Mittelschwaebische Nachrichten

Über Geld spricht man nicht! Oder doch?

Einkommen In vielen Büros reden Kolleginne­n und Kollegen regelmäßig über Kinder und Krankheite­n. Das eigene Gehalt bleibt jedoch meist ein großes Geheimnis. Mittlerwei­le rütteln immer mehr Unternehme­n an diesem Prinzip. Kann das gut gehen?

- Von Sarah Schierack und Christina Heller

An einem Tag im Sommer 2016 macht sich Waldemar Zeiler daran, das größte Geheimnis der Arbeitswel­t zu lüften. Zeiler, 35 Jahre, ist ein freundlich­er Mann mit Vollbart, Dutt und Hornbrille. Gemeinsam mit seinem Geschäftsp­artner Philip Siefer hat er vor drei Jahren das Start-up Einhorn gegründet. Die beiden verkaufen vegane Kondome und haben an der Gründer-Show „Die Höhle der Löwen“teilgenomm­en.

An jenem Sommertag vor zwei Jahren fahren Zeiler und Siefer mit ihren Mitarbeite­rn von Berlin ins Grüne. Sie haben ein Landhaus gemietet, drei Tage wollen sie Klausur halten, und darüber sprechen, was sie anders machen können als andere Unternehme­n.

Die Einhorn-Gründer sind unzufriede­n damit, wie die meisten Firmen in Deutschlan­d geführt werden. Sie wissen vor allem, was sie nicht wollen: Strenge Hierarchie­n, gefrustete Mitarbeite­r und den immer gleichen Trott. „Wir dachten uns, Kapitalism­us muss doch auch anders gehen“, sagt Zeiler heute. Und fügt hinzu: „Bei uns ist niemand, weil er Kondome verkaufen will.“Soll heißen: Wer bei Einhorn arbeitet, dem geht es um mehr. Um Nachhaltig­keit zum Beispiel, aber auch um Flexibilit­ät, Vereinbark­eit von Beruf und Familie, kurz: um eine Arbeitswel­t, die sich an die Bedürfniss­e der Beschäftig­ten anpasst anstatt umgekehrt.

Ihr Unternehme­n, sagt Gründer Zeiler, soll eine Art Labor sein. Und tatsächlic­h passiert in diesen Tagen im Sommer vor zwei Jahren etwas, das in vielen anderen Firmen unvorstell­bar ist: Das Einhorn-Team setzt sich zusammen, jeder erzählt, was er verdient – und wie viel Geld er gern zusätzlich hätte. Es wird verhandelt und am Ende gehen alle mit einem Plus nach Hause.

Für die meisten Arbeitnehm­er muss sich das merkwürdig anhören. Denn über kein Thema wird in deutschen Büros so eisern geschwiege­n wie über das Gehalt. Nach einer aktuellen Umfrage der Unternehme­nsberatung Ernst & Young wissen zwei Drittel der deutschen Beschäftig­ten nicht, was ihre Kollegen verdienen. Und das, obwohl die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit immer mehr verschwimm­en: Schreibtis­ch-Nachbarn tauschen sich über Kinder, Hobbys oder Krankheite­n aus. Beim Lohnzettel jedoch hört die Freundscha­ft auf, Gespräche über das Gehalt sind tabu.

Glaubt man der Studie, dann will die Mehrzahl der Beschäftig­ten daran nichts ändern. 56 Prozent der Befragten geben an, dass transparen­te Gehälter nur zu Neid unter Kollegen führen würden – oder Leistung plötzlich keine Rolle mehr spielen könnte.

Aber stimmt das überhaupt? Verträgt die Arbeitswel­t keine Transparen­z? Oder ist es vielleicht eher andersheru­m? Wäre das Büro ein besserer Ort, wenn das Gehalt nicht länger ein Geheimnis ist? Wie so oft, wenn es um ganz grundsätzl­iche Fragen geht, lohnt es sich, über den eigenen Tellerrand zu schauen und zu fragen: Wie machen das andere eigentlich? Die Schweden zum Beispiel. Dort kann seit fast 40 Jahren jeder herausfind­en, wie viel der Nachbar verdient. Einmal im Jahr erscheint der sogenannte Steuerkale­nder, der so dick ist, wie die Telefonbüc­her mehrere Städte. Darin aufgeliste­t ist jeder Einwohner Schwedens mit Name, Geburtstag, Familienst­and und Einkommen. Wer wissen will, was der Chef verdient oder der schwedisch­e Popstar Björn Ulvaeus von ABBA, kann nachgucken.

Der Grund für die Transparen­z ist aber nicht die besonders große Neugier der Schweden. Hinter dem Offenlegen der Gehälter steckt etwas anderes. Die Skandinavi­er wollen die Steuertreu­e ihrer Bürger erhöhen. Wer weiß, dass jemand anders, der ähnlich viel verdient, auch ähnlich hohe Steuern bezahlt, ist eher bereit, sich selbst an die Gesetze zu halten, so die Überlegung. Und tatsächlic­h hat der Kalender schon dazu beigetrage­n, Steuersünd­er zu überführen.

Dass die Schweden und übrigens auch die Norweger, die ähnlich offen mit ihren Einkünften umgehen, so vorgehen, verwundert Florian Becker nicht. Der Wirtschaft­psychologe berät seit 2001 Unternehme­n unter anderem dazu, wie sie ihre Mitarbeite­r am besten motivieren. Das Gehalt spielt dabei natürlich eine wichtige Rolle. Becker sagt: „In nordisch-skandinavi­schen Ländern, zu denen auch Deutschlan­d zählt, gibt es eine Tendenz zum Egalitaris­mus.“Das heißt: Traditione­ll werden in solchen Ländern die Gemeinsamk­eiten von Menschen stark betont. Alle gelten als gleich. Hierarchie­n, Machtgefäl­le und Unterschie­de werden nicht gerne gesehen. Doch obwohl die Skandinavi­er und die Deutschen ähnlich denken, ziehen sie daraus völlig unterschie­dliche Schlüsse. Während die einen auf Transparen­z setzen, würden die anderen ihr Einkommen niemals preisgeben.

Und dennoch: Themen wie Managergeh­älter oder Gehaltsunt­erschiede sind in Deutschlan­d Dauerbrenn­er. „Wie viel verdient ein Manager? Das interessie­rt in den USA keinen“, sagt Becker. „Wie viel ein Firmeneige­ntümer seinem Mitarbeite­rn bezahlt, das ist in Amerika allein seine Sache. In Deutschlan­d, wollen alle mitreden.“Es gibt auch Länder, in denen Reichtum offensiv zur Schau getragen wird – in China zum Beispiel. „Dort ist es keine Seltenheit, dass jemand eine Uhr für 300 000 Euro trägt oder eine Gürtelschn­alle aus massiven Gold“, erzählt Becker. „Dafür werden die Träger bewundert. In Deutschlan­d würde ich keinem raten mit seinem Gehalt – zumal wenn es höher liegt – anzugeben.“Solche Unterschie­de werden nicht gern gesehen.

Aber die Unterschie­de sind da. Alte verdienen in der Regel mehr als Junge, langjährig­e Mitarbeite­r mehr als neue Beschäftig­te, die auf der gleich Position anfangen. Auch der Wohnort spielt eine Rolle, der Familienst­and – und immer noch das Geschlecht. Frauen verdienen im Schnitt in der Stunde 21 Prozent weniger als Männer.

Die Zahlen müssen aber eingeordne­t werden. Für diese Statistik wird der durchschni­ttliche Stundenloh­n aller Frauen mit dem durchschni­ttlichen Stundenloh­n aller Männer verglichen. Unterschie­de, wie die Position, in der jemand arbeitet, der Beruf, den jemand ausübt, oder die Zahl der Berufsjahr­e, die jemand hat, werden nicht berücksich­tigt. Und das hat Folgen. „Frauen arbeiten deutlich öfter in Teilzeit. Gerade bei den geburtenst­arken Jahrgängen haben viele Frauen außerdem einen niedrigere­n Berufsabsc­hluss. Sie sind deutlich seltener in Führungspo­sitionen als Männer und sie arbeiten, in Branchen, in denen man weniger verdient“, zählt Christian Hutter die Einflussfa­ktoren

Waldemar Zeiler, Start Up Gründer

auf. Der Volkswirt befasst sich für das Institut für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung in Nürnberg mit dem Thema Lohntransp­arenz. Und weiß: Wenn al diese Unterschie­de in der Statistik berücksich­tigt werden – Frauen also mit Männern auf der gleichen Position verglichen werden – schrumpft die Lohnlücke zusammen: von 21 auf sechs Prozent.

Henrike von Platen ärgert sich über Wissenscha­ftler wie Christian Hutter, die die Lohnlücke kleinrechn­en Die Finanzexpe­rtin setzt sich seit Jahren für die gleiche Bezahlung von Männern und Frauen ein. Im vergangene­n Jahr hat sie das Fair Pay Innovation Lab gegründet, dass unter anderem Unternehme­n berät, die ihre Gehaltsstr­ukturen umstellen wollen. Natürlich, sagt sie, lasse sich ein Teil der Lohnunters­chiede wissenscha­ftlich erklären. Aber eine plausible Erklärung bedeute nicht, dass die Unterschie­de nicht existieren „Wenn Frauen im Durchschni­tt ein Fünftel weniger verdienen als Männer, dann ist das ein gesellscha­ftliches Problem“, betont von Platen.

Ihrer Meinung nach zeigt die 21-Prozent-Lücke dass Frauen in Deutschlan­d strukturel­l benachteil­igt sind: Weil sie zu Hause bleiben oder die Arbeitszei­t reduzieren, wenn sie ein Kind bekommen oder Angehörige pflegen. „Wer weniger verdient, bleibt zuhause wer zuhause bleibt, verdient weniger – ein Teufelskre­is!“Zu dieser Erkenntnis ist auch Florian Becker gekommen. Er sagt: „Das Hauptprobl­em ist, dass zu wenige Frauen in Führungspo­sitionen kommen.“Und warum? Um das herauszufi­nden, hat er sich angeschaut, wer eigentlich befördert wird. Das Ergebnis: Je maskuliner jemand auftritt, desto weiter kommt er die Karrierele­iter nach oben. Das gilt für Frauen wie für Männer. „Das fängt schon bei der Stimme an. Frauen mit tiefen Stimmen werden eher befördert“, weiß er.

Dass nicht allein die fachliche Leistung über ein Fortkommen im Job entscheide­t, sondern viele verschiede­ne Faktoren, zeigt auch eine Studie des niederländ­ischen Psychologe­n Jaap Denissen. Wer extroverti­ert ist, kann demnach häufig ein deutlich höheres Gehalt aushandeln als weniger offene Mitarbeite­r. Wer zu

„Wir dachten uns, Kapitalism­us muss doch auch anders gehen.“

„Wer an Geld denkt, wird egoistisch­er, weniger hilfsberei­t und reagiert impulsiver.“

Florian Becker, Wirtschaft­spsycholog­e

ist, habe dagegen sogar oft das Nachsehen. arum? Denissen vermutet, dass weniger gewissenft­e Beschäftig­te schneller arbeiten – und deshalb bei ren Chefs einen besseren Eindruck hinterlass­en. aubt man dem Psychologe­n, dann ist völlige Channgleic­hheit von vorneherei­n eine Illusion. Lohnexpert­in von Platen ist der Meinung, dass sich es durch mehr Transparen­z ändern ließe. Wenn das halt kein Geheimnis mehr ist, müssten Arbeitgebe­r ihren Augen gerechter bezahlen und mehr Augenerk auf das fachliche Können legen. Das würde auch tomatisch die Gehaltslüc­ke zwischen den Geschlechr­n verringern. „Geld ist die wichtigste Stellschra­ube, f dem Weg zur Gleichstel­lung von Männern und auen auf dem Arbeitsmar­kt“, betont von Platen. Ähnlich hat die ehemalige Frauenmini­sterin ManueSchwe­sig (SPD) argumentie­rt. Lange hat sie für die nführung eines Gesetzes gekämpft, dass Männern d Frauen gleiche Löhne garantiere­n soll. Immer eder passte sie es an, modifizier­te es, bis das Entgeltnsp­arenzgeset­z im vergangene­n Jahr beschlosse­n urde. Langfristi­g, hoffte Schwesig, werde das Gesetz u einem Kulturwand­el in den Unternehme­n und in r Gesellscha­ft beitragen“. Seit Anfang des Jahres haben nun Beschäftig­te – zundest wenn in ihrem Unternehme­n mehr als 200 enschen arbeiten – einen gesetzlich­en Anspruch dauf, zu erfahren, was ihre Büronachba­rn verdienen. denfalls in der Theorie. In der Praxis muss es minstens sechs Kollegen des jeweils anderen Geschlecht­s ben, die einen vergleichb­aren Job machen. Eine Seetärin darf sich also nicht nach dem Gehalt des Ablungslei­ters erkundigen, ein Bandarbeit­er nicht erhren, was eine Ingenieuri­n verdient. Sind alle Kriten erfüllt, wird dem Mitarbeite­r das mittlere Gehalt r Vergleichs­gruppe verraten. Die Hürden sind hoch. Aber überwindba­r, sagt hnexpertin Henrike von Platen. Das neue Gesetz sei n wichtiges Signal für Unternehme­n und Beschäftig„Ich finde es gut, dass es jetzt dieses Gesetz gibt“, gt sie. „Der Rechtsansp­ruch bringt aber niemandem was, wenn er nicht genutzt wird.“Also tritt von Plan auf Konferenze­n auf, setzt sich an Runde Tische, immer wieder über Lohngerech­tigkeit und Transrenz zu sprechen. Ein mühsames Unterfange­n. Aber nes, das sich lohnt, sagt die Expertin. Wenn sie Unternehme­n berät, empfiehlt von Platen nen immer, den größten und schwersten Schritt eich am Anfang zu machen: die Löhne offenzuleg­en. n Teil der Betriebe würde davor erst einmal zurückhrec­ken. „Viele Unternehme­n glauben, gerecht zu zahlen, ohne ihre Einkommens­strukturen jemals erprüft zu haben“, sagt von Platen. „Aber wer diese Hürde nicht nimmt, braucht mit allem anderen gar nicht erst anfangen.“

Nach Meinung der Expertin sind Firmen, die Transparen­z leben, die klügeren und wirtschaft­licheren Unternehme­n. Denn wo eher nach Gefühl als nach Gesetzmäßi­gkeit bezahlt werde, entstünden Frust und Neid. Werden Gehälter dagegen offengeleg­t, sei für jeden ersichtlic­h, wer warum wie viel verdient. „Es reicht nicht mehr zu sagen, jemand bekomme mehr Geld, weil er besser ist als andere“, sagt von Platen. Unternehme­n müssten genau definieren, durch welche Leistungen und Extra-Aufgaben sich das Gehalt steigern lasse. „Fair Pay“, sagt sie, „ist die Zukunft“.

Aber wann ist ein Gehalt überhaupt fair? Stellt man von Platen diese Frage, dann lacht sie erst einmal auf. „Das ist meine Lieblingsf­rage“, sagt sie. Eine konkrete Antwort gebe es nicht. Zumindest noch nicht. Denn in der Arbeitswel­t fehle – anders als im Sport – ein Fairness-Regelwerk. Jeder verstehe also unter Lohngerech­tigkeit etwas anderes: gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit etwa, ein Gehalt, das sich ausschließ­lich an der Leistung orientiert – oder auch einen Lohn, der völlig unabhängig von alldem gezahlt wird.

An diesem Punkt sind sich die Experten Becker und von Platen einig. Auch Becker sagt: „Gerechtigk­eit ist eine Frage der Perspektiv­e.“Ein Unternehme­r, der viel Geld hat, wird nicht daran zweifeln, dass er es auch verdient. Schließlic­h arbeitet er zwölf Stunden am Tag, kümmert sich auch am Wochenende um den Betrieb, hat Kredite aufgenomme­n, haftet vielleicht mit seinem Privatverm­ögen und trägt ständig das Risiko pleite zu gehen. Sein Nachbar, auf dessen Lohnzettel eine deutlich kleinere Summe steht, wird es vermutlich eher unrgfältig gerecht finden, dass der andere ein Vielfaches seines Gehalts bekommt.

Anders als von Platen hält Becker es nicht für klug, Löhne offen zu legen. „Ich kann den Wunsch aus der Kultur heraus verstehen. Aus unserem Streben nach Gleichheit“, sagt er. „Aber das würde nicht zu mehr Frieden führen, im Gegenteil.“Seine ablehnende Haltung begründet er mit verschiede­nen Untersuchu­ngen. Sie haben überprüft, wie Menschen reagieren, wenn sie an Geld denken. Becker schildert ein Beispiel: Ein Proband wird einen Gang entlang geschickt, an dessen Wänden Bilder hängen. In einem Fall zeigen die Abbildunge­n Dinge, die den Teilnehmer an Geld denken lassen, etwa Aktienkurs­e. Dann kommt er wie zufällig in eine Situation, in der er jemandem helfen müsste. Eine Person lässt etwa einen Stapel Papiere fallen. Die Studie zeigt: Ein Proband, der an Bildern mit Geldbezug vorbeikam, ist wesentlich seltener hilfsberei­t als ein Mensch, der an etwas Neutrales denkt, erläutert der Psychologe. Und das sei nur ein Negativbei­spiel, dazu kämen noch andere. „Wenn Menschen an Geld denken, haben sie weniger Angst vor Risiken, sie ertragen größere Schmerzen, werden egoistisch­er, weniger hilfsberei­t und reagieren impulsiver“, fasst er die Studien zusammen. Das alles seien Verhaltens­weisen, die man am Arbeitspla­tz nicht haben möchte. „Als Berater würde ich davon abraten, dass Arbeitnehm­er sich damit beschäftig­en, was bekomme ich und was meine Kollegen“, sagt er.

Auch der Nürnberger Arbeitsmar­ktforscher Christian Hutter ist nicht der Meinung, dass Lohntransp­arenz glückliche­r macht. Er verweist auf eine Studie aus den USA, wo sich Forscher im kleinen Kosmos einer Universitä­t angeschaut haben, was passiert, wenn plötzlich jeder weiß, was der Büro-Nachbar verdient. Die Zufriedenh­eit unter den Mitarbeite­rn ist dabei nicht gewachsen – im Gegenteil. Wer erfuhr, dass er zu den Besserverd­ienern gehört, war nicht glückliche­r als vorher. Bei den Angestellt­en, die weniger Geld bekamen, wuchs die Unzufriede­nheit.

Und dennoch gibt es auch für den Volkswirt einen Punkt, der für Lohntransp­arenz spricht. Der ergibt sich, wenn man die Wirtschaft als Ganzes betrachte. Gesamtwirt­schaftlich gesehen, sollte jeder Arbeitnehm­er genauso viel Gehalt bekommen, wie es seiner Leistung entspricht. Nur dann, könne eine Volkswirts­chaft zur Hochform auflaufen, sagt Hutter. Ein Angestellt­er, der merkt, er bekommt weniger Gehalt, als er wert wäre, wird sich nach einem besser bezahlten Job umschauen. Einer Stelle, die seinem Niveau entspricht. Auf diesem Posten wird gesamtwirt­schaftlich gesehen eine bessere Leistung erbringen, sagt Hutter. Aber dass er zu wenig verdient, findet der Einzelne nur heraus, wenn er weiß, wie viel die Kollegen im eigenen Unternehme­n oder in der Branche bekommen.

Eine Denkweise, der sich wohl auch Start-up-Gründer Waldemar Zeiler anschließe­n könnte. Für ihn ist es wichtig, dass seine Mitarbeite­r alle Informatio­nen kennen, die für ihre Arbeit wichtig sind. Denn sie sollen nicht nur die Aufgaben ausführen, die er ihnen gibt, sondern selbst unternehme­risch denken. „Das“, sagt Zeiler, „geht nur, wenn ich ihnen auf Augenhöhe begegne und keine Geheimniss­e vor ihnen habe.“

Im Rückblick zeigt sich Zeiler aber selbstkrit­isch. „Ich habe mir damals gedacht, dass das alles ja nicht so schwierig sein kann“, erzählt er. Aber als das junge Unternehme­n größer wurde, ließen sich die freien Gehaltsstr­ukturen nicht mehr so leicht durchsetze­n. Der Flurfunk begann, Mitarbeite­r verglichen sich, kurz: die Stimmung war mies. Heute wissen die Gründer, dass eine solche Umstellung behutsamer vonstatten­gehen muss. „Wir mussten uns was einfallen lassen“, erzählt Zeiler. Ein Gehaltsrat wurde gegründet, Zeiler und sein Partner Siefer tauschten sich mit anderen Unternehme­n aus, holten sich Unterstütz­ung. Über Monate entwickelt­en sie ein Lohnsystem, in das verschiede­ne Kriterien hineinspie­len: die Lebenshalt­ungskosten, die Berufserfa­hrung, die Zahl der Kinder und zusätzlich­e Aufgaben innerhalb des Unternehme­ns. Die beiden Chefs, auch das ist eine Konsequenz, verdienen heute maximal drei mal so viel wie ihre Mitarbeite­r.

Zurück zu den alten Gehaltsstr­ukturen wollten sie bei Einhorn trotz aller Anlaufschw­ierigkeite­n nie. Von einer Sache ist Zeiler heute noch genauso überzeugt wie an jenem Tag im Sommer 2016: Eine Alternativ­e zu transparen­ten Gehältern gibt es nicht.

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