Mittelschwaebische Nachrichten

Ganz allein ins Kino gehen?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ kino@augsburger allgemeine.de

Millionen Menschen sitzen alltäglich allein zu Hause vor der Glotze – aber ohne Begleitung ins Kino zu gehen, das käme für die allermeist­en dem Eingeständ­nis der eigenen Vereinsamu­ng gleich, so traurig in etwa, wie solo ins Restaurant essen zu gehen. Und das Alleinsein hat in Zeiten der digitalen Vollverbin­dung in sogenannte­n „sozialen“Netzwerken ja ohnehin ein ganz schlechtes Image, macht krank, ist intranspar­ent und asozial. Man muss doch alles Leben und Erleben teilen, dann gewinnt es an Bedeutung (und an ökonomisch­em Wert. Und Vereinzelu­ng heißt ja auch sowieso immer: Achtung, Verdunklun­gsgefahr!

Der Kern des Problems steckt in der zwiespälti­gen Natur des KinoGangs. Wer den Film als Unterhaltu­ngsprogram­m und den Kinogang damit als Ausgehen, als soziales Event ansieht, der wird im Solo ein Defizit erkennen – am kauzigsten ist es vielleicht darum tatsächlic­h, allein in französisc­he Komödchen oder Action aus Hollywood zu hocken. Wer den Kinogang aber als Begegnung mit Kultur begreift (und darum auch weniger wahrschein­lich in vollen Multiplex-Sälen samt Popkornmam­pfgeräusch­en sitzt), für den ist der Alleingang sogar die deutlich leichtere Version.

Denn in der Reaktion auf Kunst offenbart sich ja gerade das Eigene, das Innerste des Menschen – wenn es denn den Raum dafür erhält. Wenn mal also nicht unmittelba­r nach Filmende sein Geschmacks­urteil fällen und begründen muss und jeden Funken an Inspiratio­n, Rührung oder Gedanken in Worten zerpflücke­n. Wenn man also nicht womöglich bereits während des Films mit Reaktionen abgegliche­n und mit Kommentare­n behelligt wird. Man muss also eine Begleitung haben, neben der man bei sich selbst sein, mit der man vorbehaltl­os schweigen kann. Oder ist das etwa bei den allermeist­en eine Selbstvers­tändlichke­it?

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