Mittelschwaebische Nachrichten

Schade um den Ballstreic­hler

- VON ANTON SCHWANKHAR­T as@augsburger allgemeine.de

Nun, da zu Mesut Özil fast alles gesagt ist, sich Anklagen, Verteidigu­ngsreden und Polemiken und Tiraden wiederhole­n, ist es an der Zeit, noch einmal an den Fußballer Özil zu erinnern, der zukünftig nicht mehr in der deutschen Nationalel­f spielen wird.

Wer Fußball nicht auf Ergebnisse reduziert, wer Eleganz und Zauber schätzt, wer das unbedachte Erdogan-Foto, das anschließe­nde Schweigen darüber, den Einsatz der Rassismus-Keule und den albern inszeniert­en Twitter-Rücktritt für einen Augenblick beiseitesc­hiebt, wird diesen Rücktritt bedauern.

Mit ihm hat sich das Leichte verabschie­det, das dem kraftvolle­n und zielstrebi­gen deutschen Spiel bis zuletzt das Weiche und Geschmeidi­ge beschert hat. Die Kreisel und Pirouetten, der Zierrat, mit dem allein nichts zu gewinnen ist, ohne den ein Sieg aber auch nur ein Sieg ist.

Die Vorlage hierzu hat Uli Hoeneß geliefert. Özil sei seit Jahren ein Alibi-Kicker, schon 2014 ein reiner Mitläufer gewesen, habe seit Jahren einen Dreck gespielt, ätzte der Bayern-Präsident Özil hinterher. Ob Hoeneß über einen Spieler des FC Bayern ähnlich ungezwunge­n urteilen würde? Und wie sieht Hoeneß heute seinen ehemaligen Mitspieler Günther Netzer, der mit chirurgisc­her Präzision 60-MeterPässe gespielt, die Arbeit aber den Kollegen überlassen hat.

Natürlich sind Strategen und Ballstreic­hler ohne ihre Zuarbeiter wenig wert. Überhaupt entfalten sie ihren Glanz erst an deren Seite. In Russland aber entfiel der Geleitschu­tz. Die deutschen Khediras waren mit sich selbst beschäftig­t. Damit kam früher ein Ballack oder Schweinste­iger zurecht, aber kein Özil.

Um dem Spieler Özil gerecht zu werden, sei an die WM 2010 in Südafrika erinnert – der vielleicht bezaubernd­ste deutsche Turnierauf­tritt. Löw setzte fort, was Klinsmann im Sommermärc­hen 2006 begonnen hatte. Noch weiter weg vom gefürchtet­en deutschen Rumpelfußb­all, hin zu Ballbeherr­schung und spielerisc­her Brillanz. Keiner hat das glänzender verkörpert als Mesut Özil, der Räume sieht, wo andere nur Wände erkennen. So ähnlich war es 2014 in Brasilien und 2016 in Frankreich.

2018 in Russland war Mesut Özil immer noch der Akteur, der die meisten Torchancen vorbereite­t hat. Ein selbstlose­r Raumdeuter, der gerne andere bedient. Eine Eigenschaf­t, die ihn als Einzigen überhaupt zum besten Vorbereite­r in drei europäisch­en Ligen gemacht hat. Auch in der Nationalel­f gibt es keinen besseren – und erst Recht keinen, der schöner serviert. Schade also um den wunderbare­n Ballstreic­hler.

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