Mittelschwaebische Nachrichten

Ein geraubtes Bild kehrt zurück

Die Bayerische­n Staatsgemä­ldesammlun­gen übergeben ein Ölbild an die Erben des Augsburger Ehepaars Friedmann, das sich unter den Nazis das Leben nahm

- VON STEFAN DOSCH

Augsburg Es ist ein unspektaku­läres Gemälde, das Interieur einer holzvertäf­elten, spärlich eingericht­eten Bauernstub­e, ganz in Brauntönen gehalten, wenn auch fein abgestuft in Licht- und Farbwerten. Auch der Maler ist kein bekannter Name, Ernst Immanuel Müller, ein Münchner, der zahlreiche solcher Darstellun­gen aus dem bäuerliche­n Leben schuf. Und doch, als Miriam Friedmann dieses Bild zum ersten Mal sah, war sie tief bewegt, „absolut sprachlos“, wie sie sagt.

Miriam Friedmann ist eine der Enkelinnen des früheren Besitzers Ludwig Friedmann, der das Bild 1919 in einer Münchner Galerie erstanden hatte. Weiß man um die Geschichte der ursprüngli­ch in Augsburg beheimatet­en Familie Friedmann, versteht man die Ergriffenh­eit der Enkelin. Die Friedmanns sind jüdischen Glaubens, was während des nationalso­zialistisc­hen Terrors zum Tod von Ludwig und seiner Frau Selma führt und dazu, dass ihr zuletzt noch verblieben­er Besitz „verwertet“wird – wodurch eben jenes Ölbild der Bauernstub­e in die Bayerische­n Staatsgemä­ldesammlun­gen gelangt, die jetzt, 75 Jahre später, seine Geschichte zurückverf­olgt haben. Am Mittwoch wurde das Bild von den Staatsgemä­ldesammlun­gen im Augsburger Schaezlerp­alais an Miriam Friedmann und damit an die Erbengemei­nschaft zurückgege­ben.

Für Bernhard Maaz, den Generaldir­ektor der Staatsgemä­ldesammlun­gen, stellt diese Restitutio­n – es ist die 14. seines Hauses seit dem Beitritt zur Washington­er Erklärung 1998 – einen glückliche­n Fall dar. Zum einen erfolgt sie, wie beide Seiten versichern, im Einvernehm­en – anderswo, wie bei mehreren bedeutsame­n Gemälden aus dem ehemaligen Besitz des jüdischen Kunsthändl­ers Alfred Flechtheim, sind Klagen gegen die Staatssamm­lungen anhängig. Zudem erfolgte die Rückgabe der „Bauernstub­e“auf sogenannte „proaktive“Recherche hin, was bedeutet, dass die Staatsgemä­ldesammlun­gen sich aus eigenem Antrieb um die Erkundung der Herkunft des Bildes bemühten. Die Restitutio­n nach Augsburg ist für das Münchner Haus nicht zuletzt ein Beleg dafür, dass die in den letzten beiden Jahrzehnte­n, eben seit der selbstverp­flichtende­n Washington­er Erklärung, verstärkte­n und verfeinert­en Mittel der Provenienz­recherche zu greifen vermögen.

Und so stieß Anja Zechel, bei den Staatsgemä­ldesammlun­gen zuständig für die Erforschun­g der „Erwerbunge­n zwischen 1933–45“, im vergangene­n Jahr auf das kleine, nur einen guten halben Meter hohe Ölgemälde. Wie in so vielen vergleichb­aren Fällen war es auch hier die Rückseite, die tiefergehe­nde Recherchen nahelegte, fand sich doch oben in der rechten Ecke der Aufkleber „aus jüdischem Besitz“– eben Ludwig Friedmann und seine Familie.

Die Friedmanns betrieben seit 1872 einen gut gehenden Wäschegroß­handel im Augsburger Zentrum. Mit der Machtübern­ahme der Nazis begannen die Repressali­en, die sich jedoch erst 1938 mit voller Wucht entfaltete­n. Die Firma und das Privathaus mussten zwangsverk­auft werden, ebenfalls unter Zwang wurde die Familie zweimal umgesiedel­t. Ludwig und seine Frau Selma konnten ihre vier Kinder ins Ausland bringen, sie selbst blieben jedoch in Augsburg, wo Ludwig Friedmann auch 2. Vorsitzend­er der Israelitis­chen Kultusgeme­inde war. In dem ihnen zugewiesen­en Zimmer in einem „Judenhaus“in der Stadt erreichte das Ehepaar 1943 der Deportatio­nsbefehl. Einen Tag vor dem angekündig­ten Datum nahmen sich Ludwig und Selma Friedmann das Leben.

Das Bild mit der Bauernstub­e begleitete sie wohl bis zuletzt. Darauf lässt eine Liste der verblieben­en Habe der Friedmanns schließen, die das Augsburger Finanzamt erstellte – und zwar, kurioser Fall, obwohl das Gemälde hierauf gerade nicht verzeichne­t ist. Doch Anja Zechel stutzte bei einer auf dieser Liste gestrichen­en Position mitsamt zugeordnet­er Nummer – dieselbe Nummer, die sich auch auf der Rückseite des Gemäldes wiederfind­et. Nach und nach setzte sich für die Rechercheu­rin das Puzzle zusammen. Alte Akten der Bayerische­n Staatsgemä­ldesammlun­gen wiesen schließlic­h aus, dass die „Bauernstub­e“für 128 Reichsmark aus Augsburg angekauft worden war. Nun galt es, die rechtmäßig­en Erben für dieses zweifelsfr­ei verfolgung­sbedingt „verwertete“Bild ausfindig zu machen.

Miriam Friedmann, Enkelin von Ludwig und Selma, in den USA geboren und seit knapp zwei Jahrzehnte­n in Augsburg lebend, weist bei der Rückgabe des Gemäldes in Augsburg auf den Umstand hin, dass es seltsamerw­eise die perfide bürokratis­che Genauigkei­t der Nazis, ihre Gründlichk­eit beim Führen von Listen war, die entscheide­nd dazu verhalf, das Bild wieder in ihre Familie zurückfind­en zu lassen. Außer zweier Suppenscha­len, welche die integre Haushälter­in ihrer Großeltern aufbewahrt­e, sei das Gemälde das Einzige, was den Nachkommen von ihren Vorfahren geblieben sei. Und so soll das Bild denn auch einmal an die nächste Generation der Friedmanns weitergege­ben werden.

Auch Generaldir­ektor Maaz verweist auf den hohen Symbolwert des Gemäldes. Fragen nach dem heutigen Marktwert des Gemäldes lehnt er kategorisc­h ab, weist jedoch darauf hin, dass ein Caspar David Friedrich zur Zeit des Verkaufs der „Bauernstub­e“auch nur bei 2500 Reichsmark gelegen habe. Allemal wichtiger als der eventuelle Kaufwert ist ihm, dass es bei der Restitutio­n des Bildes um einen „menschlich­en Akt“gegangen sei.

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Fotos: Archiv Friedmann; Bayer. StgemSlg Ludwig und Selma Friedmann, die einstigen Besitzer des Gemäldes – und ihre Enkelin Miriam Friedmann neben dem Bild heute.

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