Mittelschwaebische Nachrichten
Schade um den Ballstreichler
Nun, da zu Mesut Özil fast alles gesagt ist, sich Anklagen, Verteidigungsreden und Polemiken und Tiraden wiederholen, ist es an der Zeit, noch einmal an den Fußballer Özil zu erinnern, der zukünftig nicht mehr in der deutschen Nationalelf spielen wird.
Wer Fußball nicht auf Ergebnisse reduziert, wer Eleganz und Zauber schätzt, wer das unbedachte Erdogan-Foto, das anschließende Schweigen darüber, den Einsatz der Rassismus-Keule und den albern inszenierten Twitter-Rücktritt für einen Augenblick beiseiteschiebt, wird diesen Rücktritt bedauern.
Mit ihm hat sich das Leichte verabschiedet, das dem kraftvollen und zielstrebigen deutschen Spiel bis zuletzt das Weiche und Geschmeidige beschert hat. Die Kreisel und Pirouetten, der Zierrat, mit dem allein nichts zu gewinnen ist, ohne den ein Sieg aber auch nur ein Sieg ist.
Die Vorlage hierzu hat Uli Hoeneß geliefert. Özil sei seit Jahren ein Alibi-Kicker, schon 2014 ein reiner Mitläufer gewesen, habe seit Jahren einen Dreck gespielt, ätzte der Bayern-Präsident Özil hinterher. Ob Hoeneß über einen Spieler des FC Bayern ähnlich ungezwungen urteilen würde? Und wie sieht Hoeneß heute seinen ehemaligen Mitspieler Günther Netzer, der mit chirurgischer Präzision 60-MeterPässe gespielt, die Arbeit aber den Kollegen überlassen hat.
Natürlich sind Strategen und Ballstreichler ohne ihre Zuarbeiter wenig wert. Überhaupt entfalten sie ihren Glanz erst an deren Seite. In Russland aber entfiel der Geleitschutz. Die deutschen Khediras waren mit sich selbst beschäftigt. Damit kam früher ein Ballack oder Schweinsteiger zurecht, aber kein Özil.
Um dem Spieler Özil gerecht zu werden, sei an die WM 2010 in Südafrika erinnert – der vielleicht bezauberndste deutsche Turnierauftritt. Löw setzte fort, was Klinsmann im Sommermärchen 2006 begonnen hatte. Noch weiter weg vom gefürchteten deutschen Rumpelfußball, hin zu Ballbeherrschung und spielerischer Brillanz. Keiner hat das glänzender verkörpert als Mesut Özil, der Räume sieht, wo andere nur Wände erkennen. So ähnlich war es 2014 in Brasilien und 2016 in Frankreich.
2018 in Russland war Mesut Özil immer noch der Akteur, der die meisten Torchancen vorbereitet hat. Ein selbstloser Raumdeuter, der gerne andere bedient. Eine Eigenschaft, die ihn als Einzigen überhaupt zum besten Vorbereiter in drei europäischen Ligen gemacht hat. Auch in der Nationalelf gibt es keinen besseren – und erst Recht keinen, der schöner serviert. Schade also um den wunderbaren Ballstreichler.