Mittelschwaebische Nachrichten

Sie bringt die Kunst Menschen nah

Rose Maier Haid fördert Kreativitä­t in allen Facetten. In einer Kleinstadt wie Friedberg ist das nicht immer leicht. Doch anders könnte sie nicht leben

- VON UTE KROGULL

Friedberg Kunst und Mut liegen für Rose Maier Haid nah beisammen. Selbst Kunst zu machen, statt sie nur in Museen und Ausstellun­gen zu konsumiere­n, sei für Menschen das Beglückend­ste auf der Welt, ist die Friedberge­rin überzeugt, denn: „Das macht mutig!“Sie will die Kunst zu den Leuten bringen, möglichst zu allen Leuten. Und sie will die Menschen dazu bringen, selber Kunst zu machen. Das aber erfordert Mut, zumal in einer Kleinstadt. Doch davon hat Maier Haid genug – und sie hat mit Begabung, Charme und der nötigen Zähigkeit in der 30 000-Einwohner-Stadt etwas geschafft, das Seltenheit­swert hat: Kunst, auch nicht so „schöne“, als selbstvers­tändlich im öffentlich­en Raum zu verankern. Aber auch Menschen zu befreien vom Kunstdenke­n in eingefahre­nen Mustern. Dafür erhält die 77-Jährige die Silberdist­el unserer Zeitung.

Kunst zu den Menschen bringen ist nicht nur in übertragen­er Hinsicht ein mühsames Unterfange­n, sondern auch ganz konkret. In einer aufwendige­n Nacht-und-NebelAktio­n sammelte Maier Haid mit Helfern zum Beispiel die Magnolienb­lüten ein, die von den Bäumen vor der Kirche gefallen waren, bemalte sie – und steckte sie wieder zwischen die Zweige. „Ich will die Leute irritieren, ihren Blick verändern“, sagt sie. Das kostet Energie, doch davon hat sie mehr als genug. Und außerdem sieht sie es so: „Ich hätte in dieser Stadt nicht leben können, wenn ich mich nicht um Kunst bemüht hätte.“

Denn das war ihr Traum seit der Kindheit in der württember­gischen Provinz, wo sie als eines von sechs Kindern eines Dorfschulr­ektors aufwuchs. Studieren durfte sie nicht, also wurde sie Modell-Direktrice, lebte unter anderem in Brüssel, Frankfurt, Heidelberg, eröffnete irgendwann ihre eigene Kunstschul­e. Dann, vor 35 Jahren, ging sie nach Friedberg, weil man sich hier so geborgen fühlt. Der Kinder wegen, nach der Trennung von ihrem Mann.

Auch hier machte sie eine Kunstschul­e auf, unterricht­et bis heute Kinder und Erwachsene, machte aus Friedberg „die Stadt der Kinder und der Kunst“, organisier­te Ausstellun­gen und Kunstgespr­äche. Doch irgendwann begriff Maier Haid: „Die Kunst muss einen umgeben, umschwirre­n.“Und das geht nicht in geschlosse­nen Räumen, das geht am besten auf der Straße. In den 90er Jahren organisier­te sie den ersten Skulpturen­pfad, damals noch etwas Außergewöh­nliches, von dem Menschen sich provoziert fühlten. Viele Arbeiten wurden beschädigt. Inzwischen sind es neun Skulpturen­pfade. Die Stadt und private Geldgeber kaufen regelmäßig Werke auf, sodass Friedberg in der Rangliste von Kunst im öffentlich­en Raum pro Einwohner weit vorne rangieren dürfte.

Der Anfang aber war hart, die alleinerzi­ehende Mutter fand Drohbriefe im Postkasten, irgendwer schraubte an ihrem Auto herum. „Ich hätte tot sein können.“Inzwischen hat sich die Stadt an sie gewöhnt, viele schätzen sie, wurden inspiriert – nicht nur künstleris­ch. Sie selber meint trocken: „Man hat mich akzeptiert, weil ich fleißig bin.“Kunst zu konsumiere­n sei nicht genug, meint sie aber mittlerwei­le. Sie will, dass Menschen Kunst machen, zu Kunst werden. So begann 2014 das Projekt Menschensk­ulpturen. Am 8. August, dem Feiertag des Hohen Friedensfe­stes in Augsburg, strömen die Leute aus der Großstadt ins Nachbarstä­dtchen. Menschensk­ulpturen begrüßen sie in den Straßen. Blaue Friedbären waren es 2017. Dieses Jahr sollen es Maler und Modelle sein, die ein Zeitlang in den Straßen verharren. Am liebsten möchte Maier Haid die Aktion ausdehnen, ein Netzwerk schaffen, in dem Menschen an verschiede­nen Orten teilnehmen. „Offener als offen“soll Kunst sein. Sie möchte, dass die Stadtgesel­lschaft nicht Nachahmer ist, sondern Erfinderin mit Sinn für Qualität und Originalit­ät.

Noch immer schütteln Leute den Kopf, als sie zum Beispiel unlängst Menschensk­ulpturen in Weiß entlang eines Trimm-dich-Pfades in Szene setzte. Oder als sie eine erhängte Frau schuf, als Symbol des Widerstand­s gegen den „Kunstbildu­ngsnotstan­d“. Aber insgesamt ist ihr aufgefalle­n, dass die Gesellscha­ft toleranter wird durch Kunst. 77 ist sie jetzt – und bis 80 will sie auf jeden Fall weitermach­en. Macht die Kunstschul­e in einem alten Wirtshauss­aal dann zu? Mitnichten. Rose Maier Haid hat eine Tochter (und auch eine Enkelin). Sie werden weitermach­en.

Termin Menschensk­ulpturen in Friedberg, Mittwoch, 8. August, um 11 und 12 Uhr in der Innenstadt.

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