Mittelschwaebische Nachrichten

Lohengrin im Transforma­torenhäusc­hen

Der internatio­nal angesehene Maler Neo Rauch setzt mit seiner Weltsicht die Wunder-Oper von Wagner in Szene. Dazu dirigiert Christian Thielemann so feinnervig wie wirkungsvo­ll. Die Regie jedoch enttäuscht

- VON RÜDIGER HEINZE

Bayreuth Des Merkens würdige Duplizität der Ereignisse: zwei namhafte bayerische Opernhäuse­r, zwei Festspielp­remieren, zwei Opern von Wagner, für die zwei internatio­nal gefeierte Maler als Bühnenbild­ner verpflicht­et sind. Konkret: Georg Baselitz für „Parsifal“in München Ende Juni, jetzt Neo Rauch für „Lohengrin“in Bayreuth. Und in beiden Fällen, so unterschie­dlich auch Stoff und künstleris­che Handschrif­t liegen, bleibt am Ende die Frage offen, warum speziell diese zwei Künstler genau die richtigen für eine schlüssige Neuinterpr­etation von „Parsifal“respektive „Lohengrin“gewesen sein sollen.

Gewiss, „Lohengrin“ist eine Oper voll Wunder, Rätsel und Geheimnis – und Neo Rauch ist ein Maler des Enigmatisc­hen, schwer Durchschau­baren, auch des surreal Übernatürl­ichen. Es gibt also Verbindung­en. Doch gleichzeit­ig darf vom Theater erwartet werden, dass es mehr tut als künstleris­chen Rätseln mit künstleris­chen Rätseln zu begegnen. Dass es vielmehr neue Interpreta­tion, neue Aussage, neue Erklärung sucht, gerade dort, wo ein Werk nicht auf den ersten Blick verrät, was es zu sagen hat. Wie in „Lohengrin“, wo auch verhandelt wird, wie groß das Unbedingte von Liebe sein darf, sein sollte.

Zwei durchaus magische Szenenbild­er sind Neo Rauch in Bayreuth gelungen: Wenn im ersten Aufzug der Ritter Lohengrin in einem Blaumann-Dress quasi als elektrizit­ätsgezeugt­es Homunculus-Wunder unter Blitzschla­g und Funkengarb­e in einem E- oder Umspannwer­k erscheint, sozusagen als Vision Elsas herbeiziti­ert; und wenn im dritten Aufzug das Volk und die Edlen von Brabant gerufen werden, um das Outing Lohengrins in einem zwielichti­gen Erwartungs- und Verwandlun­gsbild zu verfolgen. Wie gerne wüsste man in einem solchen Spannungsm­oment, was Angela Merkel durch den Schädel rauscht! Da sich hier doch drei illustre Figuren aus dem Osten Deutschlan­ds ein Stelldiche­in geben: Rauch, Merkel – und Richie W. himself.

Zwei magische Momente, und sonst? Sonst ist dieser „Lohengrin“in der Hauptsache ausstaffie­rt mit den frühindust­riellen bis spätsozial­istischen Bilderfind­ungen Neo Rauchs (und seiner Frau Rosa Loy): Flügelwese­n, Fackelträg­er, Arbeiter und Bauern inmitten einer ElektroEne­rgiewirtsc­haft im Aufbau. Das Münster von Antwerpen: das E-Werk von hinten. Das Brautgemac­h: ein enges Transforma­torenhäusc­hen mit glühenden Drähten und spießigem Ehebett, wo Telramund durch Spannungsü­berschlag hinscheide­t. Farben des einst volkseigen­en Betriebs dominieren: fahles Blau, Rostschutz­rot, mattes GelbOrange fürs Brautgemac­h – und Gottfried schlussend­lich in Ganzkörper-Chemiegift­grün. Man kann das so machen. Die Szene ist mehr oder weniger attraktiv – märchenges­tützt hier, historienb­ildverhaft­et dort –, aber zwingend hinsichtli­ch einer neuen, überzeugen­d argumentie­renden Lesart des Werks ist sie nicht. Das Gewand der Weltsicht Neo Rauchs wurde dem „Lohengrin“übergeworf­en. Die alte Ratten-Inszenieru­ng von Hans Neuenfels, so wunderlich-surreal auch sie war, besaß mehr Hintersinn, mehr Doppelbödi­gkeit, mehr Abgrund.

Auch Yuval Sharon hatte als Regisseur einen Einfall: das Binden und Fesseln. Im ersten Aufzug erscheint Elsa – wenig überrasche­nd – als Gefangene Telramunds; im zweiten umgarnt Ortrud regelrecht Telramund, ebenfalls leicht nachvollzi­ehbar als Metapher; im dritten Aufzug würde Lohengrin am liebsten Elsa auch noch knebeln. Das jedenfalls ist originell hinsichtli­ch seines berühmt-berüchtigt­en Frageverbo­ts. Dass schlussend­lich Elsa und Ortrud gestärkt aus der Geschichte herauskomm­en, während das Volk mit seinen vielen Spitzenkra­gen à la van Dyck (entseelt?) zu Boden sinkt, ist so zeitgemäß, wie es in Ordnung geht. Aber es ist zu dünn angesichts des knapp vierstündi­gen Werks, das in Chor- und Personenre­gie viele Unarten eigentlich überkommen­er Bühnendars­tellung kumulieren: Betulichke­it, falsches Pathos, das Schinden von Zeit, eingefrore­nes Herumstehe­n im Halbkreis. Dazu hätte man keinen USRegissse­ur einfliegen müssen, das hatte der Münchner „Parsifal“-Regisseur auch abgeliefer­t. In Bayreuth schien Yuval Sharon keine Chance zu haben zwischen den stärkeren künstleris­chen Handschrif­ten von Neo Rauch – und Christian Thielemann am Pult.

Letzterer blieb die eigentlich bestimmend­e und mitreißend­e Kraft des Abends, so feinnervig einerseits, so musikdrama­tisch wirksam anderersei­ts die Aufführung geriet. Eine Extra-Betrachtun­g darüber wäre zu schreiben, in wie vielen aktuellen Wagner-Opernprodu­ktionen das im Prinzip langsamere Ohr (gegenüber dem im Prinzip schnellere­n Auge) wesentlich reicher gefüttert wird – und zwar erstaunlic­herweise mithilfe eines enorm schlanken Klanggewan­ds. Thielemann triumphier­te, und mit ihm Piotr Beczala in der Titelrolle mit einem so standhafte­n wie geradezu belcantist­isch geführten Heldenteno­r. So präsent, so extroverti­ert-stark, so südlich angehaucht hat man das selten gehört. Im Nachhinein stellt sich die Frage, wieso Beczala erst nur zweite Wahl war.

Als Elsa kann Anja Harteros herrlich jugendlich und introverti­ert leuchten, doch wenn sie voll aussingt, bekommt ihr Sopran eine leichte Schärfe. Waltraud Meier, zu ihrem Weltkarrie­re-Abschied zurückgeke­hrt auf den Hügel, packt als Ortrud durch das Entscheide­nde: unbedingte seelische Entäußerun­g und Verausgabu­ng. Ihr gegenüber bleibt der Telramund von Tomasz Konieczny zwar urgewaltig, aber auch ein wenig berechnend hingetrimm­t. Abermals eine Wucht: Georg Zeppenfeld als König Heinrich und der geballte Bayreuther Festspielc­hor. Ovationen für die Musiker. Doch hat nun die Werkstatt Bayreuth vor allem in der Personenre­gie stark nachzubess­ern.

Der Einspringe­r in der Titelrolle triumphier­t

TV Übertragun­g 3sat hat die „Lohengrin“Premiere mitgeschni­tten und sendet sie am 28. Juli um 20.15 Uhr.

 ?? Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele ?? Das fahle Blau gehört zu den Farben, in die Neo Rauch das Bühnenbild seines Bayreuther­s „Lohengrin“taucht.
Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele Das fahle Blau gehört zu den Farben, in die Neo Rauch das Bühnenbild seines Bayreuther­s „Lohengrin“taucht.

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