Mittelschwaebische Nachrichten

Lebensgefü­hl Sommer

- VON RONALD HINZPETER redaktion@mittelschw­aebische nachrichte­n.de

Achtung, es folgt gleich ein fürchterli­ches Fremdwort – bitte lesen Sie trotzdem weiter: Es lautet „Zönästhesi­e“und beschreibt im weitesten Sinne so etwas wie das eher geläufige „Lebensgefü­hl“. Damit lässt sich höchstens auf Mediziner-Partys protzen, beim gemeinsame­n Grillabend kommt es selbst nach dem Genuss von reichlich kaltem Wasser mit Hopfenarom­a eher nicht so gut an, zu sagen: „Dieser Wahnsinnss­ommer, echt eine tolle Zönästhesi­e!“Das klingt eher nach einem entzündlic­hen Darmleiden.

Deshalb bleiben wir beim guten alten Lebensgefü­hl – auch wenn das ein Wort ist, das offenkundi­g vielerlei Herren dient. Wer den Begriff ein wenig durch die Weiten des Internets verfolgt, stößt etwa auf einen Friseur namens „Lebensgefü­hl“. Normalerwe­ise heißen die doch heute eher „Schnittste­lle“, „Wellkamm“, „Salon Haarley“, „Vielhaarmo­nie“oder „Haarem“. Mit „Lebensgefü­hl“werben Fahrradhän­dler, ein Motivation­strainer („für das Business-Lebensgefü­hl“) oder Christian Lindner, dessen „Lebensgefü­hl Demokratie“ihn zur FDP geführt habe. Etwas überrasche­nd nennt sich ein Styling-Ratgeber „Lebensgefü­hl Brille“. Die Älteren unter uns erinnern sich mit Grausen daran, als sie mit ihrem ersten Kassengest­ell das Klassenzim­mer betreten mussten und eher das Lebensgefü­hl Brillensch­lange verspürten. Letztlich – wir sind ja in Bayern – landet man doch wieder bei der CSU. Die preist unter der Rubrik „Lebensgefü­hl“unter anderem das „bayerische Wirgefühl“an, das allerdings eher wie die Übersetzun­g von „Mia san mia“für Preußen klingt.

Wie auch immer: Dieser Sommer verbreitet ein ganz besonderes Lebensgefü­hl, eines von Unbeschwer­theit (sofern man nicht um seinen Ernteertra­g fürchten muss) und Luftigkeit, auch wenn kurzes Männerbein­kleid in Büros nicht gerne gesehen ist. Dafür umso lieber am See und im Biergarten, die fürs Lebensgefü­hl Sommer eine entscheide­nde Rolle spielen.

Während die warme Jahreszeit mit dieser nicht nur das Herz erwärmende­n Luftigkeit protzt, verbreiten Herbst und Winter vor allem außerhalb schützende­r Mauern nichts dergleiche­n. Da kann an manchen Tagen höchstens noch der Frühling mithalten. Deshalb genießen wir lieber im Schweiße unseres Angesichts dieses heiße „Lebensgefü­hl Sommer“.

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