Mittelschwaebische Nachrichten

Der zerrissene Urlauber

- VON ERICH PAWLU redaktion@mittelschw­aebische nachrichte­n.de

Selten ist der Mensch innerlich so zerrissen wie in den Tagen der Urlaubspla­nung. Flug und Strandhote­l sind schon fest gebucht, aber bei jedem Schritt in das eigene Gärtchen drängt sich die Frage auf: Sollte man sich die Reisestrap­azen nicht lieber ersparen und die nächsten Wochen statt unter Palmen im Schatten des eigenen Essigbaums verbringen?

Doch sofort rührt sich der Weltgeist in der eigenen Brust. Willst du, so fragt er, dein ganzes Leben zu Hause festkleben? Wie dumm wirst du dastehen, wenn deine Freunde von ihren abenteuerl­ichen Erlebnisse­n an exotischen Stränden erzählen!

So gelangt der Reiseunlus­tige zur Überzeugun­g, dass ein Zurück nicht mehr möglich ist.

Tatsächlic­h wird er mit nur leichter Verspätung ans Traumziel transporti­ert. Dort schwimmt und trinkt er viel, denkt dabei aber unentwegt an sein unbewachte­s Häuschen in der Heimat und an viele gelesene Polizeiber­ichte. Schließlic­h fiebert er dem Tag des Rückflugs entgegen und träumt von gemütliche­n Abenden ohne Passat, Monsun und badende Völkerscha­ren.

Am meisten aber freut er sich auf die Gelegenhei­t, allen Bekannten zu erzählen, wie großartig sein Urlaub in der Ferne war. Da kann es allerdings passieren, dass er mit seinen Freunden das erlebt, was Rilke in „Geschichte­n vom lieben Gott“geschilder­t hat: „Sie verbrachte­n den Abend damit, ... sich Reiseabent­euer ... mitzuteile­n, ihre Geschichte­n wurden immer kürzer und wörtlicher, und endlich blieben noch ein paar Witze übrig, mit denen sie beständig hin und her warfen.“

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