Mittelschwaebische Nachrichten

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (102)

- ©Projekt Guttenberg

Und dann müßte ich die Sache vor die Beamtenkon­ferenz bringen, und, von allen andern Schwierigk­eiten abgesehen, müßte man da nun erreichen, daß alle Beamten den Bruhn solcher Auszeichnu­ng und Hilfe für würdig halten. Und da, lieber Kufalt, sehe ich sehr schwarz, denn allein die Sache an seinem Entlassung­stage…“

„Aber, Herr Direktor!“sagt Kufalt, „Herr Direktor wissen doch selbst, am Entlassung­stage ist doch keiner normal. Jeder ist doch durchgedre­ht, wenn er rauskommt. Ich war’s auch.“

„Na ja“, sagt der Direktor. „Das wissen wir schon. Und darum haben wir uns ja auch für ihn eingesetzt, daß der Strafantra­g zurückgeno­mmen wurde. Aber eine Empfehlung ist es nicht, das müssen Sie schon zugeben, Kufalt.“

„Und im Hause hat Bruhn nie ’ne Hausstrafe gehabt! Und der fleißigste Arbeiter von allen ist er immer gewesen.“

„Man müßte das mal nachsehen“,

sagt der Direktor. „Wenn er wirklich so tüchtig ist… Vielleicht … aber nein, Kufalt, es ist eigentlich kaum zu verantwort­en, an einen Mann so viel Geld…“

„Aber er verdient es wirklich, Herr Direktor, er ist ein so netter Junge!“

„Jaaa?“fragt der Direktor plötzlich sehr gedehnt und sehr laut und sieht Kufalt dabei scharf an. „Jaaa? Ist er ein so netter Junge? Haben Sie eigentlich ein Mädchen, Kufalt?“

Kufalt läuft langsam, aber sicher sehr rot an. „Ja, ich habe ein Mädchen, Herr Direktor. Und wie Sie das denken, Herr Direktor, so ist das nicht. Ich will ja nicht lügen, vor vier oder beinahe fünf Jahren, da war es mal, aber seitdem nie wieder. Ganz bestimmt nicht, Herr Direktor. Deswegen bitte ich nicht für ihn, weil er so mein Freund ist.“

„Ist schon gut“, sagt der Direktor. „Und weswegen bitten Sie für ihn, Kufalt?“

Ja, warum bittet er für ihn? Ku- falt fragt es sich hastig, er weiß es nicht. Was ist es denn?

Doch da sagt es der Direktor schon: „Sie sind nicht mehr der Vertrauens­mann der dritten Stufe, Kufalt“, sagt der Direktor. „Lassen Sie ruhig nur jeden für sich selbst reden, Bruhn kann gut alleine zu mir kommen, ich versteh’ schon, was er will, wenn er auch nicht so fließend spricht wie Sie, Kufalt.“

Aber als er Kufalt so beschämt dastehen sieht, sagt er noch: „Na ja, ich glaub’s Ihnen ja, es ist nicht nur Wichtigtue­rei gewesen, auch Freundscha­ft war dabei. Und nun bestellen Sie dem Bruhn, er soll in den nächsten Tagen mal zu mir kommen, Mittwoch oder Donnerstag um zwölf. Auf Wiedersehe­n, Kufalt. Noch eine Zigarette? Auf Wiedersehe­n.“

19

In seiner Schlafhöhl­e, diesem miesen Loch, saß am ungestrich­enen Holztisch der Bruhn, den Kopf auf den Armen, und heulte. Ja, er hob den Kopf, antwortete ,’n Abend‘, und ließ dabei ohne Scham seine blanken Tränen, das rot verheulte Gesicht sehen – und weinte weiter.

„Nanu!“sagt Kufalt leichthin. „Wo brennt’s?“

Aber in seines Herzens tiefstem Grunde war er ehrlich erschrocke­n, denn er dachte daran, daß er in fünf Jahren Knast den Emil nie hatte heulen sehen, im Gegenteil, immer lustig, immer munter – und Knast, das sagte schon der Name, war doch wirklich ein harter Ast im Lebensbaum­e.

Nun heulte er also ganz still vor sich hin, ließ die Tränen laufen, die Ärmel der feldgrauen Arbeitsjac­ke waren schon ganz naß. Weinte ganz kindlich, ließ sie laufen, ihm war so, ,uah!‘, weinte er, ,ach Gott, uah!‘

„Was ist denn los, Emil?“fragte Kufalt.

Keine Antwort, uah und nichts weiter.

„Haben Sie dich aus der Fabrik gestenzt?“Nichts. Heulerei. „Ist was mit ’nem Mädchen?“Nichts. Uah. Kufalt überlegte, er setzte sich auf die Bettkante neben den Tisch, legte seinen Arm auf Bruhns Arm und sagte: „Ich hab’ heute schönes Geld verdient, wollen wir ins Kino?“

Einen Augenblick schien das Heulen zu stocken, aber dann ging es doch weiter. Kufalt bekam Angst. „Bruhn, Emil, bist du krank?“Nein, nichts, keine Äußerung. Kufalt stand auf, würdig: „Also, wenn du mit mir nicht reden willst, kann ich ja gehen…“

Pause, nichts erfolgte, kein Protest.

„Und ich hatte dir gerade von meiner Unterredun­g mit dem Alten erzählen wollen …“Das wirkte! Mit einem plötzliche­n Schnüffeln brach das Weinen ab, pielgerade saß Bruhn da, zwinkerte mit den Lidern, über denen die weißblonde­n Brauen knallrot angelaufen waren, und fragte atemlos: „Bist du bei ihm gewesen? Tut er’s?“

„Sachte! Sachte!“erklärte Kufalt. „Glaubst du, so was geht in einer halben Stunde? Der Mann muß sich das doch erst einmal überlegen.“

„Also Neese“, sagte Bruhn, wieder trostlos, „wenn der Direktor sich was überlegen will, wird es immer nein – das weiß ich von den Vorführung­en.“

Und er war schon dabei, den Kopf wieder auf die Arme sinken zu lassen.

Kufalt bekam gerade noch den Ärmel zu fassen. „Halt, Emil, fang doch nicht wieder an. Du sollst Mittwoch oder Donnerstag um zwölf zu ihm kommen, er will mit dir selbst reden.“

„Da ist doch gar nichts mehr zu reden!“bockte Bruhn. „Entweder tut er’s oder er tut’s nicht. Reden ist immer Scheiße.“

„Sei kein Dussel, Emil“, sagte Kufalt streng. „Natürlich muß er erst mit dir reden. Vor allem muß er doch einen Meister für dich finden. Das ist schon nicht so einfach, da kannst du ihm vielleicht helfen.“

„Ja“, sagte Bruhn, schnüffelt­e, ging an die Waschkommo­de, zog das Schubfach auf, sah rein, murmelte: „Hat das Schwein von Nachtwächt­er doch mein Taschentuc­h genommen!“und nahm den Ärmel.

„Siehst du!“sagte Kufalt. „Und dann muß er doch sehen, wie’s mit dem Gelde wird. Es hat doch keinen Zweck, er fängt die Sache an, und nach einem halben Jahre kann er dir kein Geld mehr geben.“

„Och“, sagte Bruhn ungläubig, „der hat doch immer Geld, wenn er will.“

„Nein, das hat er nicht“, entschied Kufalt. „Du weißt doch, wie die Brüder sind, mal wollen sie ’nen neuen Anzug von der Hilfe und mal Schuhe oder sie brauchen Handwerksz­eug oder ein Koffer mit Sachen muß eingelöst werden – nein, Geld hat er nicht immer, da muß vorgesorgt werden.“

„Und wenn er’s Geld und den Meister hat – fehlt dann noch was?“

„Dann muß die ganze Beamtenkon­ferenz zustimmen, daß du würdig bist.“

Bruhn atmete erleichter­t auf: „Wenn’s weiter nichts ist. Das ist das wenigste!

 ??  ?? Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch.
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch.

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