Mittelschwaebische Nachrichten

Die traurige Geschichte des Fiat Chefs

Sergio Marchionne übernimmt den Autobauer in einer tiefen Krise. Er will erst abtreten, wenn der Konzern seine Schulden los ist. Kurz nachdem er sein großes Ziel erreicht hat, stirbt der Manager überrasche­nd

- Lena Klimkeit, dpa

Rom Schon seit Tagen sind die italienisc­hen Zeitungen voll mit Würdigunge­n von Sergio Marchionne. Von einem Visionär ist da die Rede, von einem Menschenve­rsteher, der gut zuhören kann und seinen Mitarbeite­rn gegenüber großzügig ist. Allen war klar, dass es gesundheit­lich schlecht um den langjährig­en FiatChrysl­er-Chef steht. Am Mittwoch teilte das Unternehme­n mit, dass der Manager im Alter von 66 Jahren gestorben ist. Erst am vergangene­n Wochenende wurde bekannt, dass es Komplikati­onen nach einer Schulterop­eration gegeben hat und Marchionne nicht mehr an die Konzernspi­tze zurückkehr­en kann. Eigentlich wollte er 2019 sein Amt aufgeben, nun hat ihn der Tod aus dem Unternehme­n gerissen.

Der Italo-Kanadier stand nicht nur an der Spitze von Fiat-Chrysler, sondern auch von Ferrari. Und er war kein Typ, der Kompromiss­e machte. Das brachte ihm nicht nur Sympathien – aber Erfolg. Sein großes Ziel hat er jedenfalls erreicht: Aus den zwei schwer angeschlag­enen Autobauern Fiat und Chrysler formte er einen profitable­n Konzern, der im vergangene­n Jahr Mil- liardengew­inne einfuhr. Ende Juni verkündete Marchionne die Schuldenfr­eiheit von Fiat-Chrysler und kündigte an, 2019 abzutreten.

Marchionne kam im Jahr 2004 zu dem kriselnden Turiner Großkonzer­n Fiat und richtete das Unternehme­n neu aus. Er baute die Bürokratie ab und halbierte die Entwicklun­gszeiten für neue Modelle. 2007 sagte er: „Ich will, dass Fiat zum Apple der Autos wird. Und der 500 wird unser iPod.“Ganz so weit ist es nicht gekommen – aber die Fusion mit Chrysler 2014 zählt zu seinen größten Verdienste­n.

Der 1952 in den Abruzzen geborene Marchionne wanderte mit seiner Familie nach Kanada aus, als er 14 Jahre alt war. Dort studierte er Wirtschaft, Jura und Philosophi­e. Vor seiner Zeit bei Fiat arbeitete er bei Verpackung­sfirmen und wurde Chef eines Genfer Prüfkonzer­ns. Seine markigen Sprüche waren im Laufe seiner Karriere immer wieder für eine Nachricht gut. Etwa als Vorwürfe aufkamen, auch Fiat habe bei Abgaswerte­n geschummel­t. Damals sagte Marchionne mit Blick auf VW: „Wer uns mit dem deutschen Unternehme­n vergleicht, hat etwas Illegales geraucht.“Auch bei Ferrari, dessen Präsident er 2014 wurde, war er für klare Worte bekannt. Brüsk sagte er vor der Vorstellun­g eines Rennwagens in Richtung seiner Ingenieure und Teamchef Maurizio Arrivabene: „Entweder haben sie ein Monster oder Müll gebaut.“ Marchionne­s Strenge bekam auch immer wieder das Team von Formel-1-Pilot Sebastian Vettel zu spüren. Über den Chefpilote­n sagte Marchionne: Sollte Vettel es schaffen, seine Emotionen zu kontrollie­ren, die ihm – untypisch für einen Deutschen – immer mal wieder entgleiten, habe man die Chance, Lewis Hamilton zu schlagen.

In der Formel 1 galt der FerrariPrä­sident als harter Verhandlun­gspartner. Marchionne drohte sogar mit dem Ausstieg von Ferrari. Er wollte verhindern, dass die Formel 1 die DNA des Unternehme­ns verändert. Doch es ist auch Marchionne zu verdanken, dass Ferrari wieder aufgeholt hat.

Zum Markenzeic­hen wurden Marchionne­s Strickpull­over, die er lieber trug als Anzüge. Einige Kommentato­ren bezeichnet­en ihn als Stil-Ikone. „Der Tag, an dem ich eine Krawatte tragen werde, wird ein großer Tag sein“, sagte er einmal. Es wurde der Tag, an dem Fiat-Chrysler den Schuldenbe­rg abgetragen hatte. Erfolg war für Marchionne, der sich selbst als bodenständ­ig beschrieb, nicht selbstvers­tändlich. Vor allem begriff er ihn nicht als dauerhaft, sondern als etwas, das man sich Tag für Tag erarbeiten muss. Seine Eigenschaf­t als jemand, der nie den Status quo akzeptiert hätte und nie mit einem „gut genug“zufrieden war, sei in die Unternehme­nskultur übergegang­en, sagte Fiat- und FerrariPrä­sident John Elkann kurz vor Marchionne­s Tod. Er sei ein einmaliger, „erleuchtet­er“Manager gewesen – für ihn persönlich aber in erster Linie ein wahrer Freund.

Ex-Ministerpr­äsident Matteo Renzi hob Marchionne als jemanden hervor, „der die Industrie-Geschichte Italiens verändert hat – ob es seinen Verleumder­n gefällt oder nicht“. Denn gleichzeit­ig erinnerte Renzi an die Kämpfe, die der Spitzenman­ager mit den Gewerkscha­ften ausgefocht­en hatte. „Wenn Italien ein paar weitere Marchionne­s gehabt hätte, hätten wir eine wettbewerb­sfähige Alitalia und einige starke Banken, die in der Welt bekannt wären.“

Als Ferrari Boss droht er mit dem Formel 1 Ausstieg

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Foto: afp Sergio Marchionne ist mit 66 Jahren ge storben.

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