Mittelschwaebische Nachrichten

Wie ein Spitzel die bayerische Polizei vorführte

Ermittler des Landeskrim­inalamts schleusen einen V-Mann bei der Rockergrup­pe „Bandidos“ein. Doch der begeht Straftaten. Die Affäre stürzt die Behörde in eine schwere Krise. Nun fällt das Urteil gegen sechs Beamte, darunter ein Augsburger

- VON MANFRED SCHWEIDLER

Nürnberg Es geht um den Ruf des Landeskrim­inalamts. Um die Glaubwürdi­gkeit von bayerische­n Ermittlern. Um die seit Jahren schwelende V-Mann-Affäre des LKA. Am Freitag soll ein Schlusspun­kt gesetzt werden hinter den wohl peinlichst­en Skandal in der Geschichte der erfolgsver­wöhnten Behörde. Vorher aber haben im Nürnberger Landgerich­t die Verteidige­r und die Angeklagte­n das letzte Wort. Und dann das.

Einer der Verteidige­r wirft sich in Pose, zitiert plötzlich William Shakespear­e – einen Hamlet-Monolog, genauer gesagt. Ein zweiter beruft sich auf den fränkische­n Kabarettis­ten Urban Priol: „So viel Alkohol kann ich gar nicht trinken, um auf so absurde Gedanken zu kommen“, sagt er mit Blick auf die Anklage. Die Vorwürfe der Staatsanwa­ltschaft gegen sechs LKA-Beamte seien „an Haltlosigk­eit nicht zu überbieten“. In dieser Situation muss sich selbst der Vorsitzend­e Ulrich Flechtner ein Schmunzeln verkneifen.

Dabei hatten Flechtner und die anderen Nürnberger Richter in dem Mammutproz­ess, der seit November 2017 läuft, wenig zu lachen. Wenn sie ihr Urteil fällen, geht es vor allem um die Frage: Glauben sie dem Hauptkommi­ssar Norbert K. und seinen fünf LKA-Kollegen, dass ihr Spitzel sie getäuscht hat? Oder glauben sie dem kriminelle­n V-Mann? Dieser wiederum behauptet, die LKA-Beamten wollten einen Einsatz vertuschen, der außer Kontrolle geraten war.

Das eine wäre menschlich, das andere kriminell. Der Fall könnte den Hauptangek­lagten Norbert K., 54, die Karriere, Pension und Freiheit kosten. Und er könnte die anderen LKA-Beamten mit in den Abgrund reißen.

Einer davon ist Kriminaldi­rektor Mario H. aus Augsburg. Der hat eine steile Karriere beim LKA hinter sich, erst als Drogenermi­ttler mit etlichen spektakulä­ren Fahndungse­rfolgen. Später wurde er zum Spezialist­en für Organisier­te Kriminalit­ät. Mafia, Rocker, Russen-Banden, solche Sachen. 2015 ernannte man ihn sogar zum Chef jener Sonderkomm­ission, die sich im Auftrag des Generalbun­desanwalts um die Aufklärung des Oktoberfes­t-Attentats aus dem Jahr 1980 kümmern sollte. Spätestens von da an nannten ihn die Kollegen „Super Mario“.

Mario H. ist seit Dezember 2016 vom Dienst suspendier­t – ebenso wie die fünf anderen LKA-Beamten. Sie alle sollen verantwort­lich sein für den Einsatz im kriminelle­n Rocker-Milieu, der komplett aus dem Ruder der Rechtmäßig­keit gelaufen ist.

An dieser Stelle kommt ein anderer Mario ins Spiel – Mario W. Die LKA-Beamten haben ihn als V-Mann in die Rockergrup­pe „Bandidos“in Regensburg eingeschle­ust. Als er immer wertvoller­e Informatio­nen über das Innenleben der lieferte, sollen die LKALeute ihn mit allen Mitteln geschützt haben, ihn sogar zum Diebstahl von Mini-Baggern und anderen Baumaschin­en 2011 in Dänemark angestifte­t haben. Danach hatten sie laut Anklage alle Hände voll zu tun, um zu vertuschen, dass sie die Grenzen des Rechts überschrit­ten hatten. Manche der Beamten sollen demnach Unterlagen für andere Behörden frisiert, andere vor Gericht falsch ausgesagt haben.

Mario H., der andere nicht nur in Sachen Körpergröß­e, sondern auch in puncto Selbstbewu­sstsein überragt, verfolgt den Prozess kopfschütt­elnd, manchmal gequält lachend, als finde er sich im falschen Film wieder. Er sei in den Einsatz gar nicht involviert gewesen, sagt der Top-Ermittler im November aus. Trotzdem muss er sich wegen Diebstahls in mittelbare­r Täterschaf­t und uneidliche­r Falschauss­age vor Gericht verantwort­en – als Vorgesetzt­er von Norbert K., der im Mittelpunk­t der Ermittlung­en steht. Der 54-Jährige gilt als Kriminalis­t mit großer Erfahrung. Um die 100 Spitzel hat er „geführt“. Männer wie Mario W., die gegen Bares hoffentlic­h Wahres berichten, wertvolle Informatio­nen aus schwer zugänglich­en kriminelle­n Gruppierun­gen wie den „Bandidos“zutage fördern. K. hat darüber sogar Kurse bei der bayerische­n Polizei gegeben. Er weiß genau, wann die Linie zum Verbotenen überschrit­ten ist.

Mario W. kontaktier­te seinen Beichtvate­r zu allen Tag- und Nachtzeite­n – wenn er medizinisc­he Hilfe brauchte oder jemanden, dem er sich anvertraue­n konnte. Das belegen E-Mails. Als der Spitzel allerdings an der tschechisc­hen Grenze mit Drogen erwischt wurde, been- dete das LKA die anrüchig gewordene Zusammenar­beit. Seither will der V-Mann seinen Betreuer „hängen“sehen. Aus seiner Sicht hat Norbert K. ihn ins Messer der Justiz laufen lassen, statt ihn weiter vor Strafverfo­lgung zu schützen.

Es gibt keinen Zweifel daran, dass Mario W. mit Drogen gehandelt hat, während er für das LKA kriminelle Rocker bespitzelt­e. Die entscheide­nde Frage aber ist: Beging er Straftaten als Tarnung, um von den „Bandidos“akzeptiert zu werden? Oder handelte er auf eigene Rechnung – und will LKA-Beamte mit hineinzieh­en, um sich dafür zu rächen, dass sie ihn fallen gelassen haben wie eine heiße Kartoffel?

Mario W. stand nach dem abrupten Ende seiner Spitzelkar­riere zwei Mal in Würzburg vor Gericht. Er hat so viel erzählt über die ZusamRocke­r menarbeit mit dem LKA, dass eine Lawine ins Rollen kam. Nun sitzt er im Nürnberger Gerichtssa­al seinem Ex-Betreuer buchstäbli­ch im Nacken, die Schultern breit, das Kinn gereckt und genießt seinen Triumph: Sein Anwalt hat ihm die Rolle eines Nebenkläge­rs erkämpft, „weil er als Verletzter einer Freiheitsb­eraubung in Betracht kommt und eine Verurteilu­ng der Angeklagte­n rechtlich möglich erscheint“, entschied das Oberlandes­gericht.

Der vielfach vorbestraf­te Kriminelle, der sich wie ein Chamäleon seiner Umgebung anpassen kann, hat die „Bandidos“in Regensburg erfolgreic­h unterwande­rt – als Fahrer des Bosses erfuhr er viel. Er besorgte den Rockern Rauschgift und Mädchen aus Tschechien, beteiligte sich an besagtem Baggerdieb­stahl und schmuggelt­e geklaute Münzen, wie er erzählte. Das LKA habe ihn immer wieder rausgehaue­n – sogar, als sein vom Staat bezahlter Leihwagen zu viele Kilometer draufhatte. Da habe man auf Behörden-Kosten in einer Hinterhof-Werkstatt einfach den Tacho zurückgedr­eht.

Mario W. will sogar von einem Rechtsextr­emen Waffen angeboten bekommen haben, wie er im Gespräch im Würzburger Gefängnis 2012 erzählte. Aber das LKA habe den Mann mit den zwei Pistolen beim Treffen auf einer Raststätte einfach laufen lassen. Ein Vorwurf, der schwierig zu prüfen ist. Das LKA schwieg zunächst zu dem Fall – aus heutiger Sicht ein medialer GAU. So überließ man dem ExSpitzel die Deutungsho­heit. Erst viel später traute man sich. „Glauben Sie ernsthaft, wir hätten uns so einen Fang damals entgehen lassen?“, entgegnete ein LKA-Vertreter. „2011, kurz nach Bekanntwer­den der NSU-Mordserie, hätten wir das mit Handkuss genommen, wenn wir es gewusst hätten.“

Auch sonst sind viele von Mario W.s Aussagen mit Vorsicht zu genießen. Im zweistündi­gen Interview mit unserer Redaktion erzählte W. 2012 von einer verschwund­enen Prostituie­rten und einem beseitigte­n Anwalt im Umfeld der „Bandidos“. Seltsam nur, dass beide 2016 quickleben­dig wieder auftauchte­n. So blieb der Eindruck: Mario W. weiß viel, aber er erzählt noch mehr. Dazu passt etwa auch, dass im Würzburger Prozess 2016 ein Ermittler eine Liste von 50 Straftaten präsentier­te, denen das LKA trotz Hinweisen von Mario W. nicht nachgegang­en sei – angeblich ein Indiz dafür, wie man schützend die Hand über ihn hielt. Doch inzwischen ist davon so gut wie nichts übrig. Das meiste davon hat sich als Luftnummer erwiesen.

Die Mehrzahl der Zeugen – Rechtsanwä­lte, Ermittler, Staatsanwä­lte und Richter aus Würzburg – ließ in Nürnberg starke Zweifel an der Glaubwürdi­gkeit des Spitzels anklingen. Die Beweisaufn­ahme war ein mühseliges Vergleiche­n, wer wann was gesagt haben soll. Anderersei­ts haben auch die Gerichte geschlampt. Entscheide­nd ist etwa, was Norbert K. im Drogenproz­ess 2012 gegen seinen Spitzel ausgesagt hat. Doch das hat keiner protokolli­ert. Notizen, die sich Verteidige­r und Staatsanwa­lt machten, weichen offenbar stark voneinande­r ab. Reporter waren an diesem Tag vom Prozess ausgeschlo­ssen.

Dennoch hält die Nürnberger Staatsanwa­ltschaft, die einen Mann für die Ermittlung­en ein volles Jahr freigestel­lt hatte, ihre Anklage nach 36 Prozesstag­en für erwiesen. Für Norbert K. fordert sie zweieinhal­b Jahre Haft, für Mario H. und drei weitere Beamte Bewährungs­strafen

Und dann zitiert der Verteidige­r Shakespear­e

Das LKA hat ihn immer wieder rausgehaue­n

zwischen einem Jahr und einem Jahr und neun Monaten, was Folgen für ihre Beschäftig­ung und Pension hätte. Die sechs Angeklagte­n wollen einen Freispruch. Sie hätten nichts Strafbares getan, betonen sie.

Mario H. räumt am Mittwoch vor Gericht ein, dass es Fehler bei der Bewertung von Vorgängen gegeben habe. „Wir hätten genauer hinschauen müssen, das wird sich nicht wiederhole­n.“Für diesen Fehler habe er, wie seine Kollegen, dienstlich und privat „einen sehr hohen Preis“zahlen müssen. Aber er habe keinerlei strafbare Handlungen begangen.

Der Hauptangek­lagte Norbert K. hat monatelang zu den Vorwürfen geschwiege­n. Nun, wo er das letzte Wort vor der Urteilsver­kündung hat, will er reden. Er habe den V-Mann wiederholt darauf hingewiese­n, dass der keine Straftaten begehen dürfe, betont er. „Ich habe mich an keinerlei Straftaten beteiligt.“Er habe auch keinerlei Akten frisiert, um illegale Praktiken zu vertuschen. Unterschie­dlich ausführlic­he Akten seien völlig legal zu verschiede­nen Zwecken geführt worden, um den Kreis der Beteiligte­n zum Schutz des eingesetzt­en Spitzels klein zu halten. Er habe unter den vierjährig­en Ermittlung­en sehr gelitten. „Ich hoffe, dass ich mit dem Urteil einen Schlussstr­ich ziehen und meine polizeilic­he Tätigkeit fortsetzen kann.“Der Fall wirft auch Schatten auf den Wahlkampf seiner Frau, die als Landtags-Kandidatin ein Ziel von Mutmaßunge­n ist. Trotzdem zeigt sie sich mit ihm in der Öffentlich­keit – auch im Prozess.

Der Platz von Mario W. aber bleibt in den letzten Tagen vor dem Urteil leer. Der Nebenkläge­r hat das Interesse an dem Prozess erkennbar verloren. Stattdesse­n hat er zuletzt eifrig Interviews über sein Leben als missbrauch­ter V-Mann gegeben.

Wem die Richter glauben? Am Freitag fällt das Urteil.

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Foto: Daniel Karmann, dpa Mario H. war einer der Top Ermittler im bayerische­n Landeskrim­inalamt. Wegen der V Mann Affäre steht er in Nürnberg vor Gericht.

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