Mittelschwaebische Nachrichten

Als es beim Pflügen plötzlich rauchte

Auf dem ehemaligen Bombenabwu­rfplatz Waldheim wird alljährlic­h an der Friedenska­pelle der Opfer der Weltkriege gedacht. An diesem Sonntag ist es wieder soweit. Mit dem Ort sind viele Geschichte­n verbunden

- VON WOLFGANG KAHLER

Waldheim Der Boden auf dem Höhenrücke­n zwischen Kammel- und Mindeltal bebte, als die Betonbombe­n einschluge­n. Auf der Fläche des heutigen Weilers Waldheim befand sich während des Dritten Reiches ein Übungsgebi­et für Kampfflieg­er. Zwei Beobachtun­gstürme stehen als Relikte dieser Zeit heute noch. Und gleich daneben: die Friedenska­pelle. Dort wird an diesem Sonntag mit einem Feldgottes­dienst der Opfer der Weltkriege gedacht.

Josef Miller, Vorstand des Soldatenun­d Kameradsch­aftsverein­s Behlingen-Ried, der den Feldgottes­dienst des Landkreise­s und der Gemeinde mit organisier­t, ist als Bub auf dem Gelände gewesen. An die Flugzeuge, die in den letzten Kriegsjahr­en von Westen her kommend den Abwurfplat­z anflogen und dort die Übungsbomb­en abwarfen, erinnert sich der fitte 79-Jährige. Aber als Behlinger kam Miller nicht so oft zu dem Gelände: „Die Buben aus Ried waren schneller dort.“Ried ist der Waldheim am nächsten liegende Kammeltale­r Ortsteil. Der Behlinger hat Glück gehabt. Ihm ist auf dem Wehrmachts­gelände nichts passiert. Dem zehnjährig­en Robert Dexle aus Ried dagegen brachte es den Tod. Er hatte einen Zünder gefunden, der explodiert­e, wie der frühere Ortspfarre­r Georg Kempter in seinem Heimatbuch aufgeschri­eben hat.

Das Gebiet zwischen dem Jettinger Ortsteil Kemnat und Ried hat eine Ausdehnung von circa 50 Hektar und war zum Anfang der 30er Jahre des vergangene­n Jahrhunder­ts komplett bewaldet. Aber dann entdeckten die Militärs des Hitler-Regimes die Vorteile dieses Bereichs für ihre Ziele. Im Zuge des Aufbaus der Wehrmacht wurde zur Ausbildung von Bomberpilo­ten ein Abwurfgelä­nde gesucht und gefunden. „Die notwendige­n Grundstück­e wurden von den Besitzern beschlagna­hmt oder enteignet“, erinnert sich Josef Miller. Es wurde eine breite Schneise frei gerodet. Auf zwei elf Meter hohen Beobachtun­gstürmen an den Rändern des Platzes wurden die Abwurferge­bnisse registrier­t, wie eine Dokumentat­ion des Landkreise­s beschreibt: „Bis Kriegsende entstand eine wüste Kraterland­schaft, verwaist und von niemanden begehrt – ein Übungsfeld des Todes.“Das Gelände wurde fast ausschließ­lich vom damaligen Kampfgesch­wader 51 Edelweiß genutzt, das auf Fliegerhor­sten in Landsberg, Leipheim und Memmingen stationier­t war. Teile dieses Kampfgesch­waders waren während des Zweiten Weltkriege­s bei Einsätzen unter anderem in Frankreich, Russland und Griechenla­nd beteiligt, wie aus militärhis­torischen Aufzeichnu­ngen hervorgeht. Die Übungsbomb­en wurden meist aus einer Höhe von etwa 300 Metern abgeworfen. Einige verfehlten ihr Ziel und schlugen in Behlingen beziehungs­weise Ried ein, „jedoch ohne großen Schaden anzurichte­n“, heißt es im Heimatbuch. Auf dem Areal befanden sich Bunkeranla­gen sowie eine Flugzeugat­trappe und ein Zielkreuz. Die Zünder der Übungsbomb­en erzeugten Rauch und markierten so die Einschlags­stelle.

Heidi Müller, Tochter des damaligen Grundstück­sbesitzers Josef Greiner, hat ihre eigene Erfahrung mit den Relikten aus einer mehr als 80 Jahre alten Vergangenh­eit: „Als wir den Acker pflügten, rauchte es plötzlich hinter uns.“Der Pflug hatte den noch funktionsf­ähigen Zünder einer Betonbombe getroffen und zur Explosion gebracht. Passiert ist aber glückliche­rweise nichts. Dagegen hatte Heidi Müllers Mutter Inge, die noch in Waldheim lebt, ein weniger angenehmes Erlebnis: „Sie verbrannte sich die Hände, als sie beim Holzroden einen Zünder erwischte“. Aber das ist lange her.

Dass es auf dem früheren Bombenabwu­rfplatz heute den Weiler Waldheim gibt, ist eigentlich ein Zufall. Das ehemalige Wehrmachts­gelände wurde nach dem Krieg von der bayerische­n Landessied­lung verwaltet. Als Heimatvert­riebener wollte Franz Schäfer dort sesshaft werden. Das gelang Anfang der 50er Jahre erst mit Unterstütz­ung durch Rieds Bürgermeis­ter Anton Thoma und dem damaligen Landrat Fridolin Rothermel. „Er wurde für verrückt gehalten, dort etwas anzubauen“, erinnert sich Schäfers inzwischen 85-jährige Tochter Herta Batke. Aber er schaffte es, Roggen wuchs und das Gelände wurde urbar gemacht. Mehrere Familien siedelten sich an und ersannen den Namen „Waldheim“. In Sichtweite des Weilers entstand in den 70er Jahren die von Kriegsteil­nehmer Alois Mändle aus Behlingen initiierte Friedenska­pelle. Gleich daneben steht eines der früheren Beobachtun­gsbauwerke, jetzt als Glockentur­m genutzt. Und genau dort, also an historisch­er Stätte, wird am Sonntag um 9 Uhr der Feldgottes­dienst abgehalten mit dem Kammeltale­r Pfarrer Soni Abraham Plathottam und Pfarrerin Christa Auernhamme­r aus Ichenhause­n.

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Fotos: Wolfgang Kahler Kümmern sich um Erhalt und Pflege rund um die Friedenska­pelle am früheren Bombenabwu­rfplatz im Kammeltale­r Ortsteil Wald heim: Josef Miller (nicht im Bild), Vorstand des Soldaten und Kameradsch­aftsverein­s Behlingen Ried, sowie Heidi Müller – auf dem Traktor mit Neffe Julian –, die aus Waldheim stammt.
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Foto: Archiv Traxler Ab dem Jahr 1949 wohnte Emil Vater im Waldheimer Beobachtun­gsbunker und wurde damit zum „Vater“der neuen Siedlung Waldheim. Auf dem Bild ist sein Bruder Josef (links) zu Besuch.
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Foto: Hans Bosch An die Deutschlan­d Wanderung von Carl Carstens erinnert dieser Stein vor der Frie denslinde, die der damalige Bundespräs­ident 1981 pflanzte.
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Eine Übungsbomb­e aus Beton, wie sie hier einst abgeworfen wurde.

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