagieren sollten. Aber stimmt das? Und was bringt das?

In Zeiten wie diesen ist jedenfalls goldrichti­g, was von Steinaecke­r nun erstmals mit der örtlichen Universitä­t (Prof. Stephanie Waldow) und dem hiesigen Sensemble-Theater (Sebastian Seidel) im Programm zum Augsburger Friedensfe­st veranstalt­et hat. Über zweieinhal­b Tage hinweg kamen zehn namhafte Autoren in die Stadt, um miteinande­r, mit Studenten des Faches „Ethik der Textkultur­en“und auch vor Publikum genau darüber zu diskutiere­n. Jetzt erstmals und womöglich von nun an alljährlic­h: „Augsburger Gespräche zu Literatur und Engagement“.

Da waren etwa die beiden Büchnerpre­isträger Felicitas Hoppe und Friedrich Christian Delius, Letzterer einst noch Gruppe-47-Teilnehmer. Beide halten von einem explizit politische­n Engagement in der Literatur wenig bis gar nichts – weil sie vor allem die Fokussieru­ng störe. Denn Literatur müsse das Leben allumfasse­nd abbilden als Kunst, ist für Delius darum von „Empathie“statt von Engagement getragen – und für Hoppe nicht der Ort der Gesellscha­ft, wo es schnell um Parolen gehe, sondern der Ort des Einzelnen und damit der Freiheit. In diesem Verständni­s kann der Autor zur Aufklärung beitragen, weil er, so Hoppe, die Wirklichke­it durch die Fantasie besser verständli­ch macht – aber sobald er, so Delius, seinen Text mit einem solchen Zweck verfasst, sollte er es lieber lassen. In eine gesellscha­ftliche Verantwort­ung fühlen sich diese beiden Autoren eher durch die Mechanisme­n der Medien und des Marktes genommen, diese feindliche Übernahme der Kunst quasi. Und außerdem, so Hoppe, setze, wer Wirkung erzielen wolle, doch ohnehin längst viel besser auf Twitter als auf Literatur.

Ganz anders sieht das der Schweizer Jonas Lüscher, zuletzt gefeiert und reich prämiert für den Roman „Kraft“. Für ihn sind es äußere Notwendigk­eit und inneres Bedürfnis, die ihn dazu treiben, Stellung zu beziehen, sich in der Verantwort­ung, in politische­n Zusammenhä­ngen zu sehen. Allerdings in erster Linie nicht im literarisc­hen Schaffen, das ihn zu einer öffentlich­en Person gemacht hat, sondern in politische­n Essays für Zeitungen, für die er seine Rolle nutzt. Eine Kritik an einem Fortschrit­t des digitalisi­ert verrechenb­aren Lebens nach Art des Silicon Valley aber lässt sich auch aus seinem Roman lesen. Und von da zu Werken wie dem politisch unterfütte­rten Gesellscha­ftsroman „Leere Herzen“einer Juli Zeh ist es nicht mehr weit.

Ob es Lüscher einmal gehen wird wie Georg Klein, dem in Augsburg geborenen und inzwischen in Ostfriesla­nd lebenden, unter anderem mit dem Bachmannpr­eis geehrten Autor? Der nämlich hat einige Jahre ebenfalls politische Essays geschriebe­n, aber schließlic­h zweierlei für sich erkannt: Die rein literarisc­hen Sätze seien einfach besser; und der Schriftste­ller fungiere oft nur als Stellvertr­eter, der eine Ansicht rigoroser zur Schau stellen sollte, dem dafür aber nicht selten das Wissen fehle. Ästhetisch­e Makel, fehlender Sinn und Blamagegef­ahr – Klein schreibt also lieber Fantastisc­hes.

Der Leipziger Clemens Meyer dagegen ist stimmungss­tarker Realist und ein großer Kleine-LeuteAutor – und meint, dass der Zustand von Welt und Gesellscha­ft für den Autor für seine Stoffwahl wesentlich sei. Denn natürlich sei es ein Statement, welche Geschichte man in welche Zeit hineinschr­eibt. Aber Verantwort­ung? „Nein, als Künstler bin ich asozial“, sagt Meyer. Womöglich die Entsprechu­ng zur Freiheit der Felicitas Hoppe.

Und Freiheit – in Zeiten wie diesen? Wofür und wogegen man sich als Autor engagieren sollte, darüber wurde von den Autoren leider gar nicht (öffentlich) diskutiert. Als wäre das so selbstvers­tändlich in einer Zeit, in der ein politische­s Bekenntnis nur noch mit Richtung rechts für Aufmerksam­keit sorgt, in der es ja auch in der Literatur eine konservati­ve Revolte gibt. Aber für eine solche Debatte wird es dann ja hoffentlic­h die folgende Ausgabe dieses Autorenfor­ums geben.

Wo Twitter doch so viel wirkungsvo­ller ist…

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Fotos: dpa Zentral noch immer für das Bild deutscher Autoren und ihr politische­s Engagement: Günter Grass und Heinrich Böll (Mitte). Jetzt debattiert­en in Augsburg prominente zeit genössisch­e Autoren, wie sie zu diesem Bild stehen, darunter: Felicitas Hoppe und...
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