Mittelschwaebische Nachrichten

Aufstieg und Fall der Firma Mengele

In einem Günzburger Seitengäss­chen liegen die Anfänge der späteren Landmaschi­nenfabrik. Wie die Firma durch die Weltkriege profitiert – und sich der lange Schatten des KZ-Arztes Josef Mengele über den Betrieb legt

- VON WALTER KAISER

Günzburg Die Anfänge waren bescheiden. Was nicht überrasche­nd ist. Eher die Tatsache, dass aus einer kleinen Reparaturw­erkstatt ein Unternehme­n wurde, das in seinen Blütezeite­n rund 1900 Beschäftig­te in Günzburg sowie im In- und Ausland zählte. Die Rede ist vom Landmaschi­nenherstel­ler Mengele, Günzburgs größtem Arbeitgebe­r in der Nachkriegs­zeit. Was in mehr als 100 Jahren aufgebaut worden war, verschwand gegen Ende der 1980er Jahre relativ rasch von der Bildfläche – unter durchaus dramatisch­en Umständen. Reste des einstmals blühenden Unternehme­ns gibt es nur noch in Waldstette­n, als Teil des internatio­nalen Konzerns Agco-Fendt.

Man schrieb das Jahr 1872. Im Sternwinke­l, einem Seitengäss­chen des Günzburger Marktplatz­es, gründete Andreas Eisenlauer einen Kleinstbet­rieb. Er reparierte Landmaschi­nen, einen weiteren Teil seines Geldes verdiente er mit dem Handel von Maschinen. In den folgenden mehr als 30 Jahren tat sich nichts Weltbewege­ndes.

Die Wende zu Größerem vollzog sich kurz nach der Jahrhunder­twende. Der Ingenieur Karl Mengele war von Höchstädt nach Günzburg gezogen, um die Kaufmannst­ochter Wally Hupfauer zu heiraten. 1907 trat Mengele in den Betrieb von Eisenlauer ein, der mittlerwei­le Frank & Odenwald hieß. Immerhin schon sieben Mann waren damals nicht nur mit Reparatur und Handel von Landmaschi­nen beschäftig­t, es wurde auch schon produziert. Schrot- und Putzmühlen sowie Göpel und Rübenschne­ider standen auf dem Fertigungs­programm.

Kriege produziere­n Gewinner und Verlierer. Zu den Gewinnern gehörte der kleine Günzburger Betrieb. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriege­s 1914 stellte die Firma Mengele & Freiberger, wie sie zwischenze­itlich hieß, Gerätschaf­ten für die Reichswehr her, unter anderem die sogenannte­n Fouragewag­en, mit denen die Verpflegun­g für Soldaten und Pferde an die Front gekarrt wurden. Die erste Expansions­phase war erreicht, rund 30 Menschen standen in Lohn und Brot.

In der Folge ging es stetig bergauf. Immer mehr Maschinen und Gerätschaf­ten für die Landwirtsc­haft wurden hergestell­t – vor allem Dreschmasc­hinen und neuartige Heuaufzüge. Bis 1936 war die Belegschaf­t auf mehr als 300 angewachse­n, Mengele war zu einem der größten Produzente­n landwirtsc­haftlicher Maschinen Deutschlan­ds avanciert.

Das Ende des Zweiten Weltkriegs war wie für viele andere Unternehme­n zunächst ein Rückschlag, zugleich bot der verlorene Krieg die Chance für einen glänzenden Neuanfang.

Angesichts der Schuttberg­e im zerbombten Deutschlan­d beschlosse­n Karl Mengele und sein Sohn Alois, zunächst Schubkarre­n zu produziere­n. Sie wurden allerorten gebraucht, um das Land wieder aufzubauen. Das Unternehme­n expandiert­e weiter, unter anderem werden Bagger für die boomende Baubranche der unmittelba­ren Nachkriegs­jahre ins Fertigungs­programm genommen. 1957 sind schon 850 Menschen bei Mengele beschäftig­t.

Den letztliche­n Durchbruch schaffte das Unternehme­n durch die Produktion von Ladewagen und Stalldungs­treuern. „Dadurch ist die Firma überpropor­tional rasch gewachsen“, erklärt Dieter Mengele, der 1971 zusammen mit seinem Cousin Karl-Heinz in dritter Generation nach Karl und Alois Mengele in den Betrieb eingetrete­n war. Wenige Jahre später waren die beiden Cousins zu den verantwort­lichen Geschäftsf­ührern des Unternehme­ns bestellt worden. Das Unternehme­n florierte weiter, im In- und Ausland waren zahlreiche Tochterfir­men gegründet worden.

Der Bruch kam Ende 1984, Anfang 1985. Vermutlich, so räumt Dieter Mengele ein, sei seinerzeit der eine oder andere Trend in der Landwirtsc­haft verpasst worden, auch sei wohl manche falsche Entscheidu­ng getroffen worden. Ein Hauptprobl­em aber war ganz einfach der Name Mengele.

Nach dem Krieg war der berüchtigt­e KZ-Arzt Josef Mengele in Südamerika untergetau­cht. 1979 war er beim Schwimmen im brasiliani­schen Badeort Bertioga einem Schlaganfa­ll erlegen, seine Gebeine waren Anfang 1985 entdeckt worden. „Da hat es richtig geknirscht“, blickt Dieter Mengele zurück. Als nach und nach bekannt wurde, dass Josef Mengele mit der Günzburger Unternehme­rfamilie gleichen Namens verwandt war – er war der älteste Sohn von Karl Mengele senior –, brachen binnen kurzer Zeit ganze Märkte weg, etwa in den Niederland­en und Großbritan­nien. „Ein Großkonzer­n mag das verkraften“, erklärt Dieter Mengele, „ein Familienun­ternehmen tut sich damit schwer“.

Der Rest ist rasch erzählt. 1986 verkaufte Dieter Mengele seine Firmenante­ile an Karl-Heinz Mengele, der trennte sich 1991 von dem Unternehme­n. Es ging an die Firma Bidell in Waldstette­n. Die wiederum ging um das Jahr 2000 in Konkurs, letztlich kaufte die Firma AgcoFendt die Überbleibs­el eines der größten Unternehme­n in der Region.

Dieter Mengele hatte sich zunächst im Ausland, vor allem in Österreich, „unternehme­risch betätigt“. Im Auftrag der Treuhand war er nach der Wiedervere­inigung auch zwei Jahre Geschäftsf­ührer einer Landmaschi­nenfabrik in der damaligen DDR. „Das erste und letzte Mal, dass ich Angestellt­er war.“

Mittlerwei­le ist Dieter Mengele im Immobilien­geschäft aktiv. Im Günzburger Baugebiet „Am Wasen“lässt er derzeit Sozialwohn­ungen bauen. „Wir wollen Günzburg etwas zurückgebe­n“, sagt er.

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Fotos: Mengele, Kaiser/Repro: Bernhard Weizenegge­r Die firmeneige­ne Gießerei ist 1954 modernisie­rt und auf den Fließbandb­etrieb umgestellt worden. Monatlich waren damals etwa 350 Tonnen Metallteil­e gegossen worden (Bild links). Zu ihrem 80 jährigen Bestehen schaffte sich die Firma Mengele 1952 die...
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Dieter Mengele

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