Mittelschwaebische Nachrichten
Er will noch einmal aufs Podest
Robert Harting ist Diskuswerfer und Muskelberg. Doch der Körper des Berliners hat sich verändert – und mit ihm auch sein Geist
Satte 120 Kilo schwer. 2,01 Meter groß. Vollbart. Und dennoch hüpft dieser Robert Harting zusammen mit seiner Frau Julia durch einen Ballettsaal. Das wirkt meistens grotesk, bisweilen aber auch überraschend leichtfüßig. Immerhin gehe es um die Beinarbeit, erklärt sein Trainer mit einem Schmunzeln. Es ist eine Szene aus dem Film „Sechsviertel“von Guido Weihermüller. Mit der Kamera begleitete er den Diskus-Olympiasieger von 2012 auf der letzten Etappe seiner Karriere. Nach der Saison legt der dann 34-Jährige die Scheibe aus der Hand.
Vorher will er sich selbst ein Abschiedsgeschenk machen. In letzter Sekunde schaffte Harting die Qualifikation für die Leichtathletik-EM in seiner Heimatstadt Berlin. Am Mittwochabend findet im Olympiastadion das Diskus-Finale statt. Dort, wo er 2009 den ersten seiner drei WM-Titel gewann. Genau dort will Harting aufs Podest.
Doch die Vorzeichen stehen alles andere als günstig. Gewaltige Kräfte wirken, wenn die Muskelberge ihre Arbeit aufnehmen und in einer komplexen Verkettung hunderter Einzelbewegungen die Diskusscheibe beschleunigen und jenseits der 60-Meter-Marke befördern. Hartings Körper hält diesen Belastungen nicht mehr stand. Zuletzt riss in seinem Knie die Quadrizepssehne ein. Schlimm genug, ihn zum Außenseiter zu machen. Von dem Harting, der 2009 in Berlin triumphierte, ist nicht mehr viel übrig. Genauso grundlegend wie der Zustand seiner Muskeln und Sehnen änderte sich sein Auftreten. Aus einem brachial extrovertierten, gerne ins Arrogante abgleitenden jungen Kerl ist ein Mann geworden, der über den Diskusring hinaus denkt. Immer wieder kritisiert er das IOC und dessen Umgang mit der Dopingproblematik. Als IOC-Präsident Thomas Bach 2016 bekannt gab, dass Russland trotz massiver Dopingvorwürfe an den Sommerspielen in Rio de Janeiro teilnehmen dürfe, „habe ich mich für Bach geschämt“. Weit weniger klar sind die Aussagen, wenn es um die Beziehung zu seinem sechs Jahre jüngeren Bruder Christoph geht. Der ist ebenfalls Diskuswerfer, holte 2016 Olympiagold und gilt auch in Berlin als einer der Topfavoriten. Privat gehen sich die beiden aus dem Weg, wenn sie sich auf Wettkämpfen treffen, herrscht Funkstille. „Unser Verhältnis ist erfroren“, sagt Robert Harting in dem Film „Sechsviertel“, der in der ARD-Mediathek zu sehen ist. Warum? Das wissen vermutlich nur die beiden Brüder. Der eine, Christoph, spricht nicht darüber. Der andere, Robert, bleibt im Ungefähren. Es hat wohl damit zu tun, dass Robert immer schon dem Sport alles unterordnete. Auch die Beziehung zu seinem Bruder. Fest steht, dass sie inzwischen nur noch eines sind: Konkurrenten.