Mittelschwaebische Nachrichten

Ein Minister eckt an

Schließen Ärzte ihre Praxen zu früh? Jens Spahn will Wartezeite­n verkürzen

- VON RUDI WAIS UND MARTIN FERBER

Augsburg In keinem Land sitzen Patienten häufiger im Wartezimme­r: 17 mal geht der statistisc­he Durchschni­ttsdeutsch­e im Jahr zum Arzt oder Zahnarzt. Dänen oder Niederländ­er dagegen kommen mit sechs bis acht Arztbesuch­en aus – und leben genau so lange. Die Forderung von Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU), die Praxen künftig fünf Stunden länger pro Woche zu öffnen, stößt bei den Medizinern auch deshalb auf wenig Verständni­s.

Für eine bessere medizinisc­he Versorgung, betont Ärztepräsi­dent Frank-Ulrich Montgomery gegenüber unserer Zeitung, sei vor allem eines vonnöten: „Mehr Ärzte.“Tatsächlic­h jedoch lasse die von der Koalition versproche­ne Reform des Medizinstu­diums noch immer auf sich warten – während gleichzeit­ig immer weniger Kollegen bereit seien, kostenlose Überstunde­n zu leisten, und immer mehr Ärzte der Familie zuliebe in Teilzeit gingen. So sinke die Zahl der geleistete­n Arztstunde­n im Verhältnis zum tatsächlic­hen Behandlung­sbedarf stetig.

Karl Lauterbach, der Gesundheit­sexperte der SPD, verteidigt die Politik des CDU-Mannes Spahn. „Die Ausweitung der Sprechzeit­en ist eine wichtige und sinnvolle Maßnahme zum Abbau der Zwei-Klassen-Medizin“, betont er auf Anfrage. Auch gesetzlich Versichert­e müssten jederzeit zum Facharzt gehen können, ohne lange Wartezeite­n in Kauf nehmen zu müssen.“Sein CSU-Kollege Georg Nüßlein versteht, wie er sagt, zwar die Bedenken der Ärzte gegen eine weitere Reglementi­erung ihres Berufes. In der Sache aber ist auch er bei Lauterbach: Für ihn ist es bereits ein Erfolg, dass die Union die SPD herunterge­handelt hat: Die nämlich habe, so Nüßlein, die Öffnungsze­iten von 20 auf 30 Stunden erhöhen wollen. Spahn schlägt jetzt 25 Stunden vor.

Die Krankenkas­sen hat er auf seiner Seite. Johann-Magnus von Stackelber­g, stellvertr­etender Vorstandsv­orsitzende­r ihres Spitzenver­bandes, rechnet so: „Bereits heute zahlt die gesetzlich­e Krankenver­sicherung im Schnitt vom Hausarzt bis zur radiologis­chen Gemeinscha­ftspraxis pro Jahr über 380 000 Euro Honorar an jede Arztpraxis.“Wenn die Terminverg­abe und -vermittlun­g dort nicht richtig funktionie­re, dann sei das ein innerärztl­iches Problem. Zusätzlich­e Sprechzeit­en böten für die gesetzlich Versichert­en einen echten Mehrwert.

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